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Hebamme? Ich?
Für den ersten Schritt zur Entdeckung meines Traumberufs muss ich nicht mal mein Bett verlassen. Ich tippe am Computer das Wort Berufswahl in das Suchfeld bei Google. Über eine Million Ergebnisse passen angeblich zu meinem Anliegen. Ich klicke auf den Link ganz oben, studienwahl.de steht da. Die Seite wird von der Bundesagentur für Arbeit unterstützt, es gibt viele kleine Texte mit Angaben dazu, was man bei der Wahl eines Studiums beachten soll. Das ist übersichtlich aufbereitet, aber wie soll ich mir Gedanken über Studienabschlüsse und Hochschulstandorte machen, wenn ich nicht einmal weiß, was ich überhaupt werden möchte? Ich bitte um einen Beratungstermin bei der Bundesagentur für Arbeit. Zwei Wochen muss ich auf das Gespräch warten, genug Zeit, um mich noch selbst ein bisschen zu orientieren.
Ich muss gestehen, dass ich schon ein Studium hinter mir habe. Ich habe einen Bachelor in Kommunikationswissenschaften. Trotzdem bin ich mir nicht sicher, was genau aus mir werden soll. Ich habe Lust, mich noch mal neu zu befragen. War die Wahl richtig? Welchen Beruf finde ich, wenn ich mich noch mal neu orientiere?
Unter was-studiere-ich.de finde ich einen kostenlosen Berufstest. Eineinhalb Stunden bewerte ich mein Interesse für bestimmte Tätigkeiten. Interessiert es mich zum Beispiel, die Funktionsweise eines GPS-Systems zu verbessern? Nein. Ich löse Rechenaufgaben, ordne Wörter und falte Würfel vor meinem geistigen Auge zusammen. Aus meinen Antworten ergibt sich offenbar, dass Ägyptologie für mich ein geeignetes Studium wäre. Aber warum das Fach zu mir passen soll, erfahre ich nicht. Ich mache die Gegenprobe und fülle auf youngworld.de den kostenpflichtigen 15-minütigen Berufscheck aus, bei dem ich meine Fähigkeiten und Interessen selbst einschätzen muss. Der Test kostet 18 Euro, die Auswertung soll mir zwei Wochen später per Mail geschickt werden.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Vor dem Gespräch in der Agentur für Arbeit in München bin ich nervös. Aber Petra Sprenger, die Teamleiterin der Berufsberater für akademische Berufe, nimmt mir meine Sorgen. Umfragen zufolge geben 35 Prozent der Schüler an, dass sie noch keine Vorstellung davon haben, was sie später einmal machen wollen, erzählt sie mir. Ratlosigkeit ist ihr also vertraut. Aber wie findet Frau Sprenger heraus, welcher Beruf zu mir passt? "Die Berufsfindung ist immer ein Prozess. Jemand, der kommt und denkt, ich würde ihm sofort ein perfektes Ergebnis präsentieren, muss enttäuscht werden", sagt sie. Deshalb bleibe es im Laufe einer Berufsberatung auch nie beim Einzelgespräch. Wer beraten wird, kann zusätzlich diverse Tests absolvieren, und sogar Psychologen bieten ihre Unterstützung bei der Entscheidungsfindung an.
Einen der Tests im Berufsinformationszentrum (BIZ) habe ich vor Jahren einmal gemacht. Das Ergebnis lautete Hebamme, und ich fand es damals nicht besonders passend. Petra Sprenger muss darüber lachen. "Die meisten Tests dienen doch der Selbstreflexion.
Interessens- und Fähigkeitsschwerpunkte können so vielleicht herausgearbeitet werden, jedoch sollte es immer auch ein persönliches Gespräch geben, in dem die Ergebnisse diskutiert werden." Frau Sprenger inspiziert mein Zeugnis. Ich hatte im Abitur einen Schnitt von 1,6. Viele in meinem Umfeld rieten mir deshalb zu einem Medizinstudium. Allerdings hatte ich in Mathematik einmal nur zwei Punkte. Deutsch hingegen war mein Leistungskurs, in der Abiturprüfung hatte ich 15 Punkte. Darauf angesprochen sagt Frau Sprenger: "Das Wichtigste ist für uns, im Gespräch herauszufinden, was Sie sich generell vorstellen können. Haben Sie ein hohes Sicherheitsbedürfnis und finden Medizin interessant? Dann würde ich vielleicht zuerst zu einem medizinischen Praktikum raten. Wollen Sie allerdings mit Ihren Deutschnoten lieber schreiben oder sprachlich arbeiten, würde ich Sie auf jeden Fall auf die aktuelle Situation auf dem Arbeitsmarkt aufmerksam machen." Und was passiert, wenn die Arbeitsmarktlage mies ist? "Die Entscheidung trifft letztendlich der Jugendliche selbst. Wir leisten Hilfestellung durch Rat und Information und zeigen alternative Wege auf", sagt Frau Sprenger. So gehe ich nach Hause. Petra Sprenger hat mir nicht gerade zu einem konkreten Beruf geraten, aber sie hat mir wichtige Gedanken mitgegeben.
Wenige Tage später treffen die Testergebnisse von youngworld.de ein. Laut Auswertung liegt meine Berufung im Bereich Geisteswissenschaften. Konkret werden mir Regisseurin, Romanistin, Kunsttherapeutin, Buchhändlerin und Dirigentin vorgeschlagen. Bis auf die Dirigentin (meine Musikalität tendiert gegen null), sind das alles Optionen, mit denen ich mich zumindest auseinandersetzen könnte. Ich bin überrascht. Vielleicht lohnt es sich ja doch, ein bisschen Geld in Tests zu investieren. Nach dem Gespräch mit Frau Sprenger will ich aber noch einen anderen Weg gehen und suche nach einer privaten Berufsberatung.
Ich lande bei Marion Schaake. 2007 gründete die ehemalige Personalerin und Headhunterin Schaake & Friends. Anders als beim Arbeitsamt muss ich hier für eine Berufsberatung einen ganzen Tag Zeit mitbringen, hinzu kommen Vor- und Nachbesprechungen. Dafür werden mir am Ende konkrete Berufsvorschläge und passende Hochschulen genannt. "Meine Persönlichkeitsprofile sind sehr genau, mit großer Sicherheit wird keiner der Vorschläge falsch sein", erläutert Frau Schaake ihre Servicegarantie. Über 1000 Euro kostet die Beratung bei ihr. Und trotzdem: "Die Anfragen sind mehr geworden", sagt Frau Schaake. Sie glaubt, das habe vor allem mit ihren sehr konkreten Vorschlägen zu tun. Außerdem stifte die Hochschulreform immer noch viel Verwirrung und sorge für Orientierungsbedarf. Leider habe ich nicht genug Geld für die komplette Beratung. Aber Frau Schaake erklärt mir im Gespräch ihre Arbeitsweise. Am Beispiel einer 19-jährigen Abiturientin, die einmal vor ihr saß, gehen wir die von ihr verwendeten Test- und Gesprächsverfahren durch. Hier werden keine Würfel gefaltet oder Dreisätze berechnet. Stattdessen will Marion Schaake die Motivation ihrer Kunden in intensiven Gesprächen hinterfragen. "Ich lege dann schon einmal den Finger in die Wunde, wenn ich merke, dass die Ergebnisse verschiedener Fragen sich widersprechen", sagt sie. Der 19-Jährigen empfahl sie schließlich ein Industrial-Design-Studium an einer holländischen Hochschule. "Die Schülerin war davon absolut begeistert", erinnert sich Frau Schaake. Mich überrascht, dass das Ergebnis so explizit ist. Die Beratung bei Frau Schaake steht im Kontrast zum Gespräch mit Frau Sprenger. Sollte ich vielleicht doch das Geld investieren? "Mir wäre es lieb, wenn eine ordentliche Berufsberatung einmal so selbstverständlich würde wie der Führerschein. Für den haben ja auch alle Geld über", seufzt Marion Schaake. "Bei einer lebenswichtigen Entscheidung wie der Berufswahl wollen viele allerdings nichts investieren." Trotzdem lasse ich mein Portemonnaie geschlossen und gehe grübelnd nach Hause. Die Geisteswissenschaften, so viel weiß ich, liegen mir wohl eher als Technik oder Naturwissenschaften. Aber ein konkretes Berufsziel habe ich weiterhin nicht. Schließlich mache ich mich auf eine kleine Reise.
Auf der Chancen-Messe in Halle an der Saale präsentieren sich Unternehmen und Universitäten. Probehalber steuere ich auf den Stand der Deutschen Flugsicherung zu. Sofort spricht mich ein freundlicher Herr mit Schnurrbart an. "Darf ich Ihnen unsere Ausbildung zur Fluglotsin vorstellen?" fragt er höflich und verwickelt mich 20 Minuten lang in ein Gespräch über das Leben im Tower. Am Ende bin ich tatsächlich überzeugt, dass Fluglotsin ein toller Beruf ist. Insbesondere die Gehaltsaussichten und die berufliche Sicherheit sind verlockend. Wissbegierig und motiviert gehe ich gleich zum nächsten Stand. Er wird von der Bundeswehr betreut. Ich spreche mit einem jungen Medizinstudenten in Uniform. Auch er schwärmt von der finanziellen und beruflichen Sicherheit, wenn ich die Offizierslaufbahn einschlagen würde. 17 Jahre müsste ich mich dafür verpflichten. Allerdings möchte ich nicht nach Afghanistan, weshalb ich das Gespräch frühzeitig beende. Bald wird mir ein Muster bewusst. An nahezu allen Ständen wird mit Sicherheit und Geld geworben. Ist es das, was so viele suchen?
Im Zug nach Hause stelle ich fest, dass ich vor gut drei Jahren nach dem Abitur wahrscheinlich die für mich richtige Wahl getroffen habe. Damals entschied ich mich nach einem langen Kampf für ein Bachelorstudium der Kommunikations- und Politikwissenschaft mit einem Schuss BWL. Ich wollte mich an meinem Deutsch-Leistungskurs orientieren und auch im Beruf schreiben. Marion Schaake fand die Entscheidung seltsam. "Kommunikationswissenschaft das braucht doch kein Mensch", sagte sie, gewohnt konkret. Petra Sprenger hingegen fragte mich: "Und, was tun Sie jetzt im Master? Wo liegt Ihr Schwerpunkt?" Ich kenne die Antwort nicht. Ich weiß noch immer nicht genau, was aus mir wird. Aber ich finde das nicht schlimm, weil ich glaube, dass sich aus jedem Entschluss etwas Gutes ergeben kann. Als Fluglotsin hätte ich jetzt sicher mehr Geld auf der Bank. Dafür hätte ich nie diesen Text verfasst. Es hat Spaß gemacht. Und diese Gewissheit kann man nicht testen sie ergibt sich nur durch Probieren.
Dieser Text ist im Magazin jetzt - Schule&Job der "Süddeutschen Zeitung" erschienen. Eine Übersicht der Texte aus dem Heft findest du im Label Schule_und_Job.
Text: charlotte-haunhorst - Illustration: Serge Seidlitz