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Meine Mutter, ihr Date und ich
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Das Dorf, in dem Marlene und Luise wohnen, ist winzig: Die Nachbarn starren schon, wenn nur ein fremdes Auto vorbeifährt, falls überhaupt jemand auf der Straße ist. Kein Ort, um sich unbemerkt zu verlieben. Und doch soll es genau darum in dem Gespräch heute gehen: um Liebe. Marlene und Luise sitzen also am Wohnzimmertisch, es gibt vegane Muffins, ein hellbrauner Welpe wuselt herum. Marlene hat sich vor etwa zwei Jahren von ihrem Mann getrennt, seitdem sucht sie einen neuen Partner. Online.
Luise: Manchmal gucken wir Profile von Männern auf Datingseiten zusammen an und kommentieren die. Dann sage ich schon: „Der sieht doch nett aus – für sein Alter.“
Marlene: Manchmal fragst du auch: „Was tut sich auf Parship? Mit wem telefonierst du?“
Luise: Aber optisch haben wir verschiedene Vor-stellungen. Diesen Chemiker, den du gut fandest – den fand ich jetzt nicht so toll. Aber er muss ja dir gefallen, nicht mir.
Marlene und Luise sprechen über Männer, als wären sie beste Freundinnen. Sind sie aber nicht. Sie sind Mutter und Tochter. Luise ist 18, Marlene Mitte 50. Beziehungen und Partnersuche sind ein wichtiges Thema zwischen den beiden – in beide Richtungen. Luise hat sich lange Zeit einen Freund gewünscht; als sie 16 war, trennten sich ihre Eltern, und Marlene ist auf einmal auch wieder Single. Eine ungewohnte Situation für die Tochter, die ihre Mutter bisher nur in Kombination mit dem Vater kannte. Eines Nachts meldet Marlene sich beim Onlinedating an, „aus Neugier und um nicht vor dem Fernseher zu sitzen“, wie sie heute am Wohnzimmertisch lachend sagt. Sie ist lebenslustig, Typ Künstlerin, graue Haare in wallender Mähne. Als die ersten Männer schrieben, musste sie ihrer Tochter davon erzählen:
Luise: Ich wollte wissen: Wer ist das? Gibt’s Bilder? Als du das erste Mal verliebt warst, hat es mich amüsiert zu sehen, wie du rumgehüpft bist, wenn er angerufen hat. Du hattest einen richtigen Höhenflug damals.
Marlene: Als ich das erste Mal einen Mann nach Hause brachte, war das für dich aber trotzdem ein Hammer. Du hast gesagt: „Den kannst du vergessen, Mama!“
Luise: Ich habe ihn anfangs ignoriert. Es war halt doch komisch , dass du auf einmal einen Freund hattest. Bis dahin waren wir ja länger zu zweit gewesen.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Einer Studie des Bundesfamilienministeriums zufolge steigt die Zahl der Alleinerziehenden mit minderjährigen Kindern kontinuierlich. Im Jahr 2010 lebten 17 Prozent aller minderjährigen Kinder mit nur einem Elternteil zusammen, in neun von zehn Fällen mit der Mutter. Da viele Elternpaare sich erst trennen oder scheiden lassen, wenn die Kinder nicht mehr ganz klein sind, ist ein Fünftel der Kinder in Alleinerziehenden-Haushalten älter als 15. Ein kompliziertes Alter für Beziehungen: Die eigenen kommen gerade erst in Gang, aber man versteht genau, was es bedeutet, wenn Mama einen Mann mit nach Hause bringt.
Sind Vater und Mutter noch zusammen, hinterfragen die wenigsten Jugendlichen die Beziehung ihrer Eltern. Erst wenn es schlecht läuft, müssen sie sich darüber Gedanken machen. Und nach einer Trennung erleben sie die Eltern plötzlich in einer ganz neuen Rolle: in einer unsicheren, einer suchenden. Die frisch getrennten Alleinerziehenden wollen in den seltensten Fällen allein bleiben. Verständlich, das Durchschnittsalter für eine Scheidung liegt in Deutschland bei Anfang 40, es bleibt genug Zeit, um von vorn anzufangen. Um zu flirten, zu daten, sich neu zu verlieben. Oft ist die Anmeldung zum Onlinedating der erste Schritt in dieses neue Leben. Und die Kinder bekommen diesen Schritt mit. Die Eltern lassen die Kinder teilhaben, sie erzählen, sie fragen. Aber wie sehr wollen und sollen die Kinder in diesen Prozess überhaupt eingebunden werden?
Die Psychotherapeutin Marianne Rose setzt sich in ihrer Praxis in Bonn vor allem mit den Fällen auseinander, in denen die Kinder zu stark von ihren Eltern in Anspruch genommen werden: „Parentifizierung“ nennt man dieses Phänomen. Kinder werden zu Eltern und umgekehrt. „Trennungen sind immer schwierig und auch für die Eltern oft eine instabile Lebensphase. Die Kinder nehmen ihre Eltern dann auf einmal als bedürftige Wesen wahr“, sagt Rose. Und dann verschwimmen die Grenzen: zwischen Neugier und Überforderung bei den Kindern. Zwischen dem Wissen der Eltern, dass nicht alle Beziehungsdinge die Kinder etwas angehen, und dem Gefühl, sich mit jemandem über die neuen Erlebnisse austauschen zu müssen. „Zunächst finden die Kinder es toll, wenn sie für die Eltern auch Ansprechpartner in Liebesdingen werden. Sie fühlen sich wertgeschätzt. Oft schlägt das aber auch in Überforderung um. Diese Kinder kommen dann Jahre später zu mir in die Praxis und erzählen, dass sie sich von ihren Eltern ausgenutzt fühlen“, sagt Rose. Denn natürlich teilen Eltern auf Partnersuche nicht nur positive Erlebnisse mit den Kindern. Die bekommen auch mit, wenn ein Date die Hölle war, der neue Freund fremdgeht oder Schluss macht. Enttäuschungen gehören dazu.
Auch Marlene hat nach ihrer Trennung schlechte Erfahrungen gemacht: Der erste Mann, den sie zu Luise nach Hause bringt, trennt sich nach einem Jahr von ihr – per Mail. Danach Funkstille. Was man aus Teenie-Beziehungen kennt, betrifft auf einmal auch Erwachsene. Marlene leidet darunter, keine angemessene Erklärung für die Trennung zu bekommen, und Luise leidet mit: Sie schauen Rosamunde-Pilcher-Schnulzen und lackieren sich auf der Couch gemeinsam die Zehennägel. Eine gute Zeit, sagen beide. Allerdings ist es bereits die zweite schlechte Erfahrung, die sie gemeinsam verarbeiten müssen.
Marlene: Eines Nachts schrieb mir ein angeblich alleinerziehender Vater in schlechtem Deutsch. Zunächst dachte ich, dass da was nicht stimmt. Und dann: Vielleicht ist er Engländer? Wir haben auf Englisch geschrieben, und von da an bin ich mit tollen Mails und Fotos bedient worden – von ihm, seinem angeblichen Sohn, seinem Haus in England. Es ging rasant schnell.
Luise: Er hat dir Mails mit Herzchen geschickt, und als du erzählt hast, dass du diesen Maler magst, hat er – angeblich selbst nachgemalte – Bilder von dem geschickt. Für mich sahen die abgepaust aus. Aber du warst überzeugt. Was er geschrieben hat, das war sehr gezielt auf dich ausgerichtet.
Marlene: Ich habe dann auch mit ihm geskypt.
Luise: Aber das war nicht er. Das waren Fake-Aufnahmen, die ständig dasselbe gezeigt haben: einen Mann, der schreibt und immer wieder in die Kamera lächelt. Nach einer Zeit sollte ich ihm hallo sagen. Ich habe ihm gewinkt, und er hat auch aufgeguckt, aber nicht zurückgewinkt. Ich fand das schon komisch.
Marlene ist das erste Mal seit der Trennung von ihrem Mann verliebt. Ihre Tochter freut sich für sie, ist gleichzeitig aber misstrauisch. Aber soll sie das der Mutter sagen? Sie verletzen? Marlene will den Engländer unbedingt in London treffen. Er ist begeistert, sagt aber kurzfristig ab, nachdem sie einen Flug gebucht hat. Dafür schickt er weiter Fotos: Bilder, auf denen er seriös in Uniform posiert. So geht es immer weiter, drei Monate, zu einem persönlichen Treffen kommt es nie. Marlene ist auf einen Love-Scammer hereingefallen, auf einen Mann, der Frauen in Onlineforen anspricht und auf ihre Bedürfnisse eingeht, nur um am Ende Geld zu fordern.
Luise: Angeblich arbeitete er in Nigeria in einem Kinderprojekt, und sein Sohn wurde krank. Er brauchte dringend Geld. Als Mama gesagt hat, dass sie ihm keines geben kann, kam ein böses Emoticon zurück. Da wurde sie skeptisch und hat mir die Unterhaltung gezeigt. Wir haben die Uniformbilder noch einmal genauer angeguckt: Das Namensschild auf der Uniform war verpixelt, der Kopf in das Bild montiert. Für Mama war das traurig, ich fand es aber auch ein bisschen spannend.
Marlene: Ich habe mich geschämt, dass ich so einem Betrüger auf den Leim gegangen bin. Und wie ich ihn mir schöngeredet habe! Ich bin danach in ein tiefes Loch gefallen.
Hätte Marlene nicht mit ihrer Tochter gesprochen, wäre das Schauspiel vermutlich viel länger weitergegangen. Luise übernimmt Verantwortung: Sie tröstet die Mutter, sagt ihr, dass der Richtige schon noch kommen wird, dass sie liebenswert ist. Sie tut das alles gern. Aber ist das als Tochter ihr Job?
Psychologin Marianne Rose findet, Luise bekomme damit eine Verantwortung, der sie nicht gerecht werden könne. Über die Grenzen zwischen Eltern und Kind sagt sie: „Zu sagen, dass man neu verliebt ist – das ist in Ordnung. Aber wenn Kinder als Hilfskraft in die Partnersuche eingespannt werden, geht es zu weit.“ Dann sei Abgrenzung vonseiten der Kinder angesagt.
Im Gegensatz zu Luise hat Paul häufiger das Bedürfnis, zu seiner Mutter Stefanie „Nein“ zu sagen. Als sie sich von seinem Vater trennte, kam er in die Grundschule. Seitdem hat Paul einige Männer an der Seite seiner Mutter ein und aus gehen sehen. Im kommenden Herbst wird er nun ausziehen, ein Studium beginnen. Paul ist eher schweigsam, seine Mutter hat ihn zu diesem Gespräch ein bisschen überreden müssen. Stefanie, 56, ist ein grundoptimistischer Typ. Sie arbeitet hin und wieder als Securitykraft bei Fußballspielen. Als sie erklärt, sie könne somit sehr gut auf sich selbst aufpassen und brauche mit Paul keinen Beschützer, feixt er. Richtig aus sich heraus kommt er erst, als Stefanie von ihren bisherigen dreißig Dates erzählt: „Was, so viele?! Ich habe vielleicht fünf von denen gesehen!“, platzt es aus ihm heraus. Stefanie daraufhin locker: „Ich habe die halt nicht alle mit nach Hause gebracht.“
Paul: Als meine Mutter sich vor ein paar Jahren bei Kwick registriert hat – das war ein Vorläufer der jetzigen Social Networks –, war ich skeptisch. Ich selbst war da früher auch, bin dann aber wie die ganzen anderen jungen Leute zu Facebook abgewandert. Seitdem ist es auf Kwick richtig schlimm.
Stefanie: Was ich da im Chat erlebt habe – und ich dachte wirklich, mir sei nichts Menschliches fremd. Da ging es nur um dubiose Machenschaften und sexuelle Kontakte. Wenn man dann so unbedarft ist wie ich anfangs, hört man sich erst mal alles an. Weißt du noch der aus Amerika? Der Geld von mir wollte?
Paul: Aber der war ja nicht echt, das habe ich dir doch damals schon gesagt!
Stefanie: Paul ist so was wie mein Berater, er kennt sich mit dem Internet ja viel besser aus.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Vielleicht ist es gerade die Digitalisierung, die unser Eltern-Kind-Verhältnis nachhaltig verändern wird. Die Anmeldezahlen auf Online-Dating-Portalen steigen rasant, im Jahr 2011 waren 7,3 Millionen Menschen in Deutschland dort registriert. Oft sind es die Älteren, die nicht mehr durch Zufall in der Uni oder auf einer Party eine neue Liebe finden und deshalb auf Datingseiten ausweichen. Gleichzeitig kennen ihre Kinder sich im Netz viel besser aus. Psychotherapeutin Marianne Rose muss bei diesem Thema lachen: Sie frage selbst immer ihre Tochter, wenn sie mit dem PC nicht zurechtkommt, gibt sie zu. Allerdings gehe es dabei nicht um Onlinedating. „Sich von den Eltern abzugrenzen, Nein zu sagen, wenn es zu viel wird – das ist ungemein wichtig“, sagt Rose. „Da entwickelt sich momentan eine falsch verstandene Offenheit zwischen Eltern und Kindern. Die Kinder müssen doch erst einmal ihr eigenes Leben sortieren, das ist schon schwer genug.“
Paul: Manchmal erzählt meine Mutter mir Sachen, die ich gar nicht hören will. Das merkt sie aber schnell. Die Profile, die meine Mutter bei diesen Börsen hat, kenne ich beispielsweise nicht. Das will ich nicht wissen.
Stefanie: Dann würdest du ja sehen, wie ich mich verkaufe! Wobei ich auch denke, es würde dich entlasten, das zu sehen – dann wüsstest du zumindest, dass es nicht anrüchig ist. So denkst du dir ja sonst was.
Paul: Ich denke da gar nichts drüber. Ich will es nur einfach nicht sehen.
Paul und Luise werden beide in nächster Zeit ausziehen. Sie haben beide bereits eigene Beziehungen, über die sie viel (Luise) bis wenig (Paul) mit ihren Müttern sprechen. Beide sagen, sie würden sich vor allem wünschen, dass ihre Eltern jemanden finden, mit dem sie glücklich sind.
Auch wenn Abgrenzung für ein Kind von Alleinerziehenden nicht immer einfach ist – eine Hoffnung gibt es: „Mit dem Älterwerden ändert sich auch das Verhältnis von Kindern zu ihren Eltern. Schließlich werden die Kinder irgendwann auch Erwachsene“, sagt Marianne Rose. Wie lange das dauert? Sie überlegt lange. Dann sagt sie: „Meiner Erfahrung nach ab dem vierzigsten Lebensjahr.“
Text: charlotte-haunhorst - Illustration: Jan Robert Dünnweller