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Schluss gemacht: Hannes, Maria und die Mascara-Spuren im Handtuch
Maria, 23, erzählt: Der Volksmund hat diese zwei Weisheiten darüber, wie Paare zustande kommen: „Gleich und gleich gesellt sich gern“ und „Gegensätze ziehen sich an“. Seit Hannes glaube ich, dass das letztere kein überlebensfähiges Modell ist.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Wir lernten uns in der Videothek kennen. Mit fällt auch kein Ort ein, wo wir uns sonst hätten über den Weg laufen könnten. Es war Dezember und seit Wochen eisig kalt. Ich fragte den Kerl hinter dem Schalter nach dem traurigsten Film der Welt, er drückte mir irgendwelchen Hollywood-Quatsch in die Hand. Hannes gab gerade seinen DVD-Stapel ab und fragte, ob er „Dancer in the Dark“ von Lars von Trier an mich weitervererben soll. Ich sagte ja. Wir liefen zusammen zur U-Bahn, telefonierten gleich am ersten Abend. Zwei Wochen später übernachtete ich bei ihm. Das sind die Adjektive, die mir zu Hannes einfallen: ruhig, beständig, klug. Ich bin die, die als letzte die Party verlässt, alle noch zu einer Afterhour überredet und um sieben Uhr morgens zu einer Runde Jägermeister. Mein Bafög bessere ich als Promoterin auf. Auch unsere Wohnungen waren grundverschieden: Hannes hatte ein Weinthermometer, ich schaffte es seit Jahren nicht, zu meiner Matratze ein passendes Bettgestell zu kaufen. Trotzdem passte zunächst alles: Herz, Bett, Kopf. Kopf vor allen Dingen. Ich kenne keinen klügeren Menschen als Hannes und hätte Tage damit verbringen können, ihm zuzuhören. Nach jeder Verabredung mit ihm fühlte ich mich gebildeter, reifer. Hannes hatte es drauf, ein Lehrer zu sein, ohne wie ein Lehrmeister zu wirken. Ganz unaufdringlich veredelte er meinen Geschmack und mein Gehirn. Dass ich immer eine eigene Decke bekam, wenn ich bei ihm schlief, dass er vor 10 Uhr morgens nie redete, dass er immer das Bad abschloss, auch wenn er nur Zähne putze und panische Augen bekam, wenn ich mich seiner Büchersammlung näherte – das alles war zunächst nebensächlich. Und dann kamen die Menschen Die richtigen Probleme fingen an, als wir unser Zweierkokon verließen. Nicht, dass uns nach den ersten Monaten Zweisamkeit der Gesprächsstoff ausgegangen wäre, aber ich wollte meinen Freunden endlich zeigen, wer dieser Hannes war, wegen dem ich seit Wochen Party um Party absagte. Zuerst hielt ich es für einen Zufall, dass er immer ausgerechnet dann keine Zeit hatte, wenn ich ihn mitnehmen wollte. Dann wurden Zufälle zum Verhaltensmuster und schließlich zum ewigen Streitpunkt. Ich dachte sogar kurz, dass er sich schämte, mit mir in Gesellschaft gesehen zu werden. Aber das konnte kaum sein, schließlich waren wir öfters bei seinen Eltern Kaffee trinken und seinen zwei besten Freunden wurde ich auch vorgestellt. Irgendwann dämmerte mir: Mehr Menschen braucht Hannes auch nicht in seinem Leben. Alle Veranstaltungen mit mehr als vier Beteiligten machen ihm schlechte Laune – Partys, sogar Grillabende, von Clubs ganz zu schweigen. Ich habe seine Menschenunlust zuerst für Schüchternheit gehalten und hartnäckig versucht, ihn von seinem Einsiedlertum zu heilen. Ich dachte, ich müsste ihm nur zeigen, dass meine Freunde ihm wohlgesonnen sind. Aber Hannes wollte nicht. Auf einem Geburtstag hat er sich sogar ins Nebenzimmer verdrückt und das Sudokubuch des Gastgebers bearbeitet. Hannes fand meine Freunde oberflächlich. Meine Freunde bemühten sich, aber nach ein paar misslungenen Abenden glaubte ich in jedem „Kommt dein Freund heut Abend auch?“ ein „hoffentlich nicht“ rauszuhören. Ich habe es dann sein lassen. Es war ja auch schön, einen Ruhepol zu haben – jemanden, der dich immer abholt, wenn keine Bahn mehr fährt und deine Freunde längst zu viel Promille haben. Jemanden, mit dem es nicht peinlich ist, auch mal um halb elf ins Bett zu gehen. Der Streit als sachliche Erörterung Nach einer Weile wurde ich mir aber leid, zwei parallele Existenzen zu haben. In einer Beziehung sollte man sein Leben teilen. Bei Hannes und mir war es: Ich lebe mein Leben, du lebst dein Leben und ein Stück davon leben wir zu zweit. Ich fühlte mich machtlos, etwas daran zu ändern, wurde immer unglücklicher, hatte das Gefühl, dass ich Hannes immer lästiger wurde. Meine Versuche, mich mit ihm zu streiten, liefen ins nichts. Mit Hannes wurde ja jeder Zoff zu einer Erörterung. So auch unser Schlussgespräch. Hannes hat ein Stipendium bekommen, seine Diplomarbeit in den USA zu schreiben. Eine Fernbeziehung wollte er nicht. Als er mir davon erzählte, war es wie ein Vortrag. Null Emotion. Als würde er mir das Ergebnis einer Studie vortragen. Ich bin ausgeflippt, habe ihm alle möglichen Beleidigungen an den Kopf geknallt, heulte. Er hat die ganze Zeit nur zugehört, nahm mich am Schluss in den Arm und sagte den Satz, den er immer sagte, wenn ich wütete oder sehr traurig war. „Denk an Salomon.“ Ganz am Anfang unserer Beziehung hatte Hannes mir diese Geschichte erzählt: König Salomon hatte einen Lieblingsring, auf dem eingraviert war: „Alles vergeht“. Immer wenn er traurig oder wütend war, guckte er drauf und es ging ihm besser. Einmal war er aber so verzweifelt, dass er den Ring abnahm und auf dem Boden schmiss. Da sah er, dass auch die Innenseite beschriftet war. Er hob den Ring auf und las: „Auch das.“ Auf der nächsten Seite erzählt Hannes vom Ende.
Hannes, 27, erzählt: Über Expartner wie über Tote: Gar nichts, oder nur Gutes. Wirft ja auch auf dich ein schlechtes Licht, wenn du über jemanden schlecht redest, mit dem du anderthalb Jahre das Herz geteilt hast. Also Gutes: Maria hat eine Leichtigkeit, die Menschen anzieht. Sie ist ein Bündel positiver Energie, eine Frau im Fast-Forward-Modus. Maria sticht sofort ins Auge, nicht weil sie besonders exotisch aussieht, oder sich auffällig anzieht, aber sie sieht immer lebendiger aus, als alles in ihrer Umgebung. Wo sie ist, da ist immer was los. Als ich Schluss machte, warf sie mir vor, dass ich mich anderthalb Jahre lang auf ihre Kosten lebendiger gefühlt habe. Und das stimmt zum Teil auch: Maria brachte Schwung in mein Leben. Aber ich glaube, es war ein faires Tauschverhältnis: Ich habe ihre Energie anzapft, sie kam bei mir zu Ruhe. War sie bei mir, war die Welt ein besserer Ort, mein Leben intensiver. Aber auch von guten Sachen kann man zu viel haben. Es hört sich grausam an, aber manchmal strengte Maria mich an. Auslaugen oder Aufladen Ich bin nicht misanthropisch. Ich bin nicht verklemmt oder unsozial. Ich mag Gesellschaft, aber in kleinen Dosierungen. Mich laugen andere Menschen aus, Maria luden sie auf. War sie allein, welkte sie. Maria funktionierte nur durch andere, sie konnte nur denken, wenn sie sich sprechen hörte. Vielleicht war es, weil sie in großer Familie aufwuchs. Sie konnte lang nicht begreifen, dass ich Zeit „für mich“ brauchte, dass ich mich nach einem Wochenende mit ihr erholen musste und durchatmen. Für sie war ich ja die Erholung. Kaum aus der Tür, rief sie an, um zu sagen, dass sie gut angekommen sei und dass sie im Bus einen dreibeinigen Hund gesehen habe. Ich musste mich ein bisschen zwingen, ans Handy zu gehen. Wir hatten ein unterschiedliches Verständnis von Nähe. Warum sollten wir zusammen das Geschirr abspülen? Das geht alleine schneller und man muss sich nicht in der Küche drängeln. Warum mussten wir nackt und ineinander verknotet einschlafen? Warum stellte sie mein Bad mit ihren Fläschchen voll? Ich nahm mir vor, mich nicht zu ärgern, aber die Maskaraspuren auf meinen Handtüchern und ihre krümeligen Bäckertüten haben mich ganz fertig gemacht. Wenn sie da war, nahm sie den ganzen Raum ein. Die Vorstellung, mit ihr zusammen zu wohnen, war keine gute. Wohin sollte es denn führen? Sie wäre damit ja auch nicht glücklich geworden. Am Ende hatten wir uns eingespielt. Sie hatte verstanden, wie ich ticke – und ich, wie sie tickt. Aber es geht ja nicht nur darum ob man versteht. Es geht ja darum, ob man damit leben kann. Mein Stipendium hat mir den Schubs gegeben, die Sache zu beenden. Zuerst war ich traurig, dann erleichtert, danach wieder sehr, sehr traurig. Ich muss mich erst daran gewöhnen, wie es ist, allein zu sein. Aber im Endeffekt war es die einzig mögliche Entscheidung. Ja, ich vermisse Maria. Die Maskarabdrücke auf meinen Handtüchern nicht.