Seit Monaten stehlen wir uns nämlich nach dem Gong heimlich zurück in die Klassenräume und setzen uns vor die Heizungen, um nicht schlotternd und mit roten Ohren draußen festzufrieren. Die Jungs freilich stehen dort wie immer. Sie reißen ja auch ständig die Fenster auf, egal ob es regnet, hagelt oder schneit, immer unter dem Vorwand, es sei „viel zu warm hier drin“. Kurz drauf beschweren sie sich dann darüber, dass wir Mädchen dauernd niesen.
Natürlich hat der Winter auch seinen ganz besonderen Zauber. Und der heißt Schnee. Nichts kann einen winterlichen Schultag so sehr versüßen wie das weiße Treiben vor dem Klassenzimmerfenster. Kaum kommt man jedoch nach den Stunden raus aus der Schule und möchte sich auf den Heimweg machen, kriegt man die Kehrseite dieses Glücks ab: In Form zahlreicher (illegaler!) Schneebälle, vorwiegend aus Sechser-Händen. Dass das auch nach hinten losgehen kann, erfuhr Carsten letztes Jahr auf direkte Weise. Er verfolgte mit einem gewissen Vorrat an Schneebällen seinen Freund bis ins Foyer, warf dann zielsicher – und traf auch! Allerdings war die Kugel zuvor nur knapp am Ohr des Schulleiters vorbeigesaust. Dessen Strafe lautete, den entsprechenden Paragraphen der Schulordnung 100 Mal abzuschreiben.
Ausnahmsweise tat Carsten das mit größtem Vergnügen. Paragraph 8.3.11. der Schulordnung besagt nämlich lediglich: „Im Winter ist das Schneeballwerfen auf dem Pausenhof untersagt.“ Jetzt wird unsere Schulordnung generalüberholt.
Während der Zauber des Schnees also für gewöhnlich nur kurz wirkt, schafft es die Sonne, sowohl Lehrer als auch Schüler dauerhaft bei Laune zu halten. Wir verbringen die Pausen jetzt nicht mehr vor der Heizung, sondern vor dem Thermometer, und warten auf die magischen 27 Grad, die für uns einen hitzefreien Tag bedeuten. Erreicht die Temperatur diese Marke nicht, verbringen wir den Mittag barfuß auf dem Schulhof liegend, mit Erdbeeren oder Eis am Stiel, und erstellen Lehrersandalen-Toplisten. Den anschließenden Unterricht versuchen wir durch Betteln nach draußen zu verlegen – was leider allzu selten klappt.
Letztes Jahr entdeckten wir, dass die kleine Wiese vor der Aula im Sommer so etwas wie ein Marienkäfer-Woodstock ist. Sie treffen sich dort alle, schwirren fröhlich umher und vermehren sich stetig. In der Pause vor dem Physikunterricht freundeten wir uns mit einigen von ihnen an - und die Käfer beschlossen, uns zu begleiten. Wir verschafften ihnen beste Plätze auf den Tischen in der ersten Reihe. Dort bemerkte Herr Gaertner sie natürlich schon bald. Allerdings war er ihnen keinesfalls wohlgesonnen. Binnen weniger Sekunden hatte er sein dickes Physikbuch ergriffen und ließ es auf einen unserer neuen Freunde herabsausen. Wir waren entsetzt! So auch die Verwandten des kleinen Marienkäfers, die flugs auf den Boden flatterten. Das war leider die falsche Richtung. Herrn Gaertners Fuß machte ihnen schnell den Garaus. So kam einer nach dem anderen um. Ein wahrer Marienkäfermassenmord.
Der Sonnenzauber wirkt also auch nicht bei jedem, das haben wir letzten Sommer gelernt. Dieses Jahr werden wir es besser machen. Das Treffen mit den Käfern haben wir deshalb auf den tollsten Teil des Schulsommers verlegt: die großen Ferien.
Illustration: Dirk Schmidt
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Bisher sind erschienen:
Folge 1: Pärchen in der Schule
Folge 2: Filme schau`n im Medienraum.
Folge 3: Wenn der Lehrer austicken tut