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Die Alben, die du 2004 verpasst hast
Epitaph Was die wenigsten wissen: Der Advent heißt nur deswegen „die staade Zeit“, weil keine neuen CDs rauskommen. Im großen Weihnachtsrummel werfen alle schnell noch die fünfte Robbie-Williams-Best-Of auf den Markt und ein paar halbherzige Weihnachts-Compilations hinterher. Mit denen beschäftigen wir uns aber erst nächste Woche. Heute soll es um die Alben gehen, die 2004 irgendwie hinten runtergefallen sind – turbotop und doch zu wenig beachtet. Kurz: Das Gegenteil von Hype. The Go-Betweens – Liberty Belle / Tallulah / 16 Lovers Lane (Lo-Max) Hot Water Music – The New What Next (Epitaph Records) Marr – Express And Take Shape (Grand Hotel Can Cleef) Bart Davenport – Game Preserve Die Go-Betweens hat man ja unter Umständen schon Ende der Achtziger verpasst. Vielleicht weil man damals noch (wie ich) dachte, es gäbe keine geilere Musik als Metal – oder weil man noch überhaupt nichts von Musik wusste, sondern nur Schnuller und Sandkiste kannte. Dabei sind die Go-Betweens so etwas wie die beste Band, die jemals aus Australien kam (nein, AC/DC und die Typen vom „Crocodile Dundee“-Soundtrack sind es eben nicht). Ihre drei Alben „“Liberty Belle And The Black Diamond Express“, „Tallulah“ und „16 Lovers Lane“, die zwischen 1986 und 1988 erschienen sind allesamt zauberhafte exzentrische Pop-Alben, die mit den ganz großen Gefühlen dealen – ohne deswegen gleich im großen Wasserfarbkasten zu dolle im Kitschdeckweiß oder dem Zynismusblau herumzuklecksen. Alle drei Alben sind dieses Jahr liebevoll als Doppel-CDs wiederveröffentlicht worden. Und während auf den Original-Alben jeder der beiden Songwriter Robert Forster und Grant McLennan jeweils genau fünf Songs beisteuern durften, sind die Wiederauflagen um rund zehn Songs pro Album verstärkt. Outtakes, Demos, B-Seiten, Videos, all that jazz eben. Schön ist vor allem, zu sehen, wie sich die Go-Betweens binnen drei Jahren an einer Liane vom spröden und manchmal leicht dilettantischen New Wave („Liberty Belle“) zu ausgereiften, folkig instrumentierten Pop-Perlen hinüberschwingen. Aber auch richtig neue Sachen wurden dieses Jahr verpasst, zum Beispiel das neue Album „The New What Next“ von Hot Water Music. Gainesvilles Emohaudegen Numero Uno haben mittlerweile schon jedes besetzte Haus vom Panhandle bis zum Hunsrück in ein euphorisches Schwitzbad verwandelt und verdribbeln sich auch mit dem sechsten Album binnen zehn Jahren nicht. Die Stimmen sind immer noch verzweifelt und heiser; die Texte immer noch von simpler Aufgewühltheit. Willkommen auf allen Vieren, das Kinn trotzdem nach vorne. Da macht es auch nichts, wenn die Gitarren und das Schlagzeug etwas glatter klingen als noch vor ein paar Jahren – so lange das Herz noch so derart volle Lotte dabei ist. Bitte, Max... ... danke, Christoph. Ich glaube ja, das viele Leute dieses Jahr das Album der Band Marr verpasst haben. Mein Marr-Moment 1, Februar 2004: Ich muss eine Rezension über die neue Marr-Platte verfassen. Ich schreibe also: „Auf den früheren Marr-EPs fanden ja alle die Stimme von Jan Elbeshausen endsnervig. Die klingelt auch hier durchgehend ein bisschen hoch unter der Stirn, ist aber sonst nicht so ausgefallen, dass man sich das Maul darüber zerreißen müsste. Interessanter wäre einer, der sagt, dass Marr manchmal klingen, als hätten die mittleren U2 zu viel Astra-Pils getrunken. (...) Großes Marr-Problem: Der glatte Edelcore-Sound will eine richtig breite Bühne, die Ex-Kiezpunk-Gesinnung will ein blutiges Jugendzentrum. Irgendwo dazwischen werden Marr in diesem Jahr die Gitarren schwingen und voller Berechtigung „Our Fashion is your Fashion“ singen.“ So schicke ich das ab. Wenige Tage später kommt mir die Marr-Platte in einer undurchsichtigen Situation abhanden. Marr-Moment 2, Mai 2004: Die ersten Stunden des immergut-Festivals, in denen alle und alles noch ein bisschen zu sauber ist. Das erste Plastikbecher-Bier (auf der Hinfahrt nur Mr. Brown!) schmeckt ja auch eher anstrengend. Dann kommen aber schon Marr auf die Bühne und sprengen den Nachmittag in Luft. Bumm. Jan Elbeshausen ist toll, im Sinne von verrückt. So angespannt, dass man Angst hat, er zerreißt, wenn er nicht schreit. Und er schreit. Nach dem Konzert ist alles klar und man weiß von allem wieder den Grund: Warum immer noch immergut. Warum immer noch Plastikbecher. Warum immer noch Jungs mit Gitarren auf der Bühne. Warum Hamburg und nicht Berlin. Die Antwort ist an diesem Tag immer Marr. Bitte, Barbara, ... ... danke, Max. Eine andere Antwort könnte Bart Davenport geben. Er ist ein schmaler, braunäugiger und dunkelhaariger Bursche, der, steht er (strumpfsockig) auf der Bühne, zuerst seine akustische Gitarre, dann das Publikum in Ekstase bringt. Er singt Sachen wie diese: „I’m lying in the grass I’m thinking of you I know how you taste I know how you bite I know what you like We’re all tigers And this will never end“ Früher war der von Hippieeltern in Amsterdam groß gezogene Bart Davenport Sänger bei Bands namens „The Loved Ones“ und „The Kinetics“. Jetzt nimmt er daheim in seinem Haus in Berkeley Platten auf und spielt zum Beispiel mit Kings Of Convenience zusammen. 2004 erschien das Album „Game Preserve“ mit bacharachsken Hits wie „My Brother Woody“ oder „When you’re sad“ neben traurigen Lamentos wie etwa „Nowhere left to go“. Die Ekstase, in die Bart Davenport auf der Bühne gerät, hat er nur in Ansätzen aufgenommen, was ein wenig schade ist. Doch „Game Preserve“ ist ein schönes folkiges Album mit Stücken, die manchmal sogar besser sind als die ganzen ausgelutschten Hits von Paul Simon – und Zeilen wie „everyone on earth is so beautiful – even you“ trösten darüber hinweg, dass Bart Davenport nur Halbgas, aber nicht Vollgas gibt. Vielleicht wird seine nächste Platte, „Maroon Cocoon“, die für Anfang 2005 angekündigt ist, noch etwas weniger ordentlich und sauber und dafür ekstatischer. christoph-koch, max-scharnigg und barbara-streidl