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Der Wert einer Frau hängt nicht von ihrem Jungfernhäutchen ab

Die Angst, durch Tampons seine Jungfräulichkeit – ergo seinen „Anstand“ als Frau – zu verlieren, ist in konservativen Familien sehr präsent.
Foto: Zoe Opratko

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So ziemlich jede Frau kennt die Situation, während ihrer Periode mit einem fest in der Faust umschlossenen Tampon auf die Toilette zu gehen. Als wäre der kleine Zapfen aus Zellulose und Baumwolle eine verbotene Waffe, die in die WC-Kabine geschmuggelt werden müsste. Die Bestrebungen moderner Feministinnen, das Tabu um die Menstruation aufzuheben, tragen glücklicherweise bereits Früchte. Immer mehr Frauen schreiben und sprechen offen über ihre Lebensrealitäten mit PMS und Regelschmerzen. Unrealistische Darstellungen von Menstruationsblut – als mysteriöse „blaue Flüssigkeit“ – in Werbungen für Hygieneartikel gehören praktisch der Vergangenheit an.

Junge Mädchen von heute haben es leicht, selbstbewusst mit ihrer Monatsblutung umzugehen. Wo ich mich noch aus dem Doktor-Sommer-Teil in Bravo-Zeitschriften darüber informiert habe, können junge Mädchen heute von ihren Lieblingsinfluencerinnen lernen. Sie haben die Chance, eine Art virtuelle große Schwester zu haben, die vormacht, dass ihre Regel kein Weltuntergang ist.

Ich bin mit dem Gedanken aufgewachsen, dass meine Menstruation etwas „Unreines“ und „Dreckiges“ sei. Ähnlich wie bei vielen anderen Mädchen aus religiösen Familien, seien es nun Muslimas, Jüdinnen oder Christinnen, war alles, was den Intimbereich betrifft, mit einem großen Schamgefühl verbunden. Im Islam gilt Menstruationsblut als „rituell unrein“ (arab. „nadshasah“) – wie etwa auch Hundespeichel und Schweinefleisch. Menstruierende Frauen sind von religiösen Pflichten wie dem Fasten während des Ramadans befreit. Der Koran darf von Frauen während ihrer Menstruation nicht berührt werden. So wurde es mir beigebracht und ich habe das lange Zeit nicht hinterfragt.

Mit dem Eintreten meiner Regelblutung bekam ich plötzlich neue Regeln von meinen Eltern auferlegt. Im Schwimmbad sollte ich keine Bikinis, sondern Badeanzüge tragen. Kurze Shorts waren ebenfalls nicht gerne gesehen. Scheinbar wurde ich von einem Tag auf den nächsten eine „richtige“ Frau mit sexuellen Reizen, die ich nicht zeigen durfte. Die Geschlechtertrennung, die ich von klein auf eingetrichtert bekommen habe, wurde nun noch strenger kontrolliert – mit meinen männlichen Mitschülern sollte ich nach der Schule nicht Döner essen gehen. In der Community würde das nicht gut ankommen.

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Wie kann die Ehre einer ganzen Familie von einem mystischen Konstrukt wie dem Jungfernhäutchen abhängen?

Foto: Zoe Opratko

Apropos Verbote: Das traf sogar auf die intimsten Lebensbereichen zu. Wie das Verwenden von Tampons. Zu meiner Schulzeit war es üblich, dass gerade Mädchen aus konservativen Familien ihre Tampons bei Freundinnen oder ganz hinten im Bankfach bunkerten. Zu gefährlich war es, sie im Rucksack oder im Schlafzimmer aufzubewahren. Nicht selten wurden Mädchen beim Fund von Tampons in aggressiver Weise zur Rede gestellt – fast so, als hätten sie Kondome bei sich. Die Mutter einer Schulfreundin, die aus Ägypten stammte, zählte zuhause ihre eigenen Tampons akribisch nach, um sicherzugehen, dass ihre Tochter keine für sich selbst benutzte. Sie wollte, dass sie ihre blutigen Binden zeigte. Natürlich unter dem Vorwand zu kontrollieren, ob die Blutung in den Augen der Mutter „normal“ sei.

In Wirklichkeit diente dieser Übergriff der Kontrolle, ob das Mädchen auch tatsächlich Binden benutzte, statt sich Tampons einzuführen. Die Angst, durch Tampons seine Jungfräulichkeit – ergo seinen „Anstand“ als Frau – zu verlieren, ist präsenter als man denkt. Tampons und die Tatsache, dass diese in die Scheide eingeführt werden, passen nicht in dieses Weltbild.

Der arabischen Frauenarzt wollte mich nicht gynäkologisch untersuchen, weil ich unverheiratet war

Wie kann die Ehre einer ganzen Familie von einem mystischen Konstrukt wie dem Jungfernhäutchen abhängen? Jungen Frauen wird die Selbstbestimmung über ihre eigenen Körper abgesprochen. Ihre intimsten Bereiche werden politisiert und für das Gesamtwohl ihrer Familie verantwortlich gemacht. Jungfräulichkeit bis zur Ehe ist eine Tugend, die oftmals von Frauen erwartet wird. Dies ist ein ganz entscheidender Faktor, der sowohl den Stellenwert junger Frauen in der Community als auch deren Sexualerziehung bestimmt. Der Islam als Religion kann zwar nicht ausschließlich dafür verantwortlich gemacht werden – so ist die Jungfräulichkeit doch ein Thema in allen religiös-konservativen Communitys. Jedoch legt der Islam in gewisser Hinsicht einen patriarchalen Grundstein, der nicht ignoriert werden darf.

Entgegen der Annahme, dass in erster Linie die Männer, beziehungsweise männliche Familienmitglieder, die patriarchalen Strukturen in den Familien aufrechterhalten, sind es jedoch häufig Mütter und Schwestern, die genau das tun. Mit Vätern spricht man einfach nicht über die Menstruation, und schon gar nicht über Hygieneartikel. Ich erinnere mich an den arabischen Frauenarzt, der mich nicht gynäkologisch untersuchen wollte, weil ich unverheiratet war. Wie konnte selbst ein Arzt dieses Märchen weiterspinnen?

Es wird endlich Zeit, diesen Lügen ein Ende zu setzen. An alle Mädchen: Euer Wert hängt nicht von diesem ominösen Jungfernhäutchen ab. Lasst euch die Kontrolle über eure Körper von niemandem nehmen. 

*Unsere Redaktion kooperiert mit biber  – was wir bei jetzt ziemlich leiwand finden. Als einziges österreichisches Magazin berichtet biber direkt aus der multiethnischen Community heraus – und zeigt damit jene unbekannten, spannenden und scharfen Facetten Wiens, die bisher in keiner deutschsprachigen Zeitschrift zu sehen waren. biber lobt, attackiert, kritisiert, thematisiert. Denn biber ist "mit scharf". Für  ihre Leserinnen und Leser ist biber nicht nur ein Nagetier. Es bedeutet auf türkisch "Pfefferoni" und auf serbokroatisch "Pfeffer" und hat so in allen Sprachen ihres Zielpublikums eine Bedeutung.

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