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Was taugt das Buch, mit dem der Papst sich an die Jugend wendet?

Foto: dpa/Andrew Medichini

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Wer ihn nicht kennt: Der Papst ist sowas wie die Angela Merkel der katholischen Kirche. Wird einmal gewählt, bleibt ewig im Amt und ist das Gegenteil von jugendlich. Der aktuelle Papst Franziskus aber hat seit seiner Papstwerdung vor genau fünf Jahren immer wieder versucht, junge Menschen zu erreichen. Der Kirche stirbt die Kundschaft weg. Franziskus hat das erkannt. Nun erscheint sein Buch „Gott ist jung. Ein Gespräch mit Thomas Leoncini“. Es ist ein langes Interview und ein Rundumschlag gegen die Übel unserer Zeit. Eigentlich ein Buch gewordenes Jugendzentrum, mit vielen Angeboten für eine Zielgruppe, die er gefährdet sieht in einer feindlichen Welt. Würde man dort abhängen? 

Was sofort auffällt: Franziskus nimmt es mit vielen Gegnern auf. So beklagt er unter anderem Entmenschlichung, Krise, Ausbeutung, Fake News, narzisstische Machthaber, Klimawandel, Korruption und auch die plastische Chirurgie, die uns wieder mit ungesunden Normen vereinen soll und doch nur von Gott entfernt. Die Jugendlichen seien eine Generation der „Weggeworfenen“, die in einer Welt der Flüchtigkeit lebe und sich in Drogen oder übertriebene Liebe zu Haustieren flüchte (ein Gedanke, den jeder nachvollziehen kann, der schon einmal die florierenden Instagram-Accounts von Influencer-Haustieren studiert hat). 

Das Buch wird immer dann unterhaltsam, wenn der Papst konkret wird. Ausdrücklich warnt er zum Beispiel vor der Praxis des „Vorglühens“. Ein Taxifahrer in Buenos Aires habe ihm einmal erzählt, wie er vier junge Frauen mit mehreren Flaschen Wodka und Whisky zum Vorglühen zu einer Wohnung gefahren habe. „Diese Geschichte hat mir sehr zu denken gegeben“, so Franziskus. Denn diese Mädchen seien „wie Waisen“ und wurzellos gewesen.

So geht es munter weiter: Soziale Netzwerke („flatterhaft“), prekäre Arbeitsbedingungen, die Jugendliche auf die „Müllhalde der Geschichte“ bringen, ungesunder Jugendwahn – Franziskus prangert an. Und schlägt vor, Junge und Alte, zwei verlorene Generationen, miteinander ins Gespräch zu bringen. Er rät zu Empathie im Umgang mit Flüchtlingen und wendet sich gegen die „Starrsinnigkeit“ der Populisten. Theologisch empfiehlt er die bei allem die richtige Kombination aus parrhesia und hyponome zu leben, im Gebet wie im Leben. Also: Neben der Redefreiheit, Wünsche klar und deutlich anzusprechen, auch die Geduld zu üben, auf ihre Erfüllung zu warten. Und überhaupt: Gott sei jung, so die titelgebende These des Buches, weil er „alles neu macht“ und das Neue liebt, weil er Beziehungen aufbaut und von uns verlangt, es ihm gleichzutun. „Er ist social“, schließt Franziskus.

Nun ist der Papst aber immer noch Vorstand einer Institution, die Frauen und Homosexuelle diskriminiert

Diese Verjüngung ist wichtig. Für die katholische Kirche sind 2018 und 2019 „Jahre der Jugend“: So folgen auf die internationale Ministrantenwallfahrt im Juli die Weltbischofs-Versammlung zum Thema „Die Jugendlichen, der Glaube und die Berufungsunterscheidung“ im Oktober und der Weltjugendtag im Januar 2019 in Panama. Bereits kommenden Montag beginnt in Rom die „Vorsynode der Jugendlichen“. Auf dieser erarbeiten rund 300 junge Menschen aus aller Welt ein Dokument, über das die Bischöfe diskutieren sollen.

Nun ist der Papst aber immer noch Vorstand einer Institution, die seit Jahrtausenden auf teilweise brutale Art Menschen unterdrückt, die nicht nach ihren Regeln leben mögen. Die Frauen und Homosexuelle diskriminiert. Die intransparente wirtschaftet und ihre Reichtümer vor allem nutzt, um reich und mächtig zu bleiben. Die systematischen sexuellen Missbrauch in den eigenen Reihen vertuscht und eine Sexualmoral vertritt, für die der Begriff „ungesund“ ein Euphemismus wäre. 

Franziskus selbst hält nach wie vor explizit daran fest, dass Frauen keine Priester werden können. Dass Priester keinen Sex haben dürfen. Dass Frauen nicht abtreiben dürfen. Dass Verhütungsmittel Sünde sind. Man könnte lange so weitermachen.

Wenn Franziskus in „Gott ist jung“ beklagt, dass Jugendliche heute in einer entwurzelten Gesellschaft aufwachsen, weil Kirche und Familie an Bedeutung verlieren, dann unterschlägt er, dass für viele Jugendliche eine immense Befreiung bedeutet. Auf Seite 43 fällt der Begriff des „spirituellen Alzheimers", „das Vergessen der eigenen Heilsgeschichte mit dem Herrn", so als wären alle krank, die nicht an Gott glauben. Ein sehr, sehr alter Gedanke.

Der Papst selbst weiß: „Um einen Jugendlichen heutzutage zu verstehen, musst du ihn in Bewegung verstehen, du kannst nicht stillstehen und so tun, als seist du auf seiner Wellenlänge.“ So bleibt das Jugendzentrum, das er hier eröffnet, vermutlich weiter leer. Zu viel altes Gerümpel steht noch darin herum.

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