- • Startseite
- • Religion
-
•
Glaube und Beziehung: Welche Probleme entstehen bei interreligiösen Beziehungen?
„In der Fastenzeit habe ich überlegt, auf Sex zu verzichten. Als ich Tim von der Idee erzählt habe, war er dagegen“, sagt die 18-jährige Lena. Tim ist Lenas Freund, mit dem sie seit einem halben Jahr zusammen ist. Der 21-Jährige ist Atheist. Lena ist katholisch. Tim sagt zu ihr, sie könne ihren Glauben leben, wie sie möchte. Er will davon aber nicht betroffen sein.
Dass Paare wie Lena und Tim mit unterschiedlichen Glaubensrichtungen zusammen sind, ist keine Seltenheit. Die Paartherapeutin Sandra Neumayer kennt die Herausforderungen in solchen Beziehungen gut. Bei ungefähr dreißig Prozent der Paare, die zu ihr in die Praxis kommen, gebe es Probleme wegen religiöser Unterschiede. Oft spiele auch ein anderer kultureller Hintergrund eine Rolle. Von den jährlich geschlossenen Ehen in Deutschland sind etwa zwölf Prozent binationale Paare. Wie viele davon auch einen anderen Glauben oder eine andere Konfession haben, ist nicht bekannt.
Auch die 30-jährige Şerife führt eine interreligiöse Beziehung. Sie ist muslimisch, ihr Freund Claudio (Anm. d. Redaktion: Name geändert) katholisch getauft. Als ihre Eltern von ihm erfahren haben, waren sie enttäuscht. „Anstatt sich für mich zu freuen, fragten sie nur schockiert: ‚Ein Italiener? Und dann nicht mal ein Moslem?’“ Lange haben ihre Eltern gehofft, so sagt sie, irgendwann einen Moslem an der Seite ihrer Tochter zu sehen. Der 32-jährige Claudio fühlte sich davon vor den Kopf gestoßen. Nach einem Jahr Beziehung möchten Şerifes Eltern aber Claudio nun doch kennen lernen. In einem letzten Gespräch sagte Şerifes Vater: „Du wirst wissen, was richtig für dich ist. Ich möchte ihm eine Chance geben.”
„Claudio fragt gar nicht mehr: ‚Kannst du das essen?‘ Sondern: ‚Können wir das essen?‘”
Auch in Sitzungen bei Sandra Neumayer sind Auseinandersetzungen mit der Familie ein wichtiges Thema. Ihrer Meinung nach sollte Şerife die Haltung ihrer Eltern akzeptieren. Gleichzeitig rät die Therapeutin, sich von diesen Erwartungen abzugrenzen. „Keiner von uns ist auf der Welt, um die Vorstellungen der Eltern zu erfüllen”, sagt sie. Wenn die Eltern nicht kooperativ sind, müsse man ihnen Zeit und Raum geben, das eigene Lebensmodell zu akzeptieren. „Meist liegt gar nicht die andere Religion des Partners hinter der Ablehnung der Eltern, sondern die Angst, das Kind an die Partnerin oder den Partner zu verlieren.”
Man kann es seinen Eltern ja nie so ganz Recht machen, ob bei Berufswahl, Partner*in oder Kleidungsstil. Aber bei vielen dieser Paare müssen noch ganz andere Fragen geklärt werden: Darf ich meinen Partner bitten, mich in den Gottesdienst zu begleiten, obwohl er nicht gläubig ist? Faste ich mit meiner Partnerin Ramadan, auch wenn ich kein Muslim bin bin?
Şerife und Claudio einigten sich relativ problemlos. Şerife fastet im Ramadan. Das heißt für sie, bis zum Sonnenuntergang nichts zu essen und keinerlei Zärtlichkeiten auszutauschen. „Ich habe Claudio gesagt, dass wir in der Zeit nicht gemeinsam essen gehen können und er mich nicht küssen darf.” Ihr Freund hat das akzeptiert und sogar mit gefastet. Am Anfang der Beziehung vier Wochen lang auf jeglichen Körperkontakt verzichten? Die beiden haben es strikt durchgezogen. „Die ersten Tage war das für uns beide ungewohnt, aber Claudio fiel das Fasten nicht schwer. Das hat mich auch überrascht”, sagt Şerife.
Beim Essen achtet sie darauf, dass Fleisch geschächtet ist. Wenn sie mit Claudio ins Restaurant geht, essen die beiden meist vegetarisch. „Claudio fragt gar nicht mehr: Kannst du das essen? Sondern: Können wir das essen?” Auch beim Alkohol trinken hat sich Claudio Şerifes Lebensstil angepasst. Seit die beiden in einer Beziehung sind, trinkt er nicht mehr. Gebeten habe ihn Şerife darum aber nie.
Tim bezeichnet den Glauben seiner Freundin als Flucht vor der Realität
Im Gegensatz zu Claudio, ist Lenas Freund nicht bereit, die Religion seiner Freundin mitzuleben. Tim bezeichnet den Glauben seiner Freundin als Flucht vor der Realität. Lena ist Messdienerin, organisiert Gottesdienste, spielt auf kirchlichen Konzerten und feiert alle Kirchenfeste ausgiebig mit. Der katholische Glaube ist ein großer Bestandteil in ihrem alltäglichen Leben. Wie passt dieses Lebensmodell zu dem eines bekennenden Atheisten? „Wir haben schon oft bis spät in die Nacht über unsere Weltanschauungen diskutiert”, sagt Lena.
Früher war Lenas Idealvorstellung, einen Partner zu haben, der mit ihr die Begeisterung für Gott teilt. Besonders schade findet sie, dass Tim Ostern nicht mit ihr feiern möchte. Sie würde gerne auch mit ihm an Karfreitag bis spätabends in der Kirche singen und beten, um dann schließlich in der Osternacht die Auferstehung Jesu in einem langen Gottesdienst feiern. „Ich muss akzeptieren, dass er mit meinem Glauben nichts anfangen kann”, sagt Lena.
„In der anfänglichen Verliebtheitsphase wird oft nicht bedacht, welche Herausforderungen religiöse Unterschiede mit sich bringen können“, sagt Paartherapeutin Sandra Neumayer. Sobald Paare aber ans Heiraten und eine eigene Familie denken, kämen plötzlich viele neue Fragen auf. Şerife und Claudio stellen sich diese Fragen auch: Zum Beispiel dürfen Şerife und Claudio laut islamischem Recht nicht in der Moschee heiraten. Wäre Şerife ein Mann und wollte eine katholische Frau heiraten, ginge das. So allerdings müsste Claudio für eine muslimische Hochzeit zum Islam konvertieren. Das kommt für ihn sogar in Frage, da er sich ohnehin nicht besonders katholisch fühlt.
„Wir haben uns am Anfang auch gefragt, ob unsere Beziehung überhaupt Sinn macht“
Anders sieht es bei der 18-jährigen Lena und ihrem Freund Tim aus. Lenas Vorstellung ist es, irgendwann eine Familie zu gründen und ihre Kinder im christlichen Glauben zu erziehen. Tim kann sich momentan nicht vorstellen, überhaupt Kinder zu haben. „Wir haben uns am Anfang auch gefragt, ob unsere Beziehung überhaupt Sinn macht. Schließlich werden wir dann wahrscheinlich eh nicht ein ganzes Leben lang zusammen sein”, sagt Lena. Diese Pläne liegen aber noch in ferner Zukunft. Vielleicht habe jemand dann seine Meinung dazu geändert, sagt sie.
Sandra Neumayer berät viele Paare, die vor der Entscheidung stehen, wie sie mit unterschiedlichen Religionen ihre Kinder erziehen möchten. Sie lässt die Partner*innen dann an ein Flipchart schreiben, welche Werte ihre Religion Kindern vermitteln soll. Ohne zum Beispiel „Christentum” oder “Islam” zu schreiben, kämen die Paare meist zu einer Übereinstimmung. „Keine Religion fordert, dass man Kinder zu unsozialen, bösartigen Menschen erzieht. Viele haben einen humanistischen Grundgedanken”, sagt die Therapeutin. „Viele merken, dass sie doch sehr ähnliche Erziehungsziele haben – so können Kompromisse für den Alltag gefunden werden. „Beziehungen zerbrechen nicht an Religionen, sondern an fehlender Akzeptanz.”