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Reingehört: Schlager-Klee, Folktronic-Tunng, Lambchop und Kante
Klee – Zwischen Himmel und Erde (Ministry of Sound) Wann ist diese Deutschpop-Schlager-NDW-Welle endlich wieder vorbei? Ich weiß, Klee machen das schon einige Plattenveröffentlichungszyklen länger als all die anderen. Sie waren vielleicht geradezu die Vorboten dieser Welle. Das macht es nicht besser. Klee treten mittlerweile im Vorprogramm von Nena auf, wogegen ich überhaupt nichts habe. Aber sie klingen leider auch nach Nena und Schlager und eben gerade nicht nach Pop, wonach sie vielleicht klingen wollen und was ja großartig wäre. Dazu kommen noch unerträgliche Schmuse- und Liebesgeflüster-Texte: „Was auch passiert ich bin ein Teil von dir, Heute und hier, Vielleicht auch länger, Vielleicht auch für immer.“ Oder: „Ich war schon oft am Boden und hab mich selbst aufgehoben und jetzt ist der Himmel die Grenze nach oben. Liebe mich Leben, ich werde nicht aufgeben.“ Oder: „Am Ende der Liebe bleibt ein leises Hoffen und die drei Worte fest im Hals verschlossen.“ Auf dieser Ebene bewegen sich sämtliche Texte auf „Zwischen Himmel und Erde“, eine diffuse Erfahrungswelt wird wiedergegeben, die so allgemein gehalten ist, dass sie wirklich auf jeden anwendbar ist, dass sich jeder sofort wieder erkennt. Das ist nicht nur Schlager, das ist Kitsch.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Tunng – Comments Of The Inner Chorus (Full Time Hobby) Tunng ist Musik für Daheim, wenn es draußen regnet und stürmt und man sich mit Tee und Wolldecke eingemummelt vor der Welt verkriechen will: Leise und unaufgeregte, aber immer wieder mit großen Melodien überraschende Folktronic-Songs mit Gitarre und Streichern, Banjo und Klarinette, elektronischem Knarzen und Kratzen, seltsamen Bleeps, schönen Beats und den sanften, beruhigenden Stimmen der beiden Songschreiber Mike Lindsay und Sam Genders. Viel musikalische Abwechslung innerhalb dieses verschwurbelten Folktronic-Kosmos bietet das britische Kollektiv auf ihrem zweiten Album „Commenst Of The Inner Chorus“ zwar nicht. Einzige Ausnahmen: das extrem nervende Stück „Stories“, das von einer Spanischen Gitarre schnurstracks in den Abgrund geritten wird. Gleich beim nächsten Stück finden „Tunng“ aber wieder zu ihrer Ausgeglichenheit zurück, man dankt den sieben Musikern für keine weiteren Experimente und beglückwünscht sie zu den anderen zehn wirklich schönen Songs.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Lambchop – Damaged (City Slang) Und gleich noch eine Herbstplatte. Eine traurige, sehr konzentrierte und intensive Stimmung prägt die ich weiß nicht wievielte Platte der spätestens seit dem Meisterwerk „Is A Woman“ von Biolehrern wie Szenegängern gleichermaßen geliebten Lambchop. Auch für „Damaged“ versammelte Kurt Wagner aus Nashville, Tennessee, wieder seine siebzehn und mehr Musiker um sich. Es ist diesmal ein schwermütiges Stück Kammerpop geworden – mit für Lambchop-Werke recht reduziertem Einsatz von Klavier, Akustikgitarre und Streichern. Wagner zeichnet auch in seinen Texten weniger die Details und Kleinigkeiten des Lebens auf, sondern man hat das Gefühl, er betrachtet sich selbst. Wagner sagt selbst, es sei die persönlichste Platte geworden, die er je gemacht habe und beim Entstehen sei sie immer düsterer geworden. Am Schluss beklagt Wagner sogar den Niedergang des Landes und der westlichen Zivilisation. Manchmal hat man beim Hören sogar das Gefühl, diese Lieder sind gar nicht für öffentliche Ohren bestimmt. Trotzdem mag mich „Damaged“ nicht so recht fesseln, auch wenn der Song „Prepared“ bestimmt einer ihrer besten ist, und einem Tränen in die Augen steigen, weil die Geigen zu weinen scheinen und Kurt Wagners Raunen so herzzerreißend ist. Die Fankritik von max-scharnigg
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Kante - Die Tiere sind unruhig (Labels) Mein Kante-Fandasein begann, nicht so ungewöhnlich, mit der Platte „Zweilicht“, die mit einer ungeheuren Erschütterung in mein Leben trat und bis heute darin einen verhätschelten und regelmäßig abgestaubten Platz einnimmt. Es war die epische Schönheit und Größe der Zweilicht-Songs, die Perfektion deutschen Postrocks und die unendliche Zärtlichkeit in Peter Thiessens Text und Stimme, die nicht nur meine Ohren damals von der Strasse holte. Seitdem ist Zeit vergangen. Das heiße Sehnen, das dem Nachfolger von „Zweilicht" galt, wurde auf eine zermürbende, nahezu abtötende Probe gestellt, denn dieser Nachfolger mit Namen „Zombi“ verschob sich immer wieder, dauerte schließlich fast ein Jahr länger als erwartet und fiel deswegen in ein Stimmungsloch - wie eine Sylvesterrakete, die man dreimal nachzünden muss, bis sie steigt. „Zombi" ist eine gute Platte, aber man merkte es ihr nicht recht an, zuviel mentales Bollwerk und Voreingenommenes schob sie mit sich herum und ich hörte sie kaum. Man vernahm in dieser Zeit auch viel von dem enormen materiellen und geistigen Tribut den „Zombi“ allen Beteiligten abverlangt hatte und machte sich Sorgen um Kante, wie um einen alten Hund. Jetzt aber hat, man liest es allerorten, der alte Hund neue Leben, bellt Rock und dem vergrätzten Bildungspostpopper fällt vom spitzen Kopf der Hut, so viel Jubelwinde streichen um diese Platte mit Namen „Die Tiere sind unruhig“. Und zu Recht: Das Schwierige des letzten Werks, das einschüchternd Mächtige wurde handfest begehbar gemacht. Ein Lifta-Treppenlift führt jetzt auf den Alster-Olymp auf dem Kante immer noch stehen. Und der Rock? Ist natürlich kein wildes Gegniedel, ist natürlich immer noch feinst versponnenes Gewebe vieler Strukturen in zehn Minuten langen Stücken, die eben jene Kante-Dramatik atmen: Kleinstes führt im Laufe eines Liedes zum Größten. Das Sex-Stück „Nichts geht verloren“ und das herzrührende letzte Lied „Die Hitze dauert an“ sind solche Kante-Originals von großer, bester Qualität. Die allerorten festgestellte Spielfreude und Volksnähe manifestiert sich vor allem in „Die größte Party der Geschichte“, ein wubbernder Dub-Siebenminüter mit Ulk-Text und Rap-Einlage, so eine Art Ärzte-Fischmob-Blumfeld-Jazz-Konglomerat, das aber sehr schön und lustig ist. Die restlichen Lieder sind tatsächlich mittelamerikanische Rockfregatten mit sehr guter Instrumentenkonzentration, Modest-Mouse-Intelligenz und Death Cab for Cutie-Glassenheit. Es geht um rauschhaftes Aufarbeiten von Unruhe und Erzeugen ebenjener. Thiessens Stimme ist kräftig und nicht ganz so poetisch wie bei „Zweilicht“, sie bricht sich öfter und unterstreicht damit die Prä-Erdbeben-Atmossphäre der neuen Kante. Wo Blumfeld diese Spannung auf ihrem aktuellen Album in einen dicken Mantel aus bizarrer Ästhetik und metaphorischem Naturalismus kleiden, bleiben Kante erdig und machen Schürfwunden. Beides brillante Zeitgeist-Statements aus Hamburg, beides Platten, die dieses Jahr gehört werden und dabei ganz friedlich nebeneinander durchs All rasen. Ben Hamilton – Ben Hamilton (Labels) Manche Menschen haben ein Leben, da kann man nur mit den Ohren schlackern. Ben Hamilton verbringt die ersten Kindheitsjahre in einer englischen Kommune, die die Mitglieder der Band Traffic darstellt, zieht dann mit seinem Vater nach Florenz, weil der großformatige Religionsschinken malen will und wird dann mit 14 auf ein englisches Elite-Internat geschickt. Mit 17 bricht er die Schule ab, schlägt sich erst in Australien als Aushilfscowboy und Türsteher, später in Europa als Straßenmusikant durch und landet irgendwann in Berlin. Hier nimmt er überwiegend zu Hause sein selbstbetiteltes Debütalbum auf, das leider nicht annähernd so spannend wie Hamiltons Leben geworden ist. Hamilton hat zweifelsohne eine auffallend soulige und rauchige Stimme, aber die Songs hören sich trotz einiger Elektrosprengsel zu glatt, zu wenig besonders und letztlich etwas belanglos und irgendwie früh vergreist an. Spookey Ruben – Ausfahrt Walsrode (Lamm Records) Eine Solo Akustik-EP mit nur fünf Liedern ist die erste Veröffentlichung von Spookey Ruben nach seinen beiden gelobten Alben „Bed“ und "Breakfast“, die nicht nur jeder Tageshälfte sondern sogar jeder Stunde einen Song widmeten. Das Titelstück „Ausfahrt Walsrode“ hat der Kanadier sogar auf deutsch gesungen und will ein bisschen PeterLicht nachmachen, was leider nicht gelingt. Die anderen vier Stücke sind aber zum Glück in bewährter melodiöser Lo-Fi-Schrabbel-Manier gehalten. Dillinger Girl and „Baby Face“ Nelson – Bang! (Bellevue) Dillinger Girl and „Baby Face“ Nelson, das sind die Franzosen Helena Noguerra und Federico Pellegrini, die sich auf „Bang!“ als Bonnie und Clyde-artiges Ganoven Duo inszenieren, die mit bewaffneten Banküberfällen die USA unsicher machen. Das Album soll ein an Jim Jarmusch-Filme und die mysteriöse Düsternis eines Nick Cave erinnerndes Roadmovie durch die musikalische Landschaft der USA sein - mit Folk-, Country-, Rock’n’Roll- und Pop-Balladen. Hörbar wird das ehrlich gesagt nicht, auch wenn einige ganz hübsche Singer/Songwriter-Lieder auf "Bang!" versammelt sind. Was dieses ganze komische „von zehn Bundesstaaten gesucht und nie gefasst“-Zeug soll, versteht aber kein Mensch. Hip Hop mit hannes-kerber: Prinz Pi – Instinkt EP (No Peanuts) Als Vorbote schickt der Prinz (beinah angenehm, einmal keinen „King“ zu haben) noch fluchs eine EP, bevor im September sein Album erscheint. Schneller, klarer Rap ist mittlerweile zum Markenzeichen von Prinz Pi (aka Prinz Porno) avanciert: Auf dem Titeltrack „Instinkt“ rappt Pi auf den puristischen Clap-Beat des Produzenten Biztram. Viel beeindruckender sind aber zwei andere Tracks: „Unerträgliche Leichtigkeit“ und „Russendisko“ mit dem Deutsch-Russen Bobidze. Curse – Einblick zurück! (Alles Real Records) 41 Lieder für ein Best-Of? Funktioniert bei Curse. Vielleicht – wenn man von deutschem Hip Hop redet – nur bei Curse. Nach zehn Jahren Curse’schen Deutschraps haben Dj GQ, der Live-Dj von Curse, und Dj Kitsune ihre Lieblingslieder aus dem Werk zusammengesucht und das Material in Ausschnitten in Mixtapeform verarbeitet. Das ist die perfekte Lösung – so wird alles gezeigt, was Curse kann und man selbst kann in das Werk reinhören und in Erinnerungen schwelgen, die man mit den Liedern verbindet. Toll ist, dass nicht nur aus den vier Alben gefischt wurde, sondern auch noch aus „Prestige“, der Zusammenarbeit mit den beiden Schweizer Rappern Taz und Greis, sowie aus Download-Songs und anderen Curse-Features. Hier kannst du „Alles Real“, den Track „mit dem alles begann“, der aber nicht auf dem Mixtape enthalten ist, runterladen. Außerdem erscheinen diese Woche: The Hidden Cameras – Awoo (Rough Trade) Besprechung wird nachgeliefert, da uns die Platte nicht rechtzeitig erreicht hat. Jan Delay – Mercedes Dance (Universal) Auch hier liefern wir die Besprechung nächste Woche nach, da "Mercedes Benz" nicht rechtzeitig eintraf. Powersolo – Egg (V2) Slayer – Christ Illusion (Warner Bros. Records) Forward Russia - Give Me A Wall (Cooperative) Outlandish - Closer Than Veins (SonyBMG) Mark Bragg – Bear Music (Bellwether Music) Hinterland – Automatic Teller Machine (Sopot Records)