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Hilfsbereit
Auf Heimatbesuch bei meinen Eltern erledige ich häufig digitale Hausarbeiten. Ich lade Apps herunter, aktualisiere Virensoftware, schließe Drucker an. Alles, was so anfällt. Und es fällt oft was an.
Solche generationsübergreifende Hilfe in Sachen Digitalisierung ist Alltag. Auch die Große Koalition hat die Idee aufgegriffen. Das Familienministerium soll ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) Digital einführen. Sonderlich weit ist das Ministerium noch nicht gekommen in seiner selbst betitelten „Prüfphase“. Aber klar ist: Im Prinzip soll das Netzjahr so funktionieren wie das bisherige FSJ, nur eben mit Computern. Die Freiwilligen sollen Senioren im Altenheim erklären, wie man mit den Enkeln in einer anderen Stadt skypt. Oder im Kindergarten zeigen, wie Kinder sicher auf Facebook unterwegs sind. Wer programmieren kann oder sich mit Blogging-Software auskennt, zieht eine neue Vereinswebsite hoch oder bastelt eine App für eine Kunstausstellung.
Die Idee ist gut: Das Netzjahr hilft nicht nur dem kleinen Museum, das mit dem Internet so vertraut ist wie Mark Zuckerberg mit edlen Anzügen. Es ist auch eine Gelegenheit für Bewerber, sich intensiver mit Code und Algorithmen zu beschäftigen, als sie das beim täglichen Facebook-Besuch tun dürften.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Oft werden meine Generation und ich „Digital Natives“ genannt, also Eingeborene in einer digitalisierten Welt. Die Vorstellung stimmt nicht, finde ich. Auch wir Jüngeren müssen erst lernen, uns in dieser Welt zu bewegen. Das mag selbstverständlicher und spielerischer passieren als bei Älteren – aber passieren muss es. Das Problem: Unser Interesse reicht oft nicht sehr weit. Es endet, wenn wir wissen, wie man Informationen im Netz googelt, wie man Nachrichten verschickt und feststellt, ob der Adressat sie gelesen hat. Was die App im Hintergrund an Informationen sammelt? AGB akzeptiert. Wie das Ranking der Suchtreffer zustande kommt? Wird schon passen. Wir benutzen Technik, haben aber eigentlich keine Ahnung, wie sie funktioniert.
Das digitale FSJ könnte das ändern. Wer eine Vereinswebsite aufbauen will, muss sich erst einmal eine dieser allgegenwärtigen URLs besorgen – die kommen nicht automatisch aus der Facebook-Timeline. Und irgendwo müssen die Informationen, die mal ins Netz sollen, gespeichert werden. Also muss man Platz auf einem Server anmieten. Wie geht das? Wie präsentiere ich die Informationen im Netz gut? Wie erreiche ich meine Zielgruppe, zum Beispiel über soziale Netzwerke? All das könnten zukünftige FSJler in ihrem Digitaljahr in konkreten Projekten lernen – es wäre ein „Grundkurs Internet“.
Ein Netzjahr für junge Leute: Das klingt so einleuchtend, dass ich beim ersten Hören das Gefühl hatte, dass es so etwas doch schon lange geben muss. Dass die Politik längst reagiert hat. Immerhin ist ständig die Rede von der neuen „Weltsprache Code“, von Programmierinitiativen in Schulen, von den MINT-Fächern, die man danach, bitte schön, studieren soll. Niemand darf mehr prahlen, in Mathe immer einen Fünfer gehabt zu haben. Das I in MINT steht für Informatik – auch so ein Fach, dessen Absolventen gefragt sind und geldmäßig ziemlich gut dastehen. Ein freiwilliges Digitaljahr könnte Lust auf einen Job machen, der mit Informationstechnik zu tun hat – auch wenn längst nicht jeder neue FSJler programmieren muss. Eigentlich sollte es im Interesse der Politik liegen, ein solches Projekt schnell zu starten.
Die Idee mit dem Digitaljahr ist aber erst vor etwa drei Jahren entstanden, auf einer Bahnfahrt nach Berlin. Nico Lumma, Co-Vorsitzender des SPD-nahen Netzvereins D64, beratschlagte sich im Zug mit einer Kollegin, wie junge Leute dazu gebracht werden könnten, sich mehr mit digitaler Technik zu beschäftigen. „Die Jugendlichen können durch ein freiwilliges Netzjahr viel lernen. Und den Vereinen und Verbänden hilft es ungemein, wenn ein junger Mensch frischen Wind in den Laden bringt“, sagt Lumma. Er hofft auf spannende Projekte, bei denen die FSJler mehr sind als die Erklärbären fürs Internet oder bloße Technik-Hiwis. „Ich stelle mir so einen FSJler nicht als billige Arbeitskraft vor, die Druckerpatronen austauscht“, sagt Lumma. „Es geht mir darum, dass junge Leute sich in einem Bereich austoben können, der bisher bei vielen Trägereinrichtungen brachliegt.“
Lummas Idee kam an. Die SPD-Fraktion brachte sie im Frühjahr 2013 als Antrag im Bundestag ein. Schon nach den Bundestagswahlen im September landete sie dann im Koalitionsvertrag von Union und SPD, unter dem Punkt „Digitale Bildung und Forschung“ – Warp-Speed in der Politikzeitrechnung. Seitdem dümpelt die Idee aber vor sich hin. Viele FJSler starten jedes Jahr zum 1. August oder 1. September in ihren Freiwilligendienst. Rund 50 000 sind es jedes Jahr. 2014 waren noch keine Digitalanwärter dabei, es gab noch keine Angebote. Das SPD-geführte Familienministerium soll das Modellprojekt planen, ziert sich aber bei der Frage, was denn schon vorangegangen sei. Wann die ersten FSJler mit ihrem Netzjahr loslegen und wie viele es sein werden? Das Ministerium will sich nicht festlegen.
Aber bleiben wir positiv: Vielleicht dürfen im Herbst 2015 die ersten Freiwilligen in ein Netzjahr starten. Altenheime, Kindertagesstätten oder Vereine sollten das Modellprojekt dazu nutzen, ihrerseits neue Projekte anzustoßen und sich mehr mit dem Digitalen zu beschäftigen. Dann kommen auch spannende Angebote für FSJ-ler raus – nicht nur für Programmiercracks. Andersherum könnte das Netzjahr auch diejenigen für ein Jahr im Dienst einer guten Sache begeistern, die das FSJ bisher langweilig und öko fanden. Das Netzjahr könnte so dem fünfzig Jahre alten Freiwilligendienst helfen, ein bisschen moderner zu werden.
Text: angela-gruber - Illustration: Filipek