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Konstantin, ärgere dich nicht!

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Die Regeln: eine normale Partie „Mensch, ärgere Dich nicht‟. Sonderregel: Schmeißt der Reporter eine Figur des Interviewten, darf er eine unangenehme Frage stellen. Umgekehrt darf der schamlos bewerben, was er will, wenn er es schafft, eine Figur des Reporters zu schmeißen.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Man erwartet, dass gleich Graf Dracula zur Tür hereinkommt. Jedenfalls wenn man liest, wie Konstantin Gropper bislang in Artikeln beschrieben wurde: „Parade-Emo“, „morbid“, „blass geschminkt“. Bilder sind das, die sich wohl verselbstständigt haben, seit der 30-Jährige mit seiner Band Get Well Soon bekannt wurde. Schließlich klingt die Musik manchmal, als hätten Nick Cave und Johann Sebastian Bach unter großem Streit einen Film von Roland Emmerich vertont: barocke Arrangements, bis ins Detail durchdachte Produktion, Pathos in gut. Tatsächlich betritt ein Typ das Lokal in Memmingen, der auch Volvo fahren könnte: gemütlich-freundliches Wesen, gesunde Bräune, etwas Bauch. Er wählt „Blau, nein, Gelb“ und antwortet auf die Frage, wann er das letzte Mal richtig gescheitert ist, nach langem Überlegen: „Ich bin relativ verwöhnt, was das anbelangt. So richtig auf die Schnauze geflogen bin ich noch nie.“ Wie zum Beweis würfelt er genau da die erste Sechs des Spiels und darf eine Figur aufs Brett ziehen - los also.

jetzt.de: Kannst du Scheitern für dich definieren?
Konstantin Gropper: Ich würde sagen: ein selbst gestecktes Ziel nicht zu erreichen.

Wirklich scheitern kann man also nur an eigenen Ansprüchen?
Auf jeden Fall. Scheitern ist etwas sehr Persönliches. Ich bin bei meiner Arbeit sehr lange nur meinem eigenen Urteil unterworfen, bevor ich überhaupt externe Ansprüche an mich heranlasse.

Und dabei erlebst du nie Rückschläge?
Es passiert natürlich schon mal, dass ich Mist mache. Aber ich stecke mir meistens sehr früh ein Ziel und arbeite drauf hin. Irgendwie bin ich bislang noch immer dort angekommen - oder wenigstens in der Nähe. Kunst ist da außerdem sehr dankbar. Man kann sich vieles schönreden.  

Sind Rückschläge im Team diffuser oder nimmst du dir das genauso zu Herzen?
Es ist natürlich diffuser, aber auch im Team muss jeder wissen, was seine Aufgabe ist – und damit auch, ob er sie gut erfüllt hat. Dazu gehört übrigens vor allem, zu wissen, was nicht seine Aufgabe ist.  

Kannst du das: erkennen, was nicht deine Aufgabe ist? Sonst ist ja alles deine Aufgabe.
Es ist tatsächlich nicht ganz einfach. Ich habe einen sehr hohen Anspruch und bin nicht besonders kompromissbereit. Aber man lernt da dazu – das macht Teamarbeit ja auch aus.  

Sind Albenkritiken für dich ein Maßstab?
Kritiken lese ich nicht.  

Kann man dem denn wirklich entkommen?
Es ist schwierig, weil alle Leute in meinem Umfeld mir immer zeigen wollen, was sie entdeckt haben. Ich kann hundert Mal sagen: „Ich will’s nicht wissen!“ Und trotzdem schicken sie mir wieder Rezensionen.  

Kannst du mit Kritik schlecht umgehen?
Das auch, aber in dem Fall ist das ja eine eher berechtigte Existenzangst. Wichtiger ist: Beim ersten Album habe ich alles gelesen und dabei festgestellt, dass eine öffentliche Figur erschaffen wurde, die nicht so ist, wie ich bin – oder zumindest, wie ich mich fühle. Da habe ich mich erst ziemlich reingesteigert und dann aufgehört, Artikel über mich zu lesen. Wenn ich es jetzt doch mal tue, wird mir manchmal beinahe schlecht.  
Weil du den Typen nicht magst, für den dich alle halten?
Nein. Eher, weil dieses überlebensgroße Bild einen ziemlichen Druck aufbaut. Eigentlich ist mir die Person nicht unsympathisch. Es könnte schlimmer sein. Das Image ist aushaltbar.  

Abgesehen davon, dass alle denken, du würdest gerne Wein trinken.
Das stimmt! Woher kommt das?  

Von der Schwermut, die deine Musik manchmal durchzieht.
Dabei kommt die vom Bier!  

Du benutzt in Interviews oft Begriffe wie „Recherche“ oder „Analyse“, wenn du über deine Arbeit sprichst.
Die gehören zu der Phase, bevor ich mit dem Schreiben anfange. Zur Themensuche. Ich schöpfe sehr ungern aus meinem Privatleben. Deshalb brauche ich ein Thema, an dem ich alles aufhängen kann. Oder vielleicht besser: eine Sprache. Ich mag einfach keine Tagebuchtexte.

Warum?
Weil’s mich bei anderen auch nicht interessiert. Ich kenne keinen Künstler, der ein so spektakuläres Leben hat, dass man davon die ganze Zeit singen müssten.  

Waren Musikerbiographien früher extremer?
Das kann ich nicht beurteilen. Manchmal habe ich aber den Eindruck, es gibt bei Musikerkarrieren im Rückblick oft etwas, das ich mal dem Genre „unautorisierte Autobiographie“ zuordnen würde: Legendenbildung. Aber vielleicht hat Keith Richards auch wirklich so ein Leben geführt wie er es beschreibt - keine Ahnung. Ich jedenfalls habe im Alltag genau die gleichen Probleme wie alle anderen auch.

Zum Beispiel?
Ich glaube, wenn ich keine Familie hätte, würde ich auf einen Bauernhof ziehen und innerhalb von drei Jahren zum Messie werden. Und dann würde irgendwann RTL 2 klingeln, weil sich hinter meiner Tür die Briefe stapeln. Weil ich vor allem Angst habe, was mit Rechnungen und Buchhaltung zu tun hat. Wenn ein Brief mehr als zwei Zahlen beinhaltet, mache ich den gar nicht erst auf.

In diesem Moment schlägt er die erste Figur - und überlegt sehr lange, was er anpreisen soll: „Ich habe gerade das Casper-Album produziert. Aber der hat es nicht wirklich nötig, dass ich für ihn werbe. Also: Muso, ein Rapper aus Heidelberg. Einer der relevantesten im Augenblick.“

Das kann ja sehr gefährlich werden, mit der Post.
Allerdings. Steuerhinterziehung, obwohl man’s gar nicht weiß. Aber erkläre das mal einem Richter.

Zack! Endlich schlage ich eine Figur. Und packe meine Frage zum schlechten Ruf der Popakademie aus, an der er gelernt hat:

Wie cool findest du die Popakademie wirklich?
Na ja, das ist ja genau ihr Hauptproblem: dass sie eben überhaupt nicht cool ist. Aber das muss sie auch nicht sein. Sie ist eine ernst zu nehmende Bildungseinrichtung, der ich viel zu verdanken habe. Schon weil ich über sie in meinen Beruf gefunden habe.

Moment: Stand der Wunsch, Musiker zu werden, nicht schon fest, als du dort angefangen hast?
Nein, nein. Die Popakademie kam nur als Idee auf, um es mal zu versuchen mit der Musik. Ich bin ja Schwabe. Ich brauche immer eine offizielle Ausrede. Aber ich habe nie geglaubt, dass ich je von dem leben kann, was ich da mache.

Es ist spannend zu verfolgen, wie Gedanken bei Gropper zu Sätzen werden: vom Ziel her geplant, bedächtig arrangiert. Hat er einen Gedanken gefasst, lässt er sich bei dessen Formulierung nicht unterbrechen. Als könne er die Außenwelt dimmen - die Fragen, die Spielfiguren, die er bewegt, die Sechs, die er würfelt. Vermutlich komponiert er auch so.

Hat unsere Generation ein größeres Sicherheitsbedürfnis als frühere?
Auf der einen Seite schon. Allerdings steht dem ein Übermaß an Möglichkeiten gegenüber. Ich habe das Gefühl, dass aus dem Selbstverwirklichungsdrang beinahe ein Selbstverwirklichungszwang geworden ist. Ein Druck, etwas Besonderes zu machen.

Hier schlägt er noch eine Figur - und überlegt wieder lange. Selbstvermarktung ist nicht seine Stärke. „Ich empfehle meinen aktuellen Lieblingsautor: Arnold Stadler - ‚Der Tod und ich, wir zwei’. Sehr lustig. Aber auch sehr deprimierend.“

Ist Musiker heute ein bürgerlicherer Beruf als früher?
Es ist auf jeden Fall einer, der Disziplin braucht wie jeder andere. Ob das früher wirklich anders war, weiß ich nicht. Aber nimm Nick Cave: Der hat jahrelang Heroin gespritzt, und inzwischen hat er ein Büro, in das er um neun Uhr geht, um Songs zu schreiben.  

Neben Get Well Soon produzierst du anderen Künstler, vertonst Filme und Theaterstücke: Siehst du dich eigentlich eher als Solokünstler mit vielen Nebenjobs, oder als Produzent/Komponist mit einem Soloprojekt?
Schwer zu sagen. Die meisten Jobs habe ich natürlich schon der Tatsache zu verdanken, dass Get Well Soon einen gewissen Bekanntheitsgrad hat. Deshalb würde ich das noch immer als mein Hauptprojekt bezeichnen. Finanziell sähe die Gewichtung aber wahrscheinlich anders aus.  

Aber die Zeiten, in denen man einfach Musiker in einer Band sein konnte, sind tatsächlich rum, oder?
Eher schon, ja. Musiker-Musiker ist da natürlich noch mal was anderes, als wenn du selbst Musik schreibst: Der Urheberanteil ist beim Verdienst schon erheblich. Wenn das wegfällt und du dich nur über Konzerte und Studiojobs finanzieren musst, solltest du schon sehr geschäftstüchtig sein und entweder in einer sehr großen Band spielen oder in vielen kleinen. Das wäre auch nicht mein Leben. Weil ich ja auch gerne zu Hause bin.  

Auch interessant: Anders als die meisten zieht er seine Figuren, ohne die Felder abzuzählen. Ist das Fokussierung? Nebensächlichkeiten schnell erledigen, um wieder Zeit für die wichtigen Dinge zu haben? Oder doch das flüchtig Desinteressierte des Künstlers? Schwer zu sagen.  

Deshalb hast du in unserem Pop-Poesiealbum beim Punkt „Ich gehöre auf die Bühne, weil:“ wohl auch geschrieben: „ich sonst Ausfall zahlen muss“.
Auf der Bühne stehe ich schon sehr gerne. Aber ich gehe tatsächlich nicht so gerne auf Tour. Weil es anstrengend ist. Wobei auch das sehr von den Umständen abhängt: Ich würde mal behaupten, dass ich das geschrieben habe, als ich gerade auf Tour war. Weil immer, wenn ich gerade auf Tour bin, denke ich mir eher: Och ne. Und wenn ich dann zu lange zu Hause war, will ich wieder auf Tour.  

Gibt es eine kommerzielle Größe, die du nie erreichen wollen würdest?
Nein, und ich ich finde es auch extrem doof, so etwas zu sagen. Wenn man macht, was man will, und dabei natürlich wächst, warum sollte man das dann selbst boykottieren? Wenn das, was ich mache, Leute interessiert, freue ich mich. Wenn es viele interessiert, freue ich mich noch mehr. Ich käme nie auf die Idee, Leute von meiner Musik auszuschließen.  

„Indie“ ist für dich also kein Wert an sich?
Ich glaube, Menschen, die das sagen, rechtfertigen für sich selbst, dass es nicht mehr interessiert.  

Und schon droht Gefahr! Soeben zieht Konstantin Gropper die letzte Figur vor die Zielfelder!

Dein Vater ist Musiklehrer. Musstest du deshalb weniger kämpfen, als du gesagt hast: Ich probiere das jetzt wirklich mit der Musik als Beruf?
Nein, nein. Mein Vater ist auch in erster Linie Schwabe und dann Musiker.

Nicht direkt nach diesen Worten, aber sehr bald danach gewinnt Gropper das Spiel mit deprimierenden drei Figuren Vorsprung.

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