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Wenn ich groß bin, werde ich Nerd
Als Barack Obama im August vergangenen Jahres bei der NASA in Kalifornien anrief, um den Ingenieuren zum Erfolg ihrer Marsmission zu gratulieren, sagte der US-Präsident: „Bei euch arbeitet doch der Kerl mit der Irokesenfrisur. Ich habe überlegt, mir auch einen Mohawk wachsen zu lassen, doch mein Team hat mir abgeraten. Auf alle Fälle seid ihr bei der NASA um einiges cooler als früher!“
Der Mann, dem die Weltraumbehörde das neue Image verdankt, heißt Bobak Ferdowsi, ist 33 Jahre alt und arbeitet in Pasadena als Flugdirektor der „Curiosity“-Mission. Per Livestream konnte am 5. August 2012 jeder auf der ganzen Welt dabei sein, als der mit Messinstrumenten bepackte Marsrover „Curiosity“ auf dem roten Planeten landete. Immer wieder zeigte die Kamera Bobak, der vor Begeisterung strahlte. Seinen schwarzen Irokesen schmückten rote und blaue Strähnen, links und rechts am Kopf prangten gelbe Sterne. Und sofort wurden die Menschen im Internet auf den „Mohawk Guy“ aufmerksam, Journalisten kürten Bobak zum „sexiest Nerd“ der NASA, Tausende posteten sein Bild bei Facebook.
Sechs Monate später sitzt Bobak im Café „Zona Rossa“ in Pasadena, nippt an seinem Kaffee – und staunt noch immer über seine Medienkarriere. Auf Obamas Lob folgten Hunderte Heiratsanträge, viele Interviews sowie ein Fotoshooting für GQ, zusammen mit dem „Curiosity“-Team. Wenn künftige Historiker einmal erforschen, was Amerika im Jahr 2012 beschäftigt hat, dann werden sie recht sicher auf Bobaks Kopf stoßen. Viele glauben, dass nicht zuletzt dank Bobak der „Nerd“ im Jahr 2012 endgültig im Mainstream angekommen ist. Die Nerds, das sind nicht mehr die seltsamen Technikfreaks, das sind Menschen wie du und ich. Und manche werden zu Stars.
Facebook-Chef Mark Zuckerberg grinst vom Titelblatt des People-Magazins, der Statistik-Blogger Nate Silver wird in Talkshows gefeiert, weil er das Ergebnis der Präsidentschaftswahl in allen fünfzig Bundesstaaten der USA richtig prognostizierte, und Apple-Gründer Steve Jobs ist auch nach seinem Tod allgegenwärtig: Walter Isaacsons Jobs-Biografie klebt in den Bestsellerlisten, und zwei neue Hollywood-Filme widmen sich Jobs’ Leben.
Dass ihn einmal Zehntausende bewundern würden, hätte sich Bobak nie träumen lassen: „Ich hielt mich für alles andere als cool.“ Er habe viel Science-Fiction gelesen, erzählt Bobak, der wegen des Jobs seines Vaters in Japan zur Highschool ging. Heute wirkt er mit Jeans, schwarzen Espadrilles und Karohemd wie einer der vielen Schauspieler, die in Los Angeles auf den Durchbruch hoffen, oder wie der Gitarrist einer Indieband. Als Teenager glänzte Bobak in Mathe und Physik, doch an der American School in Tokio wurden, genau wie in den USA, vor allem die guten Sportler bewundert.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Bobak.
Als 1997 die Sonde „Pathfinder“ auf dem Mars landet, staunt Bobak. Er sieht die Bilder von der Oberfläche des Mars und denkt: Für die NASA will ich auch arbeiten. „Ich hatte selbst viele Vorurteile gegenüber Ingenieuren, als ich mich 2003 bewarb“, sagt Bobak. Würde die NASA jemanden wie ihn einstellen, einen 23-Jährigen ohne dicke Brille, dessen Füße nicht in „Socken und Sandalen“ steckten? So dachte er. Bobak bekam den Job und merkte schnell, dass seine Kollegen normale Typen waren, deren Privatleben sich nicht nur im Keller vor einem Bildschirm abspielte.
„Die Leute in meinem Team sind wie ich: Viele sind tätowiert oder haben gefärbte Haare. Unsere Arbeit erfordert Kreativität, und je verschiedener die Leute, umso besser das Ergebnis“, sagt Bobak. Aus Spaß begann er 2008, seine Frisur an bestimmte Ereignisse anzupassen: Beim fünften Systemtest für die „Curiosity“-Mission rasierte er sich ein V in die Schläfen. Zum Start von „Curiosity“ färbte er sich den Schopf in Rot- und Goldtönen, so wie die Flammen der Rakete. Vor der Landung forderte sein Chef das Team auf, über Bobaks Frisur abzustimmen. Die meisten wünschten sich die Farben der US-Fahne in den Haaren des Flugdirektors.
Sein plötzlicher Ruhm kam für alle im Jet Propulsion Laboratory der NASA völlig überraschend, erzählt Bobak. „Für uns war es normal, dass ich komische Dinge mit meiner Frisur anstelle.“ Als er am 6. August aufwachte und zu seinem iPhone griff, war das Mailfach voll. Für jeden der 40 000 neuen Follower hatte Twitter eine Mail geschickt; und dazu kamen viele Nachrichten via Facebook und SMS von Freunden, die ihm gratulierten oder die ihn aufzogen. „Es war wirklich verrückt, das alles kam aus dem Nichts“, erinnert sich Bobak, der seitdem an Schulen und Universitäten für die Wissenschaft wirbt. Bei der Parade zu Obamas zweiter Amtseinführung lief er neben einem Modell des „Curiosity“-Wagens mit. „Es war bitterkalt, aber viele Erwachsene und Kinder haben uns zugejubelt“, schwärmt Bobak. Er geht entspannt mit seiner neuen Popularität um. „Wenn mein Mohawk dazu führt, dass sich mehr Kinder für Technik interessieren, dann ist das doch großartig.“ Dass sein Beispiel inspiriert, das zeigt auch seine Facebook-Seite, auf der die Fotos von Knirpsen zu sehen sind, die sich an Halloween als Mohawk Guy verkleidet haben und nun Forscher werden wollen.
Das neue Image der Nerds sei ohne Internet und Social Media nicht zu erklären, sagt Bobak. Auf Facebook, Google Plus und Twitter können sich Gleichgesinnte austauschen: „Ich dachte früher, ich sei der einzige Teenager, der Star Trek: The Next Generation guckt. In Wahrheit gab es sehr viele, doch die waren unerreichbar weit weg.“ Heute wüssten Schüler, dass überall auf der Welt Gleichaltrige an Computerprogrammen schreiben oder in der Garage basteln. Anders als noch 1997 bei der „Pathfinder“-Mission veröffentlicht die NASA Videos und Bilder des Rovers „Curiosity“ im Internet. Die Arbeit der Forscher wird also sichtbar wie nie zuvor. Schüler, die sich jetzt für einen Job bei der NASA interessieren, schreiben Bobak einfach. Und er versucht, möglichst viele Mails und Tweets zu beantworten.
Bobak vermutet, dass erst die Smartphones vielen Menschen vor Augen geführt haben, wie sehr unser Leben von Technik durchdrungen ist. All die Apps zum Beispiel – jemand muss die doch programmiert haben. „Ich glaube, dass es heute für Lehrer leichter ist, Kinder für Technik zu interessieren“, sagt Bobak. „Es gilt als cool, gut mit Computern umgehen zu können, weil sie das Leben leichter machen.“ Es gibt kaum mehr Lebensbereiche, die nicht vom Wissen der Nerds geprägt sind. In der Finanzwelt läuft nichts ohne Algorithmen. Barack Obama verdankt seinen Wahlsieg auch Menschen wie Harper Reed. Der 34-jährige Chief Technology Officer sorgte dafür, dass Obamas Wahlkampfstrategen auf aktuelle Daten über Wählerregistrierung und Umfragen zugreifen konnten. Er half dabei, dass Dutzende Wählergruppen maßgeschneiderte Werbebotschaften erhielten. Auch Mitt Romney, der republikanische Herausforderer, hatte eine Milliarde Dollar für seine Kampagne zur Verfügung und war doch hoffnungslos unterlegen. Nach Obamas Sieg erschienen Texte über Harper Reed. Die Botschaft: Ohne Nerd geht nichts. Dass Reed genauso wie der Statistiker Nate Silver von der New York Times so viel Aufmerksamkeit bekommt, liegt nicht zuletzt am Auftreten der beiden. Nate Silver ist ein eloquenter, unerwartet lustiger Kerl. Harper Reed passt mit seiner kantigen Brille und dem roten Hipster-Vollbart so gar nicht zum Politbetrieb. Auch Bobak vermutet, dass die Reaktion auf sein Outfit mit veralteten Bildern zu tun hatte: „Der letzte NASA-Film war Apollo 13. Der spielte 1970. Alle trugen weiße Hemden mit schwarzer Krawatte und wirkten schrecklich steif.“ Vielleicht ändert sich dieses Bild jetzt. Schon in den Sechzigerjahren, erzählt Bobak, hätten sich die Popularität der Science-Fiction-Filme und die in Kalifornien boomende Raumfahrtindustrie gegenseitig inspiriert. Gerade die Gründerszene im Silicon Valley beflügelt zurzeit die Unterhaltungsindustrie. Auf dem Kabelsender Bravo ging eben die erste Staffel der Realityshow Start-Ups: Silicon Valley zu Ende. Es war der Versuch, den Alltag von Programmierern einer größeren Zahl von Menschen näherzubringen. Hermione Way, Video-Bloggerin und Protagonistin der Show, verkündete stolz: „Nerds sind die Rockstars des 21. Jahrhunderts.“ Bobak ist da nicht so sicher. Er sei, sagt er, ein ganz normaler Typ, der seine Arbeit liebt. Und das ist bestimmt eine sehr gute Beschreibung für einen Nerd.
Text: matthias-kolb - Foto: Andy J. Scott