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Die Lieder der Woche: Klaxons, Rakes, Ex-Suede und Schweden
Lied: "Little Superstitions" von The Rakes Ausgesucht weil: Das letzte Schöne, was man von den Rakes hört, bevor sie untergehen Ausgesucht von: Dem schwierigen zweiten Album: "Ten New Messages" (V2)
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Die Rakes stehen wie ihre Kumpels von den anderen britischen Go-Kart-Gitarrenbrechern mit dem zweiten Album gewissermaßen im Recall: richtige Band und weiter, oder Blender und raus. Bisher sieht die Statistik so aus: Bloc Party (weiter), Kaiser Chiefs (raus), Maximo Park (weiter). Angesichts dieses Rakes-Albums geht der Daumen leider runter, auch wenn das ausgewählte Lied bezaubernd schön ist – der Großteil wirkt hier uninspiriert zusammengeschrammelt. Was bei frühen Hits wie „Straßbourg“ so charmant unfertig die Ohren im Sturm einnahm, ist hier offenbar einer Art überlegtem Songwriting gewichen, das wenig Überraschungen und viel Durchgekautes zu Tage fördert. Für eine gelinde Dancefloor-Aufregung dürfte noch das hypereingängige „We Danced Together“ sorgen, das hübsch plump Versatzstücke der 80er in die Waagschale wirft. Der Rest ist kurviges und recht seelenloses Wandern durch die Genres, immer in der Hoffnung, ein markiger Refrain könnte die simplen Akkorde veredeln. Nichts gegen simple Akkorde, aber wenn sie derart müde und abgeklärt auf den Tisch gebracht werden, ist man nach der Hälfte schon satt. Seltsam auch, dass von dem doch recht ruppigen Rock’n’Roll der Rakes jetzt ein seltsam synth-softer Transpop übrig blieb. Der viel versprechende britische Nachwuchs, Bands wie The View, dürfte die Rakes dieses Jahr problemlos überrunden. Lied: "Golden Skans" von Klaxons Ausgesucht weil: Dazu würde sogar ein durchschnittliches "Wetten dass?"-Publikum beim ersten Hören abgehen. Ausgesucht aus: Dem ersehnten ersten richtigen Album „Myths Of The Near Future“ (Polydor)
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Möglich dass meine Ohren diese Woche schlecht gelaunt sind, falls das so ist, möge mir bitte jemand mit verständigerem Gelausch die Klaxons erklären. Weil sie ständig davon reden, weiß mittlerweile auch meine kitzlige Cousine, dass sich die Klaxons eine Musik namens "New Rave" ausgedacht haben. Dass ihre Konzerte schnell ausverkauft sind, spricht dafür, dass die Menschheit auf diesen "New Rave" gewartet hat. Zu hören ist allerdings wenig „New“: Der Mix aus flotten Break Beats, Effekten und munteren Gitarren dödelt seit Jahren durchs Gebälk aller Indie-Discos – warum die Klaxons nun die ersten wahren Madchester-Erben sein sollen, weiß ich nicht. Absolut tanzgerecht ist die komplette Klaxons-Scheibe, das stimmt, ich finde das auch gar nicht übel, nur nicht unbedingt die Anstehschlangen am Ticket-Schalter wert, weil Bands wie Kasabian, The Faint, The Sounds und vier andere, die mir gerade nicht einfallen, nahezu baugleiche Tracks fabrizierten. Die Klaxons sind noch etwas sonniger und farbenfreudiger und machen tätowierten Cabriofahrern bestimmt permanent gute Laune. Im Grunde sind sie eigentlich wie Scissor Sisters mit Cockney-Akzent. Live fährt ein astreiner Hit wie „Golden Skans“ vermutlich direkt ins Herz, auf Platte gehen mir die Sirenen und das kieksige Speed-Gesimse nach fünf Liedern ein bisschen auf die Nerven, ungefähr so wie ein Kindergeburtstag in der Nachbarwohnung. Aber das ist ja auch nett, wenn man dabei ist. Lied: "One Lazy Morning" von Brett Anderson Ausgesucht weil: Es genauso ist wie die anderen und im Titel sehr hübsch das Einsatzgebiet dieser Musik umreißt. Ausgesucht von: Der selbstbetitelten Solonummer des Ex-Suede-isten (V2)
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Pulp, Suede, The Verve – von all diesen goldbekränzten Ahnen meiner topgestylten 90er-Jugend sind heute nur noch die Frontmänner übrig, die wie monolithische Kalkfelsen in der Brandung langsam abbröckeln. Keiner dieser Typen kann der Versuchung widerstehen, alleine noch mal Platten zu machen. Bei Jarvis Cocker war das ziemlich dröge, Richard Ashcroft hatte immerhin souveräne Balladen-Wucht zu bieten und jetzt also Brett Anderson, Ex-Suede-Gott. Sein Angebot ist ziemlich ruhig und harmlos, nicht zu viele Geigen, nicht zu verkopftes Songwriting, eher entwaffnendes Geträller, wie man es nie vermisst hat, aber auch nicht gerade verteufelt. Wäre 1998 würde ich sagen: eine durchschnittliche, melancholische Britpopplatte. Als ob Quiet-is-the-new-Loud und New-Britrock nie passiert wären, so klingt das. Für Fans ein schönes Geschenk, für alle anderen nicht wert, stehen zu bleiben. Lied: "We made the Team" von The Radio Dept. Ausgewählt weil: Es der hundertste von hundert tollen Songs auf dieser Mammut-Compilation ist. Ausgewählt von: Dem schwedischen Universallexikon "Labrador 100, A Complete History Of Popular Music“ (labrador)
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Dieser Song kommt von einer außergewöhnlichen und außergewöhnlich schönen Label-Compilation, die nicht nur eine Plattenfirma, sondern auch ein ganzes Land repräsentiert. Wie kein Land vergleichbarerer Einwohnerzahl hat Schweden zeitgenössische Popmusik unterwandert, infiltriert und optimiert. Und einen großen Anteil an der Aufgabe, auch noch die zartesten Geheimtipps aus den schwedischen Wäldern in ganz Europa zu Gehör zu bringen, hatte das unermüdliche Labrador Label. Dieses klopft sich nun mit einem gewaltigen 100-Song-Kompendium auf die eigene Schulter und schafft damit das Standardwerk für schwedischen Pop. Der ist ebenso seltsam wie perfekt, das macht die Beschäftigung mit diesem Berg an Musik klar. Die Schweden musizieren mit einer Hingabe und Kreativität, die sich überhaupt nicht an europäischen Trends stört und die von einer eigentümlichen inneren Fröhlichkeit beseelt ist. Pfeifende, flötenden Intros, Glockenspiel und Tambourin und ein omnipräsenter Mitklatschwille gehören zu den Grundzügen dieses Pop, der damit seiner eigentlichen Form auch wieder sehr nahe kommt. Es herrscht eine ans Oberflächliche grenzende Leichtigkeit, gepaart mit viel ästhetischem Stilempfinden und, wie gesagt, einer unheimlichen Dichte an talentierten Musikern – kein Zufall. Wer Schweden kennt, weiß, dass bei den zahlreichen Festen, Feiertagen und Zusammenkünften das gemeinsame Singen, Musizieren oder zumindest Klatschen und im Kreis tanzen nach wie vor eine wichtige Rolle spielt – mit einer gesellschaftlichen Akzeptanz, die man hierzulande nicht mal ansatzweise ausmachen könnte. Halbstarke und Studenten, Bikinimodels und Großmütter klatschen und singen dann zusammen in reinster Selbstverständlichkeit und frei von Beklemmung, kaum ein Student hat Probleme sein Lieblingslied alleine und frei ordentlich vorzusingen – eine Übung, die gerade bei Jungs hierzulande ziemlich in die Hose gehen dürfte. So ungenügend diese ethnologische Herleitung ist – dutzende junger Bands, die einen internationalen Popvergleich mit Briten und Amis bestehen, wenn nicht gar dominieren, dürfen schon als Ergebnis dieser stammesüblichen Musiknähe verstanden werden. Natürlich muss man nicht hundert schwedische Popsongs hintereinander anhören, wer es dennoch tut, wird feststellen, dass mindestens 70 Prozent davon auf Anhieb sehr gut unterhalten. Eine traumhafte Quote.