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Hanni und Nanni

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Das Klischee: Die Eltern schicken Fresspakete, und die Schüler plündern sie beim heimlichen Mitter­­nachtsfest im Schlafsaal.
Alexander Lorf, 18, Internat Schloss Salem am Bodensee: Fresspakete der Eltern bekomme ich in regel­mäßigen Abständen, gefüllt mit Sachen, auf die ich komischerweise Heißhunger entwickle, obwohl ich Derartiges sonst gar nicht so esse. Ich habe mir einmal abgepacktes Brot schicken lassen, Pumpernickel, als ich noch im britischen Internat Gordonstoun war, denn in Großbritannien gibt es das klassische Brot, das wir aus Deutschland kennen, nicht wirklich. Sonst sind die Pakete natürlich prall gefüllt mit Süßigkeiten. Wenn man das Paket bekommt und es auspackt, ist man von unglaublicher Freude erfüllt. Bei heimlichen Mitternachtsfesten habe ich davon weniger Gebrauch gemacht.

Das Klischee: Es ist verboten zu rauchen und das andere Geschlecht auf den Zimmern zu besuchen. Macht man aber trotzdem. Durchs Fenster. Und über die Feuertreppe.
Ellen Heydemann, 19, Schule Marienau bei Lüneburg: Das stimmt teilweise. Rauchen ist ab 18 erlaubt, aber nur am Nachmittag und auch nur an einem dafür vorgesehenen Platz. Das andere Geschlecht darf man besuchen, aber unter 18 nur bis zur Bettruhe. Natürlich widersetzen sich die Jüngeren diesen Verboten – denn das, was man nicht darf, macht ganz besonders Spaß.
Sophie Beck, 19, Schloss Loui­sen­lund nahe Schleswig: Rauchen ist innerhalb des Schulgeländes verboten. Insbesondere auf den Buden. Doch manchmal sieht man, wie die Louisenlunder Büsche Rauchzeichen absondern.
Alexander: In den unteren Klassen gibt es eine Drei-Fuß-Regel. Diese besagt, dass beim Besuch des anderen Geschlechts mindestens drei Füße den Boden berühren müssen. Wird heutzutage nicht mehr ganz ernst genommen und eher als komödiantisches Mittel in Erzählungen verwendet. Zum Rauchen mussten wir früher an geheime Orte im Wald. Später wurde man dann sogar für Rauchgeruch in Klamotten bestraft. Das Fenster war bei uns weniger ein Mittel der Flucht, da die Zimmer im Schloss in den höheren Stockwerken liegen.

Das Klischee: Benjamin Lebert beschreibt in „Crazy“, was ein Internat ausmacht: „Alles, was ich für meinen Teil dazu sagen kann, ist, dass man auf die Gemeinschaft angewiesen ist. (…) Gemeinsam leben, gemeinsam essen, sich gemeinsam einen runterholen. (...) Sogar weinen muss man gemeinsam. Tut man das nämlich allein, kommt sofort jemand rein, der das mit dir macht.“
Ellen: Da stimme ich vollkommen zu. Das ist aber auch das Schöne an dem Internatsleben. Man ist nie allein und hat immer jemanden um sich, mit dem man reden kann. Man teilt alles und verbringt sehr viel Zeit miteinander, was ich persönlich sehr genieße, da ich ein sehr kontaktfreudiger Mensch bin. Hier findet man wirklich Freunde fürs Leben.
Sophie: Allerdings! Gemeinschaft ist auch für mich das Wichtigste auf einem Internat. Internatsleben heißt nämlich genau das: in eine Gemeinschaft eintreten, in ihr wachsen, sich entwickeln, Freunde fürs Leben finden und sich gegenseitig helfen und manchmal auch erziehen.
Alexander: Sicher ist es möglich, sich in gewisser Hinsicht zu isolieren, doch ist dies keineswegs der Sinn eines Internats. Gemeinschaften bildet man im Internat überall, sei es in den Zimmern, sei es auf den Flügeln, sei es in der Klasse oder der ganzen Schule. Verhalten, das gegen die Gemeinschaft verstößt, wird am härtesten sanktioniert. Es gibt aber natürlich auch Privatsphäre für Dinge, die man lieber allein machen sollte.

Das Klischee: Aufs Internat geht man nicht freiwillig, man wird dorthin „geschickt“. Weil die Eltern zu viel arbeiten oder weil man ein sogenanntes Problemkind ist.
Sophie: Dies ist wohl das größte Klischee über Internate. Ich kenne kaum jemanden auf Louisenlund, der hier nicht zur Schule gehen möchte. Auf ein Internat gehen zu dürfen ist ein Privileg, das wir dank unserer Eltern genießen dürfen. Und man freut sich natürlich auch auf das Wochenende, an dem wir nach Hause fahren dürfen. Aber am Montag freut man sich ebenso wieder, seine Freunde wiederzusehen und auf seiner Bude zu sein. Es ist eben ein zweites Zuhause.
Alexander: Sicherlich ist dies ein Grund, der in einigen Fällen bestätigt werden kann, aber bei mir war es definitiv der eigene Wunsch. auf ein Internat zu gehen, der mich herbrachte. Ich habe eine intakte Familie, die glücklich zusammenlebt und aus der ich nicht fliehen wollte oder musste – und doch reizte mich die Erfahrung eines Internats.

Das Klischee: Ältere Schüler dürfen jüngeren Schülern kleine Arbeiten wie Sockenstopfen, Schuhe- putzen, Feuermachen oder Kaffeekochen auftragen.
Ellen: Schön wäre es. Wir dürfen den kleinen Schülern keine Arbeiten auftragen, auch wenn das sicherlich mal eine Überlegung in der Schulordnung wert wäre. Wir als Ältere tragen Verantwortung und unterstützen die jüngeren Schüler, zum Beispiel bei schulischen Defiziten.
Sophie: Es gibt in jedem Haus eine Haus­älteste oder einen Hausältesten. Diese/r ist die rechte Hand des Hausvaters oder der Hausmutter. Und, ja, die Kleinen müssen dann eben kleinere Arbeiten, wie zum Beispiel morgens den Weckdienst, übernehmen und das ganze Haus wecken. Aber Schuhe putzen – nein.
Alexander: Jüngere Schüler werden durchaus zu bestimmten Aufgaben „missbraucht“. Natürlich nichts, was zu schlimm ist, aber die müssen schon einiges über sich ergehen lassen. Dabei geht es weniger um Sockenstopfen. Es geht eher um Anstiftungen zu Mutproben oder Streichen.

Das Klischee: Jedes Internat liegt in der Nähe eines kleinen Städtchens, wo man sich in einer Eis­diele trifft.
Ellen: Unser kleines Städtchen heißt Dahlenburg. So wirklich das Zentrum des Geschehens ist es nicht, jedoch trifft man sich gern nach der zweiten Stunde auf ein kleines Brötchen beim Bäcker. Die nächste Stadt ist Lüneburg.
Sophie: Im nächsten Ort, Fleckeby, gibt es einen Edeka-Markt. Das ist der Treffpunkt, da wir dort einkaufen. Der Spaziergang dorthin führt durch den Wald und ist sehr angenehm.
Alexander: Wir sind in der Nähe von Überlingen, einer Kreisstadt, die nicht groß, aber auch kein kleines Dorf ist. Unser Treffpunkt ist eine kleine, urige, leicht in die Jahre gekommene Kneipe: das „Galgenhölzle“, besser bekannt als der „Galgen“.

Das Klischee: Es gibt Elternbesuchswochenenden, an denen sich unter den Schülern neue Rangordnungen herausbilden. Der schmächtige Tim zum Beispiel wird plötzlich zum Helden, weil sein Vater in einem Ferrari vorfährt. Verena hingegen muss Punkte abgeben, denn ihre Eltern kommen nur im verrosteten Citröen 2CV.
Ellen: Die Elternwochenenden gibt es wirklich. An diesen Wochenenden geht es jedoch viel mehr darum, wie manche Schüler ihren Hals aus der Schlinge bekommen, wenn es um Lehrer-Eltern-Gespräche geht. Hier wird niemand bevorzugt, nur weil ein Elternteil ein schönes, schnelles oder teures Auto fährt.>
Alexander: Sicher ist es interessant, welches Auto die Eltern fahren; aber es ist kein Grund, weswegen sich der Umgang zwischen uns Schülern ändert. Zugegeben, nahezu alle Eltern von Salemern fahren mit recht guten Autos vor. So ist ein tolles Auto keine großartige Besonderheit, ein einfaches Auto aber auch völlig normal.

Das Klischee: Internatsschüler und -schülerinnen bilden eine starke Gemeinschaft. Sie handeln mit vereinten Kräften und bringen es schon einmal fertig, einen Internatszoo mit Kleintieren durchzusetzen oder einen neuen Direktor, der ihnen nicht gefällt, zu stürzen.
Sophie: Stimmt voll und ganz.
Alexander: Vor zwei Jahren wurde in Salem eine Direktorin vorgestellt, die sich den Sympathien sämtlicher Schüler entzog. Die Schülerschaft trat als geschlossene Gemeinschaft auf und sorgte dafür, dass die Frau nie ihr Amt antrat.

Das Klischee: Wo ein Mädcheninternat ist, kann ein Jungeninternat nicht weit sein – oder andersherum. Man spielt sich gegenseitig Streiche und trifft sich heimlich.
Ellen: Wir sind ein gemischtes Internat. Natürlich kommt es manchmal zu Neckereien. Was sich liebt, das neckt sich!
Sophie: Louisenlund ist ein gemischtes Internat. Somit wohnen wir eng beieinander. Mein Haus zum Beispiel ist oben ein Mädchenhaus und unten ein Jungenhaus. Nach der Hauszeit darf man jedoch nicht nach unten oder nach oben gehen. Streiche spielt man sich trotzdem.
Alexander: Wir sind ein gemischtes Internat und haben in der Tat ein Mädcheninternat in der Nähe. Besonders die Jungs erfreuen sich der erweiterten Mädchenvielfalt, aus der sie wählen können. Den Mädchen hingegen gefällt der erhöhte Konkurrenzkampf weniger. Die Mädchen des anderen Internats kommen nämlich auch regelmäßig in unsere Stammkneipen und schmeißen selbst Partys, auf denen gerade die Salemer Jungs dann stark vertreten sind.

Das Klischee: Weil man nirgendwo anders darf, bleibt einem nichts anderes übrig, als sein erstes Mal auf einer Flurtoilette zu erleben.
Ellen: Das wäre mir neu. Ich wage es zu bezweifeln, dass die Flurtoilette der gewünschte Ort dafür ist.
Sophie: Sex ist auf Louisenlund verboten, und wenn man erwischt wird, bekommt man eben Ärger.
Alexander: Im Internat gibt es die verschiedensten Orte, an denen der Akt durchgeführt wurde. Die Schüler werden dabei sehr kreativ. Und diese legendären Geschichten werden natürlich immer wieder erweitert und weiter­gegeben.

Das Klischee: Alles muss gleich aussehen, es gibt eine Schuluniform, und sogar die Bettbezüge sind einheitlich.
Ellen: Das stimmt auch nicht. Es gibt keine Schuluniformen, und den Bettbezug darf sich jeder selbst von zu Hause mitbringen, um sich wohlzufühlen.
Alexander: In der Mittelstufe gibt es Uniformen, in der Oberstufe nur noch Dresscodes für bestimmte Events. Sonst war die Einheitlichkeit nicht von großer Bedeutung. In Gordonstoun war natürlich alles einheitlich: Uniform, Sportkleidung, Bettbezug, Ausgehuniform.

Das Klischee: Jeder Internatsschüler darf ein Haustier mitbringen, aber nur ausgewählte. Etwa eine Katze, eine Eule, eine Ratte oder eine Kröte.
Ellen: Tiere sind teilweise erlaubt – aber nur bestimmte, zum Beispiel Pferde und Hamster, aber keine Ratten oder Kröten.
Sophie: Leider nein, auf Louisenlund sind keine Haustiere gestattet.
Alexander: Nein, bei uns sind keine Tiere erlaubt.

Das Klischee: Das Internat hat unentdeckte Geheimgänge, Geheimräume und manchmal auch einen Poltergeist.
Ellen: Der einzige Poltergeist sind wir, die Schüler, wenn wir nach der Ausgehzeit noch über die Gänge toben.
Sophie: Da unser Internat ein Freimaurergebiet ist: bestimmt. Jedoch habe ich noch keine entdeckt. Aber wir wissen, dass unter der Schule Gänge von früher existieren, leider sind sie alle verschüttet und unbegehbar.
Alexander: Es gibt gewisse Geheimplätze, besonders im Wald, an denen man geraucht hat. Sonst eher nichts Bewegendes.

Das Klischee: Internatsschüler haben so gut wie ausnahmslos wohl­habende Eltern.
Ellen: Mit Sicherheit geht es den meisten Familien finanziell gut, die ihre Kinder auf eine solche Schule schicken. Aber nicht jede Familie kann diese Kosten aufbringen. Es gibt einige auf unserer Schule, die auf staatliche Hilfsmittel angewiesen sind.
Sophie: Das stimmt wohl zum größten Teil. Aber wir haben auch viele Stipendiaten. Das Gute ist, unter den Schülern wird kein Unterschied gemacht. Die meisten wissen noch nicht einmal, wer ein Stipendium hat. Und nicht, weil diejenigen es verschweigen — es ist den anderen einfach egal. Weil auf Louisenlund der Charakter und der Einsatz zählen und nicht der Geldbeutel der Eltern.
Alexander: Gerade in Salem ist es sicher häufig der Fall, aber nicht die Regel. Wir haben viele Leute der höheren Mittelschicht. Es gibt Stipendien, die den Besuch quasi jedem ermöglichen.


Text: mercedes-lauenstein - Illustration: Gabriel Holzner

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