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Nichts, nichtser, am nichtsesten – mit ein paar Ausnahmen
www.artbrut.org.uk Art Brut – Bang Bang Rock and Roll (Fierce Panda/Banana Recordings) Huah! – Was machen Huah! jetzt? (L’Age d’Or) Treva Whateva – Music’s Made of Memories (Ninja Tune) Big Bear – Big Bear (Monitor) Meide diese Woche den Plattenladen - das ist eigentlich das Einzige, was man diese Woche empfehlen kann. Nur ganz wenige Perlen gibt es zu entdecken. Die schönste ist natürlich das Art Brut-Debütalbum „Bang Bang Rock and Roll“ (super Titel). Und das, obwohl die Band aus England ist und schon wieder derart gefeiert wird, dass man manchmal gar keine Lust mehr hat, diese Platte überhaupt zu hören. Aber die Redaktion ist sich einig: Art Brut sind top. christoph-koch hat sie sogar so umgehauen, dass er unbedingt die Kritik dazu schreiben wollte. Voilà: Vorletztes Wochenende im neuen „Rio“ in Berlin: Eine Band steigt auf die Bühne, der Schnurrbartsänger fragt sie „Are you ready, Art Brut?“ Er spricht es nicht französisch „Ar Brü“ aus, sondern eher wie in „so eine Art Brut“. Dann fängt der Schlagzeuger an, im Stehen auf seine Trommeln einzuhauen. Als nach gut einer halben Stunde alles vorbei ist, tropft Kondenswasser von der Decke. Art Brut kündigten sich schon vor Monaten mit der bollernden Single „Formed A Band“ an, in der sie voller Stolz in die Welt schrieen „Look at us! We formed a band!“ und erklärten, ein Lied zu komponieren, das bekannter als „Happy Birthday“ werden und Israel und Palästina einen würde. Der Humor ist geblieben, die Themen der Lieder sind auf dem Debütalbum noch vielfältiger geworden: „Emily Kane“ zum Beispiel, die Hymne an die unschuldige erste Liebe („If memory serves, we’re still on a break“). Oder „Bad Weekend“, das beschreibt, wie beschissen es sich anfühlt, SMS von Freunden zu bekommen, die gerade bei Topshop einkaufen, wenn man sich selbst nur ein Fernsehwochenende leisten kann („Popular culture no longer applies to me“). Oder „Moving To L.A.“, in dem es vorwiegend um das angenehme Wetter Kaliforniens geht, wo es sich doch viel besser mit Axl Rose und Morrissey abhängen ließe („Hmmm, I might even get a tattoo “). Oder „Brand New Girlfriend“, das exakt davon handelt („I’ve seen her naked TWICE“). Oder, oder, oder. Natürlich kann man das alles ironisch lesen. Dann kann man die CD aber auch genauso gut wegwerfen. Denn wie der, ja tatsächlich, gewitzte Sänger Eddie Argos proklamiert: „Yes, this is my singing voice! It’s not irony! And it’s not rock’n’roll! I am just talking! To the kids!“. Die klügste, originellste Interpretation des Punk-Gedanken seit Jahren. Auch wenn (oder gerade weil) man nächstes Jahr nichts mehr von Art Brut hören wird. Die andere extrem zu empfehlende Platte dieser Woche ist bereits 15 Jahre alt: „Was machen Huah! Jetzt?“ - das Debütalbum der Hamburger Band Huah!, der Band, mit der alles begann, damals in Hamburg. Als die Platte erscheint, ist es 1990: Die Mauer war gerade weg, an der Reeperbahn stürmten Trabbifahrer die Sexshops und die anderen wollten vor allem eines: Geld. Und Knarf Rellöm, Sänger und Songschreiber von Huah! hat Liebeskummer und textet das Stück „Wie funktioniert das?“: „Jetzt auch noch dieser Deutschland-Quatsch, jeder wittert seine Chance. Ich mach nicht mit!.“ Heute im Jahr 2005 fährt niemand mehr Trabbi, der Deutschland-Quatsch ist immer noch nicht vorbei und alle jammern über zu wenig Geld. Deutsche Bands, die sich verweigern, gibt es leider viel zu wenig. Ein Genuss deshalb, diese Wiederveröffentlichung, zwischen all den Deutsch singenden, nichtssagenden, Schulfest-Gitarrenmelodien spielenden Bands des Jahres 2005. Huah! das waren Wortwitz, Selbstironie, Liebeslieder, Kritik an der Gesellschaft und eine musikalische Bandbreite, deren Vorbilder von den B 52s, Fugazi und Hüsker Dü zu Soul und 60ies Girlbands reichten. Großartig ist auch das Cover. Im Original sah man die Band ein Auto knacken, weil sie von der Musik nicht leben konnte. Jetzt sieht man sie in Entenmasken ein Auto knacken und in den Scheiben spiegeln sich ihre echten Gesichter. Im Booklet führt Knarf Rellöm ein Interview mit sich selbst, erzählt lustige Anekdoten, wundert sich selbst über manche seiner beknackten Texte und freut sich über schöne Stellen. Zum Beispiel über seine Ansage auf dem Eröffnungsstück, die man kennen sollte, bevor man sich die Platte zulegt: „Ihr werdet diese Platte genießen, wenn ihr drei Dinge beachtet: 1. Huah! sind klasse, 2. diese Band hat Ideen, 3. achtet darauf was ihr esst. Wenn ihr das genauso macht, wird euch diese Platte gefallen. Wenn nicht, dann nicht.“ Ein zumindest kleiner Lichtblick in dieser düsteren Musik-Woche ist noch das Debütalbum „Music’s Made of Memories“ von Treva Whateva. Treva Whateva ist vor allem ein seit Jahren um die Welt reisender DJ, der schon ein paar 12 Inches rausgebracht hat, aber eben erst jetzt ein ganzes Album vorlegt. Und wenn endlich mal wieder die Sonne scheinen und die Temperatur in diesem verregneten Sommer über die 20 Grad Grenze klettern würde, dann wäre diese Platte ideal, um mit ihr Baggersee-, Garten- und Strand-Parties zu beschallen. Mit ihrer Mischung aus Garage Bass („Bouncing Bomb“) und Disco („Driving Reign“), Funk und Soul („Music’s Made of Memories“), old school Ragga („Dedicated VIP“), singenden Muppets, die sich anhören, als seien sie auf Crack („Singalong“) und Stücken, die sich nach den Jackson 5 anhören, die auf einer Party ausflippenden, können bei dieser Platte gepaart mit ein paar Cocktails schon mal Kopfnicken, Fußwippen, breites Grinsen und der Versuch, unmögliche Breakdance-Moves aus unmöglichen 80er-Jahre-Filmen nachzuahmen, auftreten. Außerdem ist ein Titel wie „Music’s Made of Memories“ für einen sampelnden DJ, der sich aus dem riesigen Fundus des musikalischen Gedächtnis bedient, ziemlich cool. Party on, Treva. Benutzt ihr eigentlich auch so was wie einen Messenger, um euch mit Freunden oder Kollegen auszutauschen? Also, ich hab das erst entdeckt und bin vor allem von den „Animoticons“ begeistert, die man verschicken kann. Da gibt es zum Beispiel ein Männchen, das mit Wut verzerrtem Gesicht eine E-Gitarre zertrümmert. Das verschicke ich am liebsten, weil es seltsamerweise oft meinen Gemütszustand auf den Punkt bringt. Die Band Big Bear aus Boston hört sich so an, als würde dieses Männchen seine Gitarre direkt auf deinem Trommelfell zertrümmern. Im Info steht: „Big Bear sind ausgezogen, um Grenzen zu sprengen, Ketten abzulegen und jedwedes Schubladendenken zu pulverisieren.“ Und pulverisiert wird bei dem Gitarren-Schlagzeug-Krach und Rumgekreische bestimmt einiges. Feinste Axtarbeit, das muss man neidlos anerkennen. Irgendwie lustig, vor allem, weil die Stücke selten länger als drei Minuten sind, aber – um ehrlich zu sein - leider unhörbar. Außerdem erscheinen diese Woche: Subsonics - Die Bobby Die (Rock’nRoll Inc.) Gibt es schon ewig, dieses Trio aus Atlanta, das nun sein sechstes Album veröffentlicht und seinen bewährten Mix aus Rock, Garagensound und Lo-Fi-Rockabilly auf 13 neue Stücke gepresst hat. Vor allem „Good half, Bad Half“ ist spitze. Genau 1:20 Minuten lang, hat aber trotzdem alles, was ein guter Song braucht: eine eingängige, holprige Melodie, ein hübscher Text, eine kleine Instrumentalpassage, noch mal der Refrain und aus. Über die Band heißt es oft, sie klängen wie die White Stripes, dabei muss man diesen Vergleich wohl eher umdrehen. Pawnshop Orchestra - Vaudeville (lolila) Pawnshop Orchestra, das ist vor allem Daniel Decker, der sonst lieber allein auf seiner Gitarre klampft, erweitert durch allerlei andere Musiker, unter anderem von Kante. Auf „Vaudeville“ gibt es jede Menge Popkauzigkeiten, ziemlich holpernd, verschroben, lethargisch, mit einer guten Dosis Melancholie. Decker betrauert Verluste, wünscht sich was, begreift Blumen. Manchmal gelingen schöne Melodien („Manchmal“), oft bleibt die Musik aber an der eigenen Kauzigkeit kleben und freut sich zu sehr daran, dass alles ein bisschen schief klingt („Blumen begreifen“). The Bravery – The Bravery (Island / Universal) Lange Zeit nur als Import erhältlich kommt das Bravery-Album nun auch offiziell zu uns. Blöd nur, dass wir mittlerweile aus dem Taumel erwacht sind, den Trendfrisuren auf dem Vogue-Cover und die nach wie vor gute Single „An Honest Mistake“ nach fünf Gin Tonic ausgelöst hat. Mit tüchtigem Kater sieht man ja oft klarer – und greift lieber gleich zur Cure-Sammlung (christoph-koch). Fetsum – Meine Musik (Four Music) Fetsum, neuster Four Music-Zugang, hört sich genau so an wie Joy Denalane. Er kann, wie es sich für einen perfekten Hiphop-Feature-Sänger gehört, singen und macht Soul, nennt es aber „Urban Folk“. Seine Platte „Meine Musik“ ist ein bisschen schwer durchzuhören. Vielleicht hätte er es wie J-Luv machen sollen: große Hiphopper aufs eigene Solo-Album holen. (hannes-kerber) The Polyphonic Spree - Together We’re Heavy (Good Records Recordings) Vorsicht, die Hippies kommen wieder! Die 23-köpfige Band um Mastermind Tim DeLaughter ist zurück. Im Gepäck haben sie aber leider nur ihr neues, altes Album "Together We´re Heavy" mit ein wenig Bonusmaterial: zwei neue Tracks, zwei neue Videos. Das ist alles. Aber, wer’s noch nicht hat, unbedingt kaufen, weil sehr toll.