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Horrorclowns im fiktiven Interview
Im vergangenen Herbst waren sie der Panik-Hype schlechthin: Die Horrorclowns, unterwegs überall zwischen New York und Castrop-Rauxel, bewaffnet und unberechenbar, eine Bedrohung der inneren Sicherheit.
In diesem Jahr ist es erstaunlich ruhig um sie geworden, obwohl gerade die Werbetrommel für die Neuverfilmung des Horrorclown-prototypischen Gruselfilms "Es", nach dem gleichnamigen Roman von Stephen King, anläuft. Was macht so ein Horrorclown heute? Wir haben einen von ihnen in seiner Heimatstadt getroffen - also zumindest in unserem Kopf.
Am vereinbarten Treffpunkt, einer Parkbank im Zentrum einer deutschen Kleinstadt, wartet der Horrorclown bereits auf uns. Sein Arm ruht auf einer Kettensäge der Marke Stihl, er riecht nach vier Eckkneipen. Auf der Wiese neben ihm spielt eine Gruppe Kinder Topfschlagen.
jetzt: Herr Horrorclown, wochenlang haben Sie und Ihre Kollegen die ganze Welt in Panik versetzt. Nun sitzen Sie hier und..
Horrorclown: Und Sie sitzen neben mir, als wäre nichts! Den Kindern bin ich auch scheißegal. Sehen Sie, genau das ist doch das verdammte Problem!
Was genau? Sie haben diesem Interview doch zugesagt!?
Sie hätten wenigstens so tun können, als hätten sie Angst. Bin ich aus Cellophan? Das hier ist eine verdammte Kettensäge, die zerstückelt Menschen in Sekunden! Ich frage: Was ist ein Horrorclown, vor dem sich niemand fürchtet?
Kein Horrorclown?
(Er blickt nach unten, scharrt mit seinen roten Riesenschuhen im Kies. Ein schwarzer Tropfen bahnt sich seinen Weg von den Augen über die weißen Wangen.)
Wie eben schon gesagt: Vor Kurzem noch verging kein Tag ohne Nachrichten über Sie. Innenminister De Maizière forderte, Ihnen "hart und mit null Toleranz entgegenzutreten"...
(Sein Gesicht hellt sich auf, sofern ein weiß geschminktes Gesicht sich aufhellen kann.)
Total irre, oder? Zwei, dreimal mit einem 15-Euro-Kostüm durch die Fußgängerzone rennen und schon ist man gleichauf mit den Jungs vom Islamischen Staat. Thomas ist ein echter Panik-Booster, wie es sich für gute Innenminister gehört. Ich danke ihm und sämtlichen Polizeisprechern für die geile Zeit. Sie fühlt sich nur so verdammt lang her an.
(Er spritzt sich aus einer Plastikblume eine klare Flüssigkeit in den Mund.)
Entschuldigen Sie, wie war die Frage?
Wann kam die Wende? Wo ist die Angst geblieben?
Naja, irgendwann konnten wir einfach nicht mehr liefern. Die Leute wollten Tote sehen, nach ein paar Wochen waren sie gelangweilt. Wir haben mit den Kostümen angefangen, irgendwann kamen Messer, dann die Kettensägen. Der nächste Schritt wären wohl Raketenwerfer gewesen. Aber wir haben auch unsere Kosten. Wie soll man da als Freiberufler noch mithalten? Schon mal versucht, eine Bazooka von der Steuer abzusetzen?
Sie hatten Auftraggeber?
Klar, wir sollten ein Jahr vor der "Es"-Horrorclown-Film-Premiere für ordentlich Stimmung bei den Leuten sorgen. Vom Timing her ein absolutes PR-Desaster, wenn Sie mich fragen. Die ganze Arbeit war umsonst, wir zu einer absoluten Lachnummer verkommen. Wir wurden verfeuert. VERBRANNT!
(Er setzt wieder die Plastikblume an.)
Wie hat man Sie denn angeworben?
Ich war vorher Pausenclown im "Zirkus Simsalabim" und frustriert von Kindern, die meine Luftballondackel auf dem Zeltboden zertraten. Gelacht hat niemand. Und ich frage: Was ist ein Clown, der sein Publikum nicht zum Lachen bringen kann?
Kein...
Lassen Sie das!
Dann fragen Sie halt nicht immer so!
Ich kenne die Antwort, glauben sie mir. Alles was ich wollte, ist irgendetwas in den Menschen auszulösen.
Und dann kam diese PR-Firma von "Es" auf Sie zu?
Ja, der Deal klang zu gut. Flexible Arbeitszeiten, fette Provision für ein gelungenes Echo in Medien und Politik. Der Typ, der damals De Maizière zu seinem Statement veranlasst hat, hat sich davon einen eigenen Horrorclown-Betrieb mit 30 Clowns aufgebaut, abgespeist mit lausigen Leiharbeiter-Deals. Er war quasi die Horrorclown-Puffmutter.
War der Markt irgendwann übersättigt?
Natürlich, plötzlich wollte jeder Horrorclown sein, Qualität und Gagen gingen drastisch bergab. Eine riesige Blase war das! Und irgendwann nach Halloween ist sie dann geplatzt. Wie meine Luftballondackel.
Wann wussten Sie, dass es vorbei ist?
Als mich nachts bei laufender Kettensäge eine Gruppe Teenager nach dem Weg gefragt hat. Sie haben mir dann noch zwei Euro für ein Selfie mit ihnen gegeben.
Bereuen Sie etwas?
Wissen Sie, ich kenne beide Seiten: das Lachen und die Furcht. Ich bin in dieser Hinsicht doppelt gescheitert. Ich mache mir keinen Vorwurf, aber es tut weh. Was ist das für ein Leben, in dem man die Menschen nicht mehr erreicht?
Die Antwort erspare ich Ihnen. Letzte Frage: Wovor haben Sie Angst?
Seiltänzerinnen.
(Zwei Kinder laufen vorbei. Eines zeigt auf den Clown und seine Kettensäge: "Guck mal, ein lustiger Holzfäller!" Sie lachen.)