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Besprochen: Lemonheads, Killers, Hund Marie, Crash Tokio, Fotos
The Lemonheads - dto. (Vagrant) Wenn man sehr, sehr furchtbar ehrlich ist, dann hätten es Evan Dando und seine Lemonheads verdient, längst vergessen zu sein. Das Ganzkörper-Entzücken jedenfalls ist kaum logisch zu erklären, das ausgewachsene Indiepopper heute angesichts eines neuen Lemonheads-Albums befällt. Es hat zu tun mit einer sehr guten Platte, die die Lemonheads vor vierzehn Jahren machten. Diese Platte tilgte einige weiße Flecken, die es auf den Landkarten von Pop und Grunge noch gab und ließ amerikanisches Slackertum eine Zeitgeistminute lang wie die richtige Religion aussehen. Mit „Mrs. Robinson“ gab es sogar einen astreinen Hit darauf, aber der war nur eine Simon&Garfunkel-Coverversion. Grob gesagt war’s das. Alles, was vor und nach diesem Werk, es hieß „It’s a Shame About Ray“, von den Lemonheads kam, war in Ordnung, spielte aber keine epochale Rolle. 1997 löste sich eine ausgebrannte Band auf, die ohnehin nur den Dando als dauerhaftes Mitglied hatte. Soweit die trockene Buchführung. Mindestens 40 GB Legende und Mythos ranken sich dennoch um die Lemonheads, vor allem dank Dandos engelsgleichen Aussehens inkl. Modelheirat und seiner ambitionierten Drogenkarriere inkl. Bühnensturz (vgl. Doherty). Aber auch, weil der smart-kaputte Pop-Punk der Lemonheads sehr dekorativ in den Horizont der jungen 90er passte - nicht so düster wie Nirvana und weniger stonewashed als Pearl Jam. Bezeichnend ist, dass die Fragen, die man 2006 an die Lemonheads hat, mehrheitlich einer historischen Neugier entspringen: Dando immer noch randvoll mit Crack? (Angeblich nö) Jemand eingestellt von der alten Belegschaft? (Nö, dafür Vollzeit den Descendents-Helden Bill Stevenson und Teilzeit das 90er-Faktotum J. Mascis) Noch Kohle aus den 90ern? (Ja, wegen sicherer Finanzanlagen!) Ach, und wie klingt die Platte? Ganz gut. Wie eine gute Lemonheads-Platte. Evan Dandos ruhige Stimme schiebt sich über magenschonenden, naja, Indiepunk. Mascis zieht ein paar zynische Akkorde aus der großen Nase und Stevenson trommelt schnell aber umsichtig. Solides Ding insgesamt, nicht gerade des Tiefgeists Großmutter, aber doch so süffig, dass es für einen guten Rausch reicht. Danach aber dürfte man aufwachen und beschließen, dass, wenn man sehr, sehr furchtbar ehrlich ist, so ein Abend mit den ollen Typen von damals auch nicht mehr sein muss. Denn wirklich spannendes haben die nicht mehr zu erzählen.
The Killers - Sam’s Town (Island) Ah, die lang erwartete zweite Killers-Platte. In Sachen Vorgängeralbum munkelt man ja mittlerweile von knapp fünf Millionen verkauften Exemplaren - die schlau komponierte Mischung aus großrotzigem Gitarrenpop britischer Prägung und Las-Vegas-Rock’n’Roll katapultierte sie aus den kleinen Indie-Discos ganz mächtig in die große Runde. So ein erstes Hit-Bündel dürfte ein schweres Erbe sein, mit dem eine Band problemlos zunächst ins Stadion, dann aber auch zugrunde gehen kann. Insofern klingt zunächst vernünftig, was die Band auf diesem Zweitwerk macht: Nicht ganz so breitbeinig dastehen, die Songs verdichten, den jubilierenden Effekt/Geigen-Candy ein bisschen gleichmäßiger verteilen und Brandon Flowers etwas ernster in den Spiegel gucken lassen. Die Lady hat sich jetzt was angezogen. Macht damit natürlich weniger Spaß und auch weniger Sinn, denn eine richtig gute Band, im Sinne von handwerklich interessant, sind die Killers nicht. Die müssen blenden, um zu atmen. Was sie jetzt präsentieren, ist durchschnittliches Schnittwerk, wie es Bands zwischen Stockholm und Sydney jeden Monat mit Dienst nach Vorschrift abliefern. Autobahn-Songwriting, das bei jedem Lied die Abfahrt ins Interessante verpasst. Das Spektakuläre, das ein altes Lied wie „Mrs. Brightside“ bis heute hörenswert bleiben lässt, vermag man auf dieser Platte nicht benennen. Es fehlt der Schwung an den richtigen Stellen und die Kraft für Pointen. Die Single „When You Were Young“ ist das mühsame Abbild eines Killers-Hits. Die Indiekids werden sie in den Discos nicht oft genug hören, um dazu irgendwann völlig den Kopf zu verlieren. Und manches (etwa „Bling“) klingt wirklich schon wahnsinnig nach U2.
Der Hund Marie – Hooligans & Tiny Hands (Grand Hotel Van Cleef) Mit der Grand Hotelisierung dieser Nation ist im Schatten der Frontbands auch ein Erstarken des deutschen Singer/Songwritertums einhergegangen. Jens Friebe, Finn, Olli Schulz, ClickclickDecker heißen die wackeren jungen Metropolenbewohner, die sich an die Gitarre setzen und in ihren Texten Wurst-Melancholie und romantischen Wahnwitz melangieren. Der Hund Marie aka Max Schröder entspricht dieser Mode. Schnörkelloses, einfaches Liedgut, einigermaßen patent vorgesungen und mit leicht trashigem Gitarrenfolk umgarnt. Das ist schon nett. Ich habe aber keine rechte Verwendung dafür und dieser Umstand bestürzt mich auch ein bisschen. Mir geht diese alles durchwurzelnde Kettcar-Poesie schon langsam auf den Geist. Und zwar sowohl inhaltlich als auch in der immergleichen Art, wie sie intoniert wird. Diese halbmännliche Realitäts-Erbauung feat. "Wenn du gehst, ist mein Bier leer"-Emotion. Wenn Der Hund Marie, der in echt gar kein Hund ist, singt „Okehhhh, dann tut es eben wehhh“, klingt das nun mal wie ein x-mal gehörtes Destillat der Tomte/Kettcar-Lebenswelt. Ich liebe die ja alle. Aber kann dieser Hamburg/Berlin-Emo-Slack mal wieder anders klingen?
Crash Tokio – Heads, We’re Dancing (tapete) Freundschaftlich empfinde ich für diese Band, vielleicht weil sie aus München kommt, aber auch weil sie nett ist und längst mehr verdient hat, als sie bisher bekam. Mit der jetzt vorgelegten Platte sollte es trotz abschreckenden Cover-Artworks klappen. Wir sprechen hier nicht über Indierock sondern über Pop. Und zwar einen, der zum Glück über dieses Kuchenstück Exaltiertheit verfügt, das vielen jungen, deutschen Popbands abgeht. So ein Mut auch mal Bläser, Streicher und anderen himmlisch schönen Zierrat ordentlich einzusetzen und zwar souverän. Crash Tokio machen das gut, haben die Tanzbarkeit im Blick, wie es Phoenix nicht besser könnten und langweilen nicht. Etwas rougher als die seligen Miles, wenn man mal in die Nachbarschaft blickt, aber nicht weniger melodiebegabt. Ach, wie kriege ich das jetzt bloß in Worte, das einfach meint: Schönes Ding.
Fotos - dto. (Labels) Manche Bands sind schon vor dem Debüt größer als andere. Es liegt wohl an subtiler Promotion, wenn man also total gespannt auf Fotos ist, wobei die nüchternen Eckdaten so frappierend nicht sind: Vier rockstylige Jungs unter dreißig, Herkunft irgendwie aus der oberen Hälfte Deutschlands, ein paar gelungene Konzerte und jetzt also die erste Platte. Darauf zu hören: Viel Energie und viel auf international getrimmte Gitarren. Nichts wäre den Fotos peinlicher, als sich trotz deutscher Texte irgendwie in den deutschen alternativen Rock-Diskurs zwischen Tocotronic und Juli eingliedern zu müssen, die möchten lieber gleich irgendwo cooler sein. Ich höre nichts, was sie dazu berechtigt. Die Musik hat Wumms, das schon, liebäugelt mit Hard-Fi oder anderen britisch/schwedischen NeoPowerRock-Aktivisten. Die Stimme von Sänger Tom ist dabei niemals besonders markant, die Songschreibung erschöpft sich großteils in den Varianten sonores Vollgas zu einfältiger Leadgitarre oder pseudeowildes Geschraddel zum Refrain. Nichts, was Madsen nicht auch schon versucht hätten, wenn auch die Fotos mit den Bassläufen und ein paar Effekten mehr auf die Tanzfläche zeigen. Eine EP lang könnte man das wohl goutieren (Sehr nett z.B. „Wiederhole deinen Rhythmus“), aber auf Albumlänge ist eben ungefähr die Hälfte der Lieder einfallslos zusammengeschrieen. Und dann diese halbgeglückte Von Spar-Kreisch-Attitüde, die einen schon bei den originellen Von Spar superschnell nervte. Naja. Wer halt so so nassforsch ankommt wie die Fotos, muss das jetzt auch einstecken. Diese Band könnte sich von NEON dauerpräsentieren lassen: Homepage, Artwork, Presseinfo ist jedenfalls genau so. Und die Musik ja irgendwie auch.
United – Slick (noisedeluxe) Legendäre Livetaten eilen dieser schwedischen Band voraus, die ganz schön lange brauchte, um ihr Debüt zu produzieren – Herr Placebo hob aber schon mal im voraus beide Daumen dafür hoch. Soundmäßig gehen wir hier so in die düstere britische Postpunk-Abteilung, The Cure aber auch Joy Divison und die modernen The Faint dürften die Stockholmer ausführlich studiert haben. Ruhiger Pathos in kellerdunklen Gitarrenschleifen, eine sanft brutale Stimme die viel sing-erzählt und auch mal still ist, wenn’s passt. Irgendwie geglückt. Nichts aufregends, nur traurige Schweden eben, die zum Auftritt bestimmt sehr enge Jeans tragen und darin gut aussehen. Die Besprechung zur neuen Platte von Jet wird nächste Woche nachgereicht Hiphop und Artverwandtes mit hannes-kerber
V.A. - Royalbunker Nr.1 Vol.2: Rock’n’Roll (Royalbunker Independentproduktionen) „Hiphop ist Rock’n’Roll! Noch immer! Wenn er will! – Und Royalbunker will!“ So stellt das letzte einflussreiche Independent-Lable der deutschen Rapszene, Royalbunker, seine neueste Veröffentlichung vor. Der Stempel „Rock’n’Roll“ ist aber nur dann richtig, wenn man damit einen uneinheitlichen Mischmasch assoziiert: K.I.Z., eine relativ junge Berliner Rapcrew, etwa gehen einen nicht ganz uninteressanten Weg: Sie remixen den Wolfgang-Petry-Gassenhauer „Hölle“ zu einer abgedrehten Acid-Rap-ähnlichen, sehr „eigenen“ Version. Dem gegenüber steht Conscious Rapper Jack Orsen mit dem gesellschaftskritischen Track „Lasst uns beten“. Die neuen sehr unterschiedlichen Tracks haben nur eines gemeinsam: Alle Rapper sind Berliner - das reicht leider nicht ganz, um ein homogenes Werk herzustellen. Trotzdem: eine schöne, wenn auch etwas unebene Werkschau. Manuellsen – Insallah (Deluxe Records) Jetzt versuchen die Gangsta-MCs Deutschlands schon mit Argumenten zu überzeugen, wer „mehr ghetto“ ist. Ein bisschen lächerlich… (Manuellsen ist ein bisschen wie der Frankfurter Rapper Tone, aber uninteressanter.) Außerdem erscheinen diese Woche: Sebastian Sturm - This Change Is Nice (Rubin Records) The Sewergrooves – Rock’n’Roll Reeceiver (Wild Kingdom) Station 17 – Mikroprofessor (17rec) Roger Sanchez – Come With Me (Stealth) Emo – Remedy (Audiopharm) Sonique – On Kosmo (SonyBMG) The Resdients – Tweedles (Mute) The Michelles – Springtime 7” (Cheesedream) Juliette and The Licks – Four On The Floor (PIAS) Built 4 Speed – Minor Part1 (Endless Soul Records) The Answer – Rise (Pias) Nina Nastasia – On Leaving (fatcat records) V.A. – Music For Modern Living (Audiopharm) Solomon Burke – Nashville (Snapper)