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Emanzipierte Franzackenschlawiner retten die Welt
Labels Jede Woche stellen wir an dieser Stelle einige CDs vor, die diese Woche erscheinen. Nicht unbedingt die besten, nicht unbedingt die schlechtesten - sondern einfach die, die wir erwähnenswert finden. Wir Sind Helden – Von hier an blind (Labels) Benjamin Biolay – A L’Origine (Labels) Mariah Carey – The Emancipation of Mimi Gem – Tell Me What’s New Haldern-Pop Recordings / Cargo) Die Firma - Krieg und Frieden (BMG) Ach, weißte was? Scheiß auf Spannungsbögen und Einleitungen. Lieber gleich über das neue Album von Wir sind Helden reden. Die rufen ja gerade einige von den Leuten auf den Plan, die Rapper wie Jay-Z zu Recht Hater nennen. Meckerer, für die Erfolg automatisch etwas schlechtes bedeutet, nur weil sie sich tatsächlich einbilden die Band als allerallererstes entdeckt zu haben. Klar, du und wieviel von deinen Kommilitonen? Um es kurz zu machen: „Von hier an blind“ ist eine sehr gute deutsche Pop-Platte. Wenn man die Lieder 4, 9 und 10 skipt (oder sich einfach nicht auf den iPod spielt), denn hier wird es kurzzeitig etwas sozialpädagogisch bieder, wenn von Zuhältern und leichtbekleideten Mädchen gesprochen wird. Aber der Rest, Lieder wie „Echolot“, „Wenn es passiert“, das Titelstück oder „Wütend genug“ ist ganz einfach Spitzenmaterial. Gutes Songwriting, schöne und kluge Texte, eine stämmige Produktion und eine sympathische Grundmelancholie. So soll es doch sein. Auf meine Frage, ob es sich bei der Platte um ein Themenalbum zu den großen Sujets „Tragen / jemandem etwas abnehmen / in die Knie gehen / Lasttiere“ handelt, kam übrigens die (verkürzt wiedergegeben) die Antwort: „Na ja, das schon auch. Aber es geht eigentlich auch dauernd um den, äh ... Tod, oder?“ Benjamin Biolay war ja vor ein paar Jahren sowas wie die Kruder & Dorfmeister des neuen Jahrtausends. In Personalunion. Nicht unbedingt wegen der Musik sondern wegen der Tatsache, dass sich alle darauf einigen konnten und man die CD auch in Regalen fand, wo nur alle 8 Monate eine Neuanschaffung Platz findet. Aber musikalisch klingt das natürlich anders, eher wie dieser andere Franzackenschlawiner Serge Gainsbourg, auch auf der neuen CD „A L’Origine“, die Biolay diese Woche veröffentlicht. In Sachen Instrumentierung manchmal ganz schön theatralischer Schrott, aber wenn der schöne junge Mann dann seine Stimme drüberlegt, können die Geigen noch so ächzen, man will trotzdem sofort jemandem mit gutem Hintern (und Spitzencharakter, logo) ganz tief in die Augen schauen. Vor Liebestrunkenheit fast nicht mehr in der Lage, die CD-Schublade zu öffnen. Himmelnocheins. Dabei wartet ja noch ein ganz besonderes Schätzchen im Stapel: Mariah Carey sieht auf dem Cover ihres neuen Albums aus wie eine Mischung aus Beyonce Knowles und einer Airbrush-Zeichnung auf einer Motorhaube in Miami, South Beach. Und nicht dass diese Spannbreite sonderlich weit wäre. Mittlerweile zu einer völlig artifiziellen Figur geworden, nennt Mariah ihr Album „The Emancipation of Mimi“, was irgendwie an „The Miseducation of Lauryn Hill“ erinnert. Bildungsroman meets Alter Ego – eigentlich ein Schlag der immer beweist, dass ein Künstler sich in einer Sackgasse befindet. „The Emancipation“ ist alles andere als Schrott, solider Bump’n’grind R&B mit Gästen von Nelly bis Snoop und Ausflügen in den Neo-Soul-Streichelzoo, gut produziert von Antonio „LA“ Reid. Nur leider klang’s halt vor zehn Jahren schon haargenauso. Zu wenig Rock bisher? Das ändert sich, wenn man Gem auf die bierverklebte Bühne bittet. Irgendwo zwischen den Libertines, Cesars und Hives landet hier der Mikrofonständer, den der Sänger dieses fliegenden Holländers mit Sicherheit gerne herumschleudert. Macht man halt so. Auf dem Label des hervorragenden Haldern-Festivals erscheint „Tell Me What’s New“ und dort, im so genannten Spiegelzelt, wurden von Gem wohl auch schon große Erfolge gefeiert. Muss ich jetzt mal glauben, hab’s nicht gesehen. Aber eine richtige Notwendigkeit, warum man Gem jetzt neben den genannten Bands und den hundert anderen, die so ähnlich klingen auch noch gutfinden müsste, kann ich nicht erkennen. Aber hey, passt schon. Echt jetzt. Am Schluss noch ein bisschen was zu lachen: Zugegeben, sich über deutschen Hiphop lustig zu machen, ist im Moment so einfach wie einen Eimer Wasser umzuschütten. Aber dass jetzt auch Die Firma mit „Krieg und Frieden“ wieder ein neues Album macht, hätte ich wirklich nicht gedacht. Ich dachte, die wären alle wieder in ihre Dayjobs zurückgekehrt. Statt dessen gibt’s einen Nachschlag Big-Brother-Rap, ein Genre, das Die Firma sehr souverän beackert: Pathetisch-fatalistische Texte, die den sehr originellen Standpunkt vertreten, dass irgendwie früher alles besser war und die da oben ja eh mit einem machen, was sie wollen. Textzeilen wie „Kinder brauchen Visionen / doch die Bilder, die sie senden, zeigen Kinder mit Pistolen“ oder „Eltern überlegen, wie sie durchkommen und Steuern sparen / Und verwerfen ihre Träume wie Vorsätze für das neue Jahr“ sind in ihrer nachdenklichen Betroffenheit fast schon rührend. Die Firma - demnächst wahrscheinlich bald auf Tour mit ZDF-Vorzeigespießer Peter Hahne. Allerdopest. Außerdem erscheinen diese Woche: Mates of State – All Day (Polyvinyl / Rough Trade) Eine sehr tolle EP aus San Francisco mit so euphorisch verknarztem Sommergesang und Orgel. Wenn mir jetzt bloß noch einfiele, an wen die Stimme des Sängers erinnert ... Manhead – Manhead (Four Music) Bunt gewürfelte Electro-Disco von dem Typen, der sich mal Manhead, mal Headman nennt und halt so rumremixt. Endsokay. Anajo – Monika Tanzband MCD (Tapete) Der große Ohrwurm, der mir noch besser gefiele, wenn er “Zitronika Tanzbär“ hieße. Aber man kann ja nicht immer alles haben. Aloha – Here Comes Everyone (Polyvinyl / Rough Trade) Angenehmer Postrock aus dem auf ewig unterschätzten US-Bundesstaat Ohio. Dem ja nicht mal das dramatische Swingstate-Dasein für länger als fünf Minuten aus seiner Bedeutungslosigkeit helfen konnte. Decorder – Für immer und weiter (Sitzer Records / Brokensilence) Spitzenalbum aus vermutlich Köln mit so angenehm desillusionierten Texten zu geschmeidiger Musik. Der gute und begeisterte Linus Volkmann will das aufgrund von Topfrisuren Hair-Indie nennen. Ich sage: Die deutschen Bloc Party ohne die hibbeligen Lieder.