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Klimakrise: Zwei Journalisten besuchen weltweit Klimaktivisten, um ihre Geschichten aufzuschreiben
Viele Bewohner*innen des Globalen Südens müssen sich schon jetzt mit den Auswirkungen der Erderwärmung auseinandersetzen. Kapstadts Einwohner*innen erlebten in den vergangenen Jahren eine Krise, die nördlicher gelegenen Ländern möglicherweise noch bevorsteht: eine anhaltende Dürre, die die öffentliche Wasserversorgung bedrohte. Südafrika ist die erste von insgesamt elf Stationen, die Theresa und Raphael auf ihrer Reise einlegten. Nach Südafrika und Mosambik wollte das Journalistenpaar weiter nach Kenia, Uganda, den Sudan und Ägypten reisen und schließlich nach Italien übersetzen. Wegen der Corona-Krise mussten sie die Reise an einem Grenzposten zwischen Mosambik und Malawi abbrechen und nach Deutschland zurückkehren. Später ging es dann weiter nach Großbritannien, Schweden und Norwegen – und letztendlich bis in die Arktis. Ihre Erlebnisse veröffentlichten sich jetzt in Buchform („Zwei am Puls der Erde"). Im Interview sprachen wir mit ihnen unter anderem über ihre Rolle als weiße Reporter in Afrika und über „grünen Kolonialismus“.
jetzt: Für eure Recherchetour, die euch von Südafrika bis an den nördlichen Polarkreis führte, seid ihr zuerst mit dem Flugzeug nach Südafrika geflogen. Welche Transportmittel habt ihr noch genutzt?
Raphael: Wir sind vor allem in Mototaxis, Minibussen, großen Reisebussen, Fähren und Nachtzüge gefahren. Den Großteil der Reise haben wir also mit lokalen Transportmitteln zurückgelegt.
Der erste Stopp auf eurer Reise war Kapstadt. Was habt ihr dort gemacht?
Theresa: Wir haben mit Klimaaktivist*innen vor Ort gesprochen. Am meisten inspiriert hat uns Ayakha Melithafa, eine siebzehnjährige Schülerin. Sie und ihre Familie litten schwer unter den Folgen der Dürre. Irgendwann hat Ayakha angefangen, die Ursachen der Krise zu recherchieren, schnell begriffen, dass es mit dem Klima zusammenhängt und angefangen, sich Verbündete zu suchen. So hat sie es als Vertreterin der südafrikanischen Klimabewegung bis nach Davos zum Weltwirtschaftsforum geschafft. Gemeinsam mit Greta Thunberg und anderen Klimaaktivist*innen hat sie dort eine Klima-Beschwerde gegen Industrienationen wie Deutschland eingereicht. Durch die mediale Aufmerksamkeit konnte der südafrikanische Präsident Cyril Ramaphosa sie nicht länger ignorieren und sprach mit ihr über die Ursachen der Wasserkrise. Man sieht also: kleine Schritte bringen etwas.
Ayakha Melithafa (rechts im Bild), die als Vertreterin der südafrikanischen Klimabewegung nach Davos fuhr.
Was hat es denn in diesem konkreten Fall gebracht?
Raphael: Es ist in diesem Fall gelungen, auf einer internationalen Bühne eine Stimme aus dem Globalen Süden hörbar zu machen. Ayakha konnte nach Davos fahren, war dort als junge, schwarze Frau anwesend und hat Interviews gegeben. Das sind die Stimmen, die wir hören müssen. Das Forum ist sonst eine sehr weiße, männliche Angelegenheit.
Ihr schreibt in eurem Buch zu Beginn sehr anschaulich über die Wasserkrise. Inwiefern reflektiert ihr euer eigenes Handeln wie zum Beispiel euren täglichen Wasserverbrauch?
Theresa: Ich habe damals im Kapstadt mithilfe einer Website der Stadtverwaltung ausgerechnet, wie viel Wasser ich durchschnittlich verbrauche. Ich habe zum Beispiel morgens mindestens fünf Minuten geduscht, Zähne geputzt, die Klospülung gedrückt und Hände gewaschen. Letztendlich hatte ich einen durchschnittlichen Verbrauch von 78 Litern. Zum Vergleich: Ayakhas Familie standen während der Wasserkrise täglich nur etwa 25 Liter Wasser zur Verfügung, weil das Wasser von der Stadtverwaltung streng rationiert wurde. Solche Unterschiede waren während der Wasserkrise typisch. Während die vorwiegend weiße Oberklasse der Stadt ihre Pools noch füllen konnte, mussten Ayakha und viele andere Bewohner*innen der Townships mit wenigen Litern auskommen. Wasser wurde für mich so auch zum Symbol für viele der Ressourcen, die wir global verbrauchen: zum einen werden viele Dinge sehr bald sehr knapp, wenn wir nicht radikal umsteuern. Und zum anderen ist die globale Erwärmung vor allem eine Gerechtigkeitskrise: Der globale Norden lebt über die planetaren Grenzen, die Menschen im Süden kämpfen schon heute mit den Folgen. Es kommt nicht darauf an, wie viel CO2 oder Wasser ich persönlich verbrauche. Die notwendigen Veränderungen müssen auf einer sehr viel tieferen, systemischen Ebene ansetzen.
Die Grundidee: die Menschen, die wir dort besucht haben, sprechen zu lassen
Wie seht ihr eure Rolle als weiße Personen aus Deutschland, die an verschiedene Schauplätze des Klimawandels reisen und davon berichten?
Theresa: Natürlich ist es unser Job als Reporter*innen, von unseren Erlebnissen zu berichten. Insgesamt war unser Grundsatz: den Menschen, die sich im Kampf gegen die Klimakrise vor Ort engagieren, zuzuhören. Wichtig war außerdem die Frage, wie und in welcher Form wir das aufschreiben wollen. Das Reproduzieren von Ungerechtigkeit in der Sprache war für uns ein wichtiges Thema. Wir haben deshalb versucht, unsere Sprache rassismuskritisch zu reflektieren und haben dafür unter anderem Ratschläge von der Sozialwissenschaftlerin Imeh Ituen vom „Black Earth Kollektiv“ eingeholt. Außerdem haben wir im Buch „Zwei am Puls der Erde“ das generische Femininum verwendet, um auch patriarchale Strukturen sichtbar zu machen.
Raphael: Man kann die Klimakrise nicht ohne Feminismus denken. Das Patriarchat ist eng mit der Ausbeutung der Welt, der ungerechten Aufteilung von Ressourcen und Machstrukturen verbunden. Deshalb haben wir grundsätzlich mit Themen wie dem kritischen Weißsein und patriarchalen Denkmustern beschäftigt. Die Grundidee war, die Menschen, die wir dort besucht haben, sprechen zu lassen.
Theresa, du warst Campaignerin bei Sea-Watch, hast mit Carola Rackete gearbeitet und warst selbst im Mittelmeer bei Rettungsfahrten dabei. Kann man während einer solchen Recherchereise wirklich Reporter*in und Aktivist*in zugleich sein und einen objektiven Blick wahren?
Theresa: Wir sind der Meinung: So wie ein*e Journalist*in die Demokratie schützen muss, so muss er oder sie auch das Klima schützen. Klimaschutz ist Demokratieschutz. Grundlegend ist natürlich, dass man gut recherchiert, verschiedene Meinungen abbildet und sich an die Fakten hält. Es ist aber nun mal so, dass die Fakten gerade nicht so rosig aussehen.
Ihr habt nicht nur Länder, die südlich von Deutschland liegen, bereist, sondern wart auch am nördlichen Polarkreis. Könnt ihr von euren Erlebnissen im Norden von Norwegen, in Kautkeino, berichten?
Raphael: Wir haben einige Wochen mit einer Familie der indigenen Sámi gelebt. Die Klimakrise bedroht das Überleben ihrer Rentierherden, aber es war nicht nur das, worüber sie sich Sorgen machen. Genauso setzt ihnen etwas zu, was sie „grünen Kolonialismus“ nennen: mithilfe der Regierung errichten internationale Unternehmen auf ihrem Land Windparks und bauen für die Herstellung von Batterien in Minen Kupfer ab. Beides wird als Beitrag im Kampf gegen die Klimakrise verkauft. Gleichzeitig zerstört es die Weidegründe der Rentiere, vernichtet das Leben in fischreichen Fjords. Schon seit Jahrhunderten werden die Sámi ausgebeutet und unterdrückt. Im Namen der Klimakrise wird das fortgesetzt. Doch der Widerstand dagegen wird stärker, der Irrsinn ist zu offensichtlich: Wer kann glauben, dass es gut ist, die Umwelt zu zerstören, um das Klima zu retten?
Man muss die Klimakrise intersektional denken
Welche konkreten Handlungsmöglichkeiten und welche Antworten habt ihr auf der Reise gefunden?
Raphael: Man sollte sich einen Bereich suchen, in dem man selbst aktiv werden kann. Dabei ist es egal, ob man sich „Fridays for Future“, „Extinction Rebellion“ oder dem örtlichen Naturschutzbund anschließt. Oder ob man eine Klimagruppe in der Uni, im Betrieb oder im Sportverein gründet. Selbst unsere Social Media-Nutzung müssen wir mit Blick aufs Klima kritisch hinterfragen.
Theresa: Durch die Reise haben wir außerdem verstanden, dass viele Ungerechtigkeitsformen miteinander verknüpft sind: koloniale Kontinuitäten, patriarchale Denkweisen und profitorientiertes Konkurrenzdenken. Man muss die Klimakrise intersektional denken. Das wird in der Klima-Bubble manchmal noch zu wenig beachtet. Die Klimakrise ist in erster Linie eine Gerechtigkeitskrise.
Theresa Leisgang & Raphael Thelen: Zwei am Puls der Erde: Eine Reise zu den Schauplätzen der Klimakrise – und warum es trotz allem Hoffnung gibt
Goldmann Verlag, ca. 280 Seiten, 16 Euro