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Peaches, Amy Millan und ganz viel Kollektivarbeit
Peaches - Impeach My Bush (Xl/Beggars) Ach ja Peaches. Darf ich sagen, dass ich sie nicht besonders mag? Nee, darf ich natürlich nicht. Sie ist ja irgendwie großartig. So als Konzept und in der Vorstellung. Bestimmt auch in der Diskothek oder auf einer Modenschau, aber so im Kopfhörer ist sie erst einmal eher nur nervig. Sicher: sie ist die große Gender-Spielerin, unter ihren Fans sind Berühmtheiten wie Björk, Lil Kim oder Iggy Pop. Und ihre Live-Shows sollen mit zu dem Größten zählen, was es für 20 Euro zu sehen gibt. Auch der Titel ihrer CD ist sehr provokativ – wenn wir im Jahr 2002 wären. Und Cocks und Dicks und Zelte in Hosen. Auch super. All das hat etwas. Was, weiß ich jetzt aber auch nicht mehr genau, weil ich schreckliche Kopfschmerzen habe. Büro ist eben nicht Diskothek. Deshalb stecke ich auch Peaches schnell wieder in das Wiedervorlage-Fach und überlasse die Beurteilung in der Zwischenzeit den Kennern.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Amy Millan - Honey From The Tombs (Arts&Craft) Amy Millan ist so etwas wie ein Verkehrsknotenpunkt auf der Landkarte der kanadischen Musiker-Szene. Sie ist bei den Stars dabei und ebenfalls fester Bestandteil des Musiker-Kollektivs Broken Social Scene. Logische Fortentwicklung ihres Daseins: die erste, jetzt erschienene Solo-Platte mit dem Namen „Honey from the Tombs“. Dass sie eine sehr schöne und reizende Stimme hat, wusste man schon vorher – jetzt kann man ihr eine Stunde lang beim Singen und Seufzen zuhören. Das ist sehr entspannend, irgendwie aber auch ein bisschen enttäuschend, denn so richtig etwas Neues bekommt man kaum zu hören. Auch dass ihr das Plattenlabel unterstellt, Anleihen an Country und Bluegrass genommen zu haben, nur weil sie ab und zu ein Banjo erklingen lässt, schadet mehr als dass es nutzen würde. Eher kann man sich unter „Honey From The Tombs“ eine extrem gut gemachte Lieder-Platte mit schöner Gitarren-Musik vorstellen. Dass sie etwas kann, merkt man. Definitiv auch auf der Haben-Seite: Die Frau singt sehr gerne über Whiskey, was ja von weiblichen Sängerinnen viel zu selten gemacht wird. Ansonsten ist das so eine Platte, die man sich gerne zur Wiedervorlage ins Fach legen würde. Weil man sich einfach nicht entscheiden kann, ob das jetzt schön und erfrischend einfach, oder einfach ganz schön banal ist. Hier kannst du dir ein Video von Amy Millan anschauen.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Giant Drag - Hearts and Unicorns (Interscope) Giant Drag sind vielleicht ab heute meine neue theoretische Lieblings-Band. Bestehend aus Gitarristin und Sängerin Annie Hardy und Schlagzeuger und Keyboarder Nucag Cakabrese machen die beiden richtig schönen Quatsch. Songtitel wie „You’re full of shit“ und „My Dick sucks” sagen ja schon einmal fast alles, führen trotzdem auf die falsche Spur. Die beiden sind keine Krawall-Heinzen, sondern eher liebenswert versponnene Highschool-Dropouts. Ganz besonders hörenswert: ihre Coverversion von Chris Isaaks Wicked Game. Da möchte man sich gleich im mit Glasscherben versetzten Strand wälzen und ein Unterwäsche-Model anfassen. Darf ich ausnahmsweise mal aus der Werbung zitieren? "Rockmusik, zu der man unmöglich tanzen kann. Musik zum Träumen, bei der man unablässig auf und ab hüpft und an nichts Spezielles denken kann, aber trotzdem auf einmal alles versteht." Kann man eigentlich nur zustimmen.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
P:ANO - Brigadoon (Skycap Rec) O, wie schön: schon wieder Kanada, schon wieder eine Art Kollektiv, schon wieder enorm kreativ zusammengestöpselt. Abgesehen vom ungewöhnlichen Einsatz der Instrumente (viel Geschelle und Gerassle) fällt noch auf, dass P:ANO einen ordentlichen kreativen Output auf diese CD gebrannt haben. 24 Songs, die meisten um die 2:30 Minuten lang. Das ist schön, das sollten sich alle bitte zum Vorbild nehmen. Außerdem schön: der wunderbare Harmonie-Gesang, ordentliche Verschwurbelung, eine tolle Frau, alles unfassbar sympathisch. Kategorisieren kann man nur einzelne Songs, weil neben Country-Anleihen und klassischem Alternative-Pop auch mal ein Synthesizer durch die Gegend trötet. Bleibt nur: danke sagen für diese schöne und vielseitige Platte und vor allem für den wunderschönen Harmonie-Gesang, der ja gemeinhin völlig unterschätzt wird. Käme eine Fee vorbeigeschlendert, ich würde mir wünschen, dass P:ANO auf meiner Geburtstagsfeier spielen würden. Sie dürften auch von der feinen Sommer-Bowle kosten und unter dem Küchentisch übernachten. Zebrahead - Broadcast to the World (Steamhamme) Schock Schwerenot! Das habe ich doch schon hundertmal nicht gehört, weil ich glücklicherweise den Aus-Knopf noch rechtzeitig gefunden habe. Postpubertäre Testosteron-Pinkel spielen bisschen verzerrt Gitarre und dazu noch harmlos-affiger Harmonie-Gesang. Danke, aber danke nein und gleich noch ein Memo an mich selbst verfassen: nie mehr tätowierte Menschen grundlos super finden, sondern erst nach dem Musikgeschmack fragen. DAAU - Domestic Wildlife (Pias) Uff, fast wäre diese Platte dank meiner ausgeprägten Vorurteile im Mülleimer gelandet. Cover und Bandname von DAAU (Die Anarchistische Abendunterhaltung) sind dergestalt, dass ich sie im Leben nicht freiwillig mit den Zehennägeln anfassen würde. Sieht das doch sehr nach einer Best-of-Love-Parade-CD aus, die nur zu Folterzwecken geeignet scheint. Ist dann aber angenehmerweise extrem entspannte Weltmusik mit Cello, Klarinette und bisschen vertrackten Jazz-Rythmen. Das geht ganz angenehm nebenher rein ins Ohr und würde hervorragend in ein leicht alternativ aber ambitioniertes Kaffeehaus in einer deutschen Großstadt passen. Das Sextett kommt aus Antwerpen und „Domestic Wildlife“ ist ihre fünfte Platte. Vielleicht sollte man ihnen mal schreiben, dass sie ihren Chef-Grafiker zur Kur schicken sollten. At the Close Of Everey Day - The Silija Symphony (Volkoren) Das hier ist ein Konzeptalbum. Kommt ja nicht mehr besonders oft vor und ist so etwas wie der Leistungskurs Reli der Musikbranche. Höchst ambitioniert, aber den Eltern nur schwer vermittelbar. „The Silja Symphony“ entstand, nachdem die beiden Herren von At The Close Of Every Day eine Dokumentation über den Untergang der Estonia gesehen hatten. Das klingt jetzt vermutlich düsterer, als es sich dann anhört. Ein ganz schönes Album, haut aber trotz des ambitionierten Rahmens nicht vom Hocker. Will es aber wohl auch gar nicht. The Plastic Constellations - Crusades (French Kis) Das hier nennt sich Post-Punk, Indie-Rock oder Noise-Pop. Und hört sich auch so an: nach Post-Indie-Noise. Kann man unbedingt haben wollen, aber auch unbedingt bleiben lassen. Die vier jungen Recken gibt es schon seit 11 Jahren, trotzdem sind sie erst Mitte 20. In Amerika geht ja alles immer schneller und größer auch. Mehr kann ich leider zu der Musik nicht sagen, sie besteht aus Gesang und Instrumenten und hymnenhaften Refrains, die von irgendwelchen Umständen erzählen. Das Cover ist auch ganz schön. Misty’s Big Adventure - The Solar Hifi System (lNoisedelux) Schon wieder ein Kollektiv, es könnte einem regelrecht studentisch zumute werden. Diesmal kommt die neunköpfige Band aus Birmingham, England. Ebenfalls erstaunlich: wieder sind die Songs sehr verschieden und sehr kurz. Der Bandleader nennt sich „Grandmaster Gareth“ und einer ihrer größten Fans ist Dave Zuton (von den Zutons). Das ist gut. Die Musik ist lustig, verspielt, reich an Zitaten und hat eine Menge verschiedener Instrumente drinne. Wer kompliziert gesetzte, aber einfach klingende Singalong-Musik schätzt, wird die Misty’s mögen. Großes Lob für so viel Bescheidwissen, Humor und Lässigkeit in einem. Greg Graffin - Cold As The Clay (Anti) Greg Graffin ist hauptberuflich Sänger der Band Bad Religion. Dass er jetzt eine Soloplatte mit Folk-Musik und Traditionals aufgenommen hat, ist ihm anscheinend selbst ein bisschen unheimlich. Könnte man zumindest annehmen, wenn man die Liner-Notes liest. Muss er aber eigentlich gar nicht. Klar, ganz neu ist das nicht, vom Hardcore zum Folk zu finden - in den 80er Jahren haben ganze Heerscharen von ehemaligen Punkbands die verseuchte Country-Szene Nashvilles mit Roots- und Americana-Musik in Bedrängnis gebracht. Greg Graffins Helden sind The Band, der 70er-Jahre Country-Rocker Gram Parsons und Neil Young. Das hört man, macht aber auch nichts. Es gibt wirklich schlechtere Vorbilder. Hiphop mit hannes-kerber Franky Kubrick – Mein Moneyfest (Optik Records) Franky Kubrick bringt neuen Wind ins Optik-Lager und ist der erste MC, der mit einem Mixtape wirklich neben Übervater Savas bestehen kann, denn „Moneyfest“ ist das beste seit Savas „John Bello“. Kubrick hat schon lange vor Optik seine eigene Stimme und seinen eigenen Flow gefunden, jetzt zeichnet das ihn und das Lable aus. Anspieltipp ist das Lied „Mein Moneyfest“. Fler – Cüs Junge EP (Aggro Berlin) Das gute bei dieser Single ist, dass sie sechs Tracks und den Videoclip enthält. Wer also frauenfeindliche, aber lustige, deutsch-arabesken Poser-Party-Musik mag... Mnemonic – Zeitlos (Kopfhörer Recordings) „That’s it, straight und ohne Schnörkel“, sagt der Mannheimer programmatisch in dem Track „Wie ich bin“. Keine Sommerhits, kein Blingbling, sondern tiefgehender, melancholischer, ehere ruhiger Newcomer-Hiphop, noch mit einigen Ecken und Kanten, aber alles in allem gute Musik. Außerdem sind erschienen: Robots In Disguise – Get Rid Legendary Pink Dots – Your Children Placate You From Mariannenplatz – Besser Als Campsite – Names, Dates & Places Allen Tousaint – Life, Love And Faith Allen Tousaint – Southern Nights Junior – Y’All Ready To Rock? Tagtraum – Wir gehen um zu bleiben V.A. – Crossing All Over! Vol. 18