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Bucht wieder mehr Gästezimmer!

Foto: Screenshot Airbnb

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In Amsterdam habe ich aus dem japanischen Teeservice meiner Vermieterin getrunken, die ein großer Fernost-Fan war, und ich habe das geliebt. Auf Hawaii hat der Vermieter mir und meinem Freund erzählt, dass er demnächst Pfarrer wird und uns gerne trauen würde, und ich habe das geliebt. In Hamburg hat meine Gastgeberin mehrmals betont, wie toll sie die Lampe in Form eines Leuchtturms findet, die sie in ihrem Gästezimmer aufgestellt hat, und ich habe das geliebt. Und in Las Vegas haben wir bei einem jungen Mann in einer Gated Community übernachtet, in die man ohne den Code für das große Tor am Highway niemals hineinkommt – und auch das habe ich geliebt.

Ich habe diese und noch mehr Unterkünfte über Airbnb gebucht. Ja, über das böse Airbnb, das die Städte kaputtmacht. Immer professioneller und kommerzieller wird. Wohnraum raubt. Hotels und Pensionen die Gäste wegnimmt. All das stimmt und ich finde es völlig richtig, dass es illegal ist, über Airbnb ganze Wohnungen dauerhaft als Ferienunterkünfte zu vermieten. 

Aber wir können das in den Griff kriegen und ich möchte hiermit dazu aufrufen, daran mitzuwirken: Liebe Menschen da draußen, die ihr verreisen wollt, bucht doch bitte wieder Gästezimmer! Wenn ihr über Airbnb einen Schlafplatz sucht, egal ob geschäftlich oder privat, boykottiert die „ganze Unterkunft“-Anzeigen, auf deren Bildern man schon erkennen kann, dass man sich da in eine Ferienwohnung einmieten wird. Achtet darauf, dass ihr im Gästezimmer, Anbau oder Gartenhäuschen einer Privatperson unterkommt, die da auch wohnt. Dass ihr mit jemandem zusammenlebt, der euch einen Ersatzschlüssel gibt, euch seine Kaffeemaschine benutzen lässt und umständlich erklärt, wie der Fernseher funktioniert. Denn so war Airbnb ja mal gedacht. Und das hatte auch seinen Grund. Es ist nämlich irre schön.

Das fängt schon beim Inventar an. In den Ferienwohnungen, die man über Airbnb mieten kann, sieht es immer gleich aus. Immer. 90 bis 99 Prozent der Möbel, Tassen, Teller und Accessoires sind nämlich von Ikea. Sachen halt, von denen die Vermieter denken, dass es egal ist, wenn sie kaputtgehen. Die Lieblosigkeit roter Tagesdecken aus Fleece, der immer gleichen Tassen, die gut in Kaffeepadmaschinen passen, und der Kunstdrucke in Sperrholzrahmen (Audrey Hepburn, Ruderboot auf See, dreigeteilte Ansicht von Kirschblüten) kann einen so traurig machen, dass man einfach nur noch nach Hause will. Selbst Katalogzimmer sind gemütlicher eingerichtet. 

Im Gästezimmer hingegen, da lebt man wirklich im und mit dem Zeug der Gastgeber. Man mietet sich in deren Leben ein und in ihren Stil. Und selbst, wenn der schlecht ist, ist er besser als jede sterile Ferieneinrichtung. Ich habe schon in Zimmern geschlafen, aus denen ich am liebsten das Designersofa oder den tollen, alten Sessel entführt hätte, aber mich auch schon vor sehr hässlichen Badvorlegern gefürchtet.

Gästezimmer sind die besten Garanten für gute Reisegeschichten, die sich Freunde anhören, ohne einzuschlafen

Noch schöner ist aber, dass man in den Privatzimmern oft eine Menge Einblicke in ein fremdes Leben bekommt. In Brooklyn wohnte ich mal im Souterrainzimmer einer WG, in dem die eigentliche Bewohnerin die gesamten, mit abwaschbarer Farbe gestrichenen Betonwände mit Fotos vollgehängt hatte. Ich sah sie Grimassen schneidend, unter Palmen sitzend, mit Doktorhut und Talar posierend. Ich versuchte, durch genaues Betrachten und Kombinieren zu erraten, wer ihr Vater und wer ihre Mutter waren, ob sie da eine Freundin umarmte oder doch eher ihre Schwester, ob sie Single war oder vergeben. In anderen Zimmern habe ich über die große Auswahl an Selbsthilfeliteratur oder Bildbänden gestaunt und in diversen Küchen über die Menge an Gewürzen oder Elektrogeräten. 

Der größte Unterschied zwischen Ferienwohnung und Gästezimmer ist natürlich, dass im zweiten Fall die Gastgeber anwesend sind. Ich will eigentlich gar nicht mit dem „Es ist immer so toll, Locals kennenzulernen“-Gelaber anfangen, weil dann viele sofort mit den Augen rollen – aber was soll ich tun? Es ist halt toll. Meistens zumindest. Dabei bin ich sogar eher menschenscheu. Darum ist es für mich perfekt, jemanden dafür zu bezahlen, dass er mich aufnimmt: Dadurch bin ich ihm nichts mehr schuldig und kann ihn meiden, falls er blöd sein sollte. Ist er aber nett, kann ich Zeit mit ihm verbringen, mir Tipps geben lassen und manchmal sogar etwas lernen. 

Der junge Mann in Las Vegas zum Beispiel ist mit uns essen gegangen und ich würde es nicht missen wollen, in einer so künstlich wirkenden Stadt wie dieser mit jemandem unterwegs gewesen zu sein, der dort tatsächlich wohnt. Der angehende Pfarrer auf Hawaii hat uns am Morgen unserer Abreise von der von ihm eigenhändig ausgebauten Gartenhütte auf die Terrasse des Haupthauses gebeten und uns seine halbe Lebensgeschichte erzählt. In Albuquerque stand der Gastgeber auf Socken vor der Haustür, um uns zu verabschieden, und dann quatschten wir uns eine halbe Stunde lang fest und er schimpfte leidenschaftlich auf Donald Trump. In einer Ferienwohnung hätte ich all diese Menschen niemals getroffen. Gästezimmer sind darum die besten Garanten für gute Reisegeschichten, die sich Freunde sogar anhören, ohne einzuschlafen.

Die Bewertung, die einem ein Privatmensch schreibt, streichelt das Ego, das Herz und die Seele

Klar, diese Art von Unterkunft hat auch Nachteile. Man muss leiser sein und mehr Rücksicht nehmen. Sich vielleicht auch mal mit jemandem auseinandersetzen, den man nicht so nett findet. Hässliche Bettwäsche ertragen oder einen Hund, der immer bellt, wenn man die Tür aufschließt. Aber das sind ja keine echten Probleme. Und sogar der furchtbare, beinahe dystopische „Auch wir Menschen bewerten uns mittlerweile mit einem bis fünf Sternchen“-Part, den man bei Airbnb im Anschluss noch durchleben muss, ist im Falle von Gästezimmern irgendwie schön. Hat man irgendein spärlich eingerichtetes Turbokapitalisten-Appartment besenrein hinterlassen, steht in der Bewertung später „Alles gut gelaufen, gerne wieder“. War man aber bei einem Privatmenschen untergebracht und hat sich gut benommen, streichelt der Text, den er einem schreibt, das Ego, das Herz und die Seele. Da kann man dann nachlesen, wie herzlich und liebenswert und interessant und interessiert man sei. Dass man aber auch wirklich das Beste aus seiner Reise herausgeholt habe. Dass man sich keinen netteren Gast habe wünschen können. Anschließend findet man sich selbst viel sympathischer als sonst und würde sich gerne kennenlernen.

Ja, auch Hotelzimmer, Zeltplätze, Pensionen und Ferienwohnungen können toll sein. Aber Gästezimmer sind meistens noch ein bisschen toller. Und wenn wir uns jetzt alle darauf besinnen, nur noch Gästezimmer zu buchen, dann ist Airbnb zwar immer noch kein anthroposophisches Individualreisen-Konzept, sondern bleibt ein umsatzgetriebenes Unternehmen. Aber es würde unsere Städte nicht mehr so sehr zerfressen. Darum: Boykottiert die Airbnb-Ferienwohnungen und geht dahin, wo euch ein Hund anbellt, wo euch jemand einen Kaffee kocht oder ein bisschen nervt, wo Fotos von Familienfeiern an der Wand hängen und gelesene Bücher im Regal stehen. Das fühlt sich nämlich schön an und sehr, sehr echt.

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