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Christliche Twitter-Abstimmung wird von Satanist*innen gekapert

Foto: bambiraptor / photocase.de; Bearbeitung: jetzt

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Will man die Meinung der Bevölkerung erkunden, lohnt es sich bisweilen, eine kleine Umfrage zu machen. Besonders preisgünstig und dabei weitreichend ist da eine Abstimmung auf Twitter: Einfach Frage eingeben, Abstimmungstool reinbauen und ab geht’s.

So dachte sich das offenbar auch Jason Rapert, ein republikanischer Senator aus Arkansas. Er ist Gründer der evangelikalen Lobbyisten-Vereinigung „National Association of Christian Lawmakers“ (NACL),der auch der ehemalige Präsidentschaftskandidat Mike Huckabee angehört. Deren erklärtes Ansinnen ist es, die amerikanische Gesellschaft so zu formen, dass sie den „biblischen Prinzipien“ entspricht und christlichen Werten folgt. Die Organisation ist noch relativ jung und nicht besonders groß – auf Twitter folgen ihr keine 300 Accounts, auf Instagram nur 24. Berühmt wurde die „National Association of Christian Lawmakers“ erst durch eben Raperts Abstimmung auf ihrem Twitter-Account.

Satanist*innen und Atheist*innen hätten sich entschieden, die Umfrage zu kapern

Darin fragte die NACL ihre Follower*innen: „Glauben Sie, dass Amerika gut daran täte, wenn mehr Christen in politischen Ämtern wären?“ Die Antwortmöglichkeiten beschränkten sich auf „Ja“ und „Nein“.

Die Umfrage ging aber wohl nicht ganz so aus, wie es sich der christliche Rapert erhofft hätte: Denn von den bis heute mehr als 93 000 Abstimmenden antworteten etwa 94 Prozent mit „Nein.“ Die NACL sah sich wegen der überwältigenden Mehrheit für diese Option offenbar in Erklärungsnot – und machte sogleich die üblichen Verdächtigen für das Ergebnis verantwortlich:

„Es ist uns bewusst, dass Satanist*innen und Atheist*innen sich entschieden haben, sich auf diese Umfrage zu stürzen“, twitterte der Account nur eine halbe Stunde nach Veröffentlichung der Umfrage. Gott, so schrieb Repart im Namen der NACL weiter, liebe sie aber alle und werde ihnen vergeben, wenn sie nur darum bäten.

Diese Aussage ist insofern ziemlich überraschend, als dass die Kommentare unter der Abstimmung überwiegend sachlich waren und in keinster Weise aggressiv. Die meisten von ihnen erklärten ausführlich, dass nicht der religiöse Status von Belang sei, sondern das Verhalten selbst:

Das belegten viele auch mit dem Beispiel der aktuellen Regierungsmannschaft. Viele Politiker*innen in wichtigen Ämtern, die sich als Christ*innen bezeichnen, seien korrupt.

Einige stellen die hypothetische Frage, ob sich Jesus die amtierende Regierung unter Donald Trump gewünscht hätte.

Als die NACL behauptete, Satanist*innen, Atheist*innen und Ultra-Liberale hätten die Wahl gekapert und deshalb verzerrt, fanden das manche geradezu drollig:

Und stellten sich die Frage, was genau die Grundwerte dieser Christ*innen sind, die da ins Amt gewählt werden sollten:

Und überhaupt: Hatten die Gründerväter der USA da nicht etwas zu genau dem Thema vorbereitet?

In Amerika ist die Trennung von Kirche und Staat im Grundgesetz verankert. Allerdings berufen sich traditionell alle Präsidenten auf ihren Glauben – die meisten von ihnen gehören protestantischen Religions-Richtungen an. Noch nie gab es einen Präsidenten, der sich als Atheist bezeichnete oder einer nicht-christlichen Religion angehörte. Der letzte Ausreißer war der demokratische Präsident John F. Kennedy, ein Katholik. Der gegenwärtige US-Präsident Donald Trump ist zwar nicht für seinen christlichen Glauben bekannt, umgibt sich aber gerne mit ultra-konservativen Evangelikalen, deren Agenda er auch durchzusetzen versucht. Sein Vizepräsident Mike Pence beschreibt seine eigenen Überzeugung mit dem Satz: „Ich bin Christ, konservativ, Republikaner – in dieser Reihenfolge.“ Zuletzte holte Donald Trump die Fernseh-Predigerin Paula White ins Weiße Haus, die das „prosperity gospel“ predigt – also die Ansicht vertritt, dass Wohlstand ein Zeichen für einen gottgefälligen Lebenswandel ist.

Gegner*innen dieser Vermengung von Kirche und Staat versuchen dagegen immer wieder, die Bemühungen der Evangelikalen zurückzuweisen. Mit den sogenannten „Satanist*innen“, auf die sich Rapert in seinem Tweet bezieht, meint er vermutlich die Mitglieder der Gruppierung „The Satanic Temple“. Diese Gruppe wurde von Aktivist*innen gegründet, um die Trennung von Kirche und Staat zu stärken. In den Dokumentarfilm „Hail Satan?“ wurden sie dabei begleitet, wie sie sich gegen die schleichende Christianisierung des Staates in Arkansas und Mississippi auf sehr originelle Weise zur Wehr setzten.

chwae

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