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Zur Games Convention: Casual Games erobern den Massenmarkt
Für Computerspiele interessiert sich Nathan Mellalieu eigentlich nicht. Der athletische Mann war weder auf der Electronic Entertainment Expo (E3) genannten Spiele-Messe in Santa Monica im Juli, noch wird er in dieser Woche zur Games Convention nach Leipzig kommen. Und doch steht der Familienvater exemplarisch für eine Entwicklung, die die gesellschaftliche Wahrnehmung von Computerspielen grundsätzlich verändern wird: Nathan Mellalieu betreibt in Vancouver ein Fitness-Studio, in dem er seinen Kunden seit diesem Sommer eine Spielkonsole anbietet – zur körperlichen Ertüchtigung. Sein „Studio 55“ ist das erste Fitness-Center der Welt, in dem Menschen Kalorien an der Konsole verbrennen. Das meldete die Agentur Reuters Ende Juli in der Rubrik Kurioses. Dabei hätte diese Nachricht im Ressort Wirtschaft laufen müssen. Denn sie steht für die veränderten Zielgruppen und Absatzmärkte, die Hersteller von Computerspielen ansprechen wollen: Computerspieler sitzen nicht länger nur vor dem heimischen Rechner, Spielehersteller erreichen ihre Kunden heute auch im Sportstudio.
Jeder soll vor einen Bildschirm: UM dieses Ziel zu erreichen, versuchen die Spielehersteller auch Nicht-Gamer zum Spielen zu überreden, Foto von der Games Convention 2006: dpa
Darüber wird in Leipzig viel geredet werden, wenn am Donnerstag die Games Convention beginnt. Europas größte Messe für Computerspiele meldet in diesem Jahr erneut Rekordzahlen: mehr Aussteller (390 statt 370 im Vorjahr), eine größere Fläche (28 Prozent mehr als 2006) und vor allem mehr Besucher (über 200 000, rund 30 000 mehr als im Vorjahr). Glaubt man Branchenkennern hängt dieser Anstieg zumindest indirekt mit dem kanadischen Mellalieus Fitness-Studio zusammen: Der durchschnittliche Computerspieler ist 33 Jahre alt. Das klingt alt für all jene, die denken, Spielen sei lediglich eine Freizeitbeschäftigung für Kinder und Jugendliche. 33 Jahre klingt aber sehr jung für all jene, die wissen, dass auch die Mütter und Väter auf dem Weg sind, begeisterte Computerspieler zu werden – selbst wenn sie sich niemals so bezeichnen würden.
„Dieses Jahr wird ein wichtiger Meilenstein für Gelegenheitsspiele“, erklärt Pauline Jaquey, die beim Softwarehersteller Ubisoft eine junge Abteilung leitet, die programmatisch „Games for Everyone“ genannt wurde.Genau das will Ubisoft, wo man bislang eher auf Kriegsspiele setzte, schaffen: Es sollen Spiele entwickelt werden, die für jeden interessant sind. Solche Gelegenheitsspiele werden als Casual Games bezeichnet. Bekannte Beispiele sind Tetris, Minesweeper oder Moorhuhn. Vor allem Frauen und Nicht-Computerspieler nutzen bislang solche Angebote. Aber Spiele-Entwicklerin Jaquey erklärt: „Casual Games haben sich verändert: die Steuerung, die Interaktivität, die Zugänglichkeit. Das liegt vor allem an neuen Konsolen wie dem Nintendo DS und dem großen Erfolg der Wii.“
Die Wii ist jene Spielkonsole, von der der japanische Computerkonzern Nintendo gerne erzählt, dass er gar nicht nachkomme, sie auszuliefern. Die kleine weiße Kiste ist begehrt: 9,27 Millionen Wii-Konsolen hat Nintendo seit Dezember 2006 weltweit verkauft. Eine davon steht auch in Vancouver im Fitness-Studio von Nathan Mellalieu. Der Grund: Dank eines neuartigen Bedienkonzepts werden an der Wii nicht einfach nur die Daumen am Joystick bewegt, sondern der ganze Körper. Sensoren an der Wii-Mote genannten Fernbedienung erkennen die Bewegungen des Spielers und verwandeln den Controller so zu einem Tennis- oder Baseballschläger, mit dem man Bälle schlagen und sich bewegen kann. Anhand der Sportspiele der Wii (Tennis, Golf, Baseball, Bowling und Boxen) lässt sich beispielhaft die Entwicklung ablesen, wie Gaming nicht mehr nur ein Wettkampf mit virtuellen Gegnern oder dem Computer ist, sondern ein direktes Aufeinandertreffen mit Spielpartnern. Das Computerspiel wird zum Gesellschaftsspiel.
Der durchschnittliche Gamer ist 33 Jahre alt. Klingt alt? Der Industrie ist das noch zu jung, Foto von der Games Convention 2006: dpa
Die Attraktivität dieser Gruppenerlebnisse ist inzwischen so hoch, dass japanische Fernsehanstalten ihren Quotenrückgang im Juli auf einen neuen Konkurrenten zurückführen: die Wii. Die Menschen träfen sich abends und spielten, spekulierte unlängst ein japanischer Senderchef als er die Einbrüche der TV-Quote im Abendprogramm erklären sollte. Während dieser digitalen Spieleabende treten die Akteure auch im Westen nicht mehr als bauchige Männchen auf dem Spielbrett an, sondern als „Guitar Hero“ oder „Singstar“ auf der Bühne des eigenen Fernsehers auf. Sie messen sich – wie in den beiden gleichnamigen Spielen – mit einer Fernbedienung in Form einer Computer-Gitarre oder eines Mikrofon in der Hand mit ihren Freunden. Bei dem Musikspiel „Guitar Hero“, dessen dritter Teil Ende Oktober erscheint, müssen die Spieler durch Drücken von vier oder fünf Tasten auf einer nachgebildeten Gitarre, berühmte Songs nachspielen. Dieses Musizieren ohne Noten entwickelt, so schwärmte die New York Times unlängst, ähnliche gesellschaftliche Freuden wie das Karaoke-Nachsingen bekannter Songs. In Kneipen in Manhattan treffen sich jedenfalls bereits regelmäßig Menschen, um mit und gegeneinander virtuell Gitarre zu spielen – ähnlich dem Treiben in einer Karaoke-Bar.
Schlichte, aber gute Ideen
Für die Spielehersteller ist diese Entwicklung lukrativ. Aber von den klassischen Hardcore-Gamern wird der Eintritt in den gesellschaftlichen Massenmarkt kritisch gesehen. In einem Forum schimpfte ein Computerspiel-Fan letzte Woche: „Ich kann mit all diesen Spielen nichts anfangen. Singstar, Eyetoy, Guitar Hero, Wii Sports – für mich ist so was wenn überhaupt ein Spiel für zwischendurch ohne großartige Langzeitmotivation und erst recht ohne großartiges Spielerlebnis.“ Doch John Riccitiello, Chef des Spiele-Entwicklers Electronic Arts, gab der Branche unlängst den Weg in eine andere Richtung vor: „Wir konzentrieren uns bisher auf 150 Millionen Besitzer von Spielekonsolen. Aber die Zielgruppe wäre zwei Milliarden Menschen groß.“
Und diese neuen Spieler wollen nicht mit aufwändiger Grafik oder ausgeklügeltem Spielsystem überzeugen werden, sondern mit schlichten, aber guten Ideen. Eine davon stammt von Shigeru Miyamoto, dem Erfinder von „Super Mario“. „Wir haben die Wii als Haushaltgerät konzipiert, das für alle etwas bieten soll“, erklärte Miyamoto auf der E3 Spielemesse in Santa Monica. Gesundheit und Fitness seien zum Beispiel für jeden interessant. Deshalb ist Nintendos kommendes Angebot das Spiel Wii-Fit, das mit Hilfe eines schlichten Brettes bedient wird. Die liegende Fernbedienung heißt Balance Board und ähnelt einer Personenwaage. Sie überträgt die Bewegungen des Spielers an die Konsole während dieser einen nur auf dem Bildschirm vorhandenen Reifen um den eigenen Bauch kreisen lässt.
Ob die Besucher der Games-Convention Wii-Fit, das erst 2008 in Europa auf den Markt kommen soll, zu sehen bekommen, verrät Nintendo noch nicht. Das neue Branchenvorbild aus Japan hält sich mit Ankündigungen vor der Messe sehr bedeckt. Sicher ist aber: Wii-Fit würde nicht nur Fitness-Studio-Besitzer Nathan Mellalieu erfreuen, sondern vermutlich auch die Besucher der Games-Convention in Leipzig.
Mehr zum Thema auf jetzt.de:
>> Wii have a Problem - eine Übersicht über Spielschäden an der Wii
>> Karaoko 2.0: Guitar Hero ist das neue Mitsingen
>>Spielend Geld verdienen: ein Interview mit Felix Wittkopf von der Games Academy
Guitar Hero
Worum geht’s? Musikspiel mit Gitarren-Controller, der einer Gibson nachgebildet ist. Ziel: Lieder spielen und die Gunst des Publikums gewinnen - bei verstellbarem Schwierigkeitsgrad. Es gibt über 55 Songs, im Herbst erscheint Folge 3. Besonderheiten: Duettfunktion (gegeneinander spielen) und Karrieremodus (Aufstiegsmöglichkeit mit deiner Band)
Wer spielt’s? Rocker, die keine Lust auf Noten haben
Das sagen deine Eltern Jetzt spielt keiner mehr auf dem schönen Klavier!
Experten-Meinung „Es ist eine wahr gewordene Rock Fantasy – für euch Freaks da draußen“ - Bernd Begemann im Splitscreen-Podcast (MP3) des Spielemagazins GEE-Magazins
Kosten Guitar Hero“ und „Guitar Hero: Rocks the 80s” für Playstation 2, “Guitar Hero ll” und “Guitar Hero lll: Legends of Rock” auch für Xbox 360 und Wii
„Guitar Hero“ und Gitarre für 71,95 Euro
„Guitar Hero 2“ und Gitarre für 65, 95 Euro
SingStar
Worum geht’s?
Karaoke-Spiel: Lieder nachsingen, möglichst so, dass die richtigen Töne getroffen werden
Wer spielt’s?
Menschen, denen „Popstars“ und „Deutschland sucht den Superstar“, die auf ihren großen Auftritt aber dennoch nicht verzichten wollen.
Das sagen deine Eltern Karaoke? Das ist doch japanisches, Onkel Erwin hat das immer gemacht.
Experten-Meinung
"Die Revolution des Singspiels", De:Bug. "Das ist Mist", Die Toten Hosen während sie versuchen, sich selbst nachzusingen.
Kosten
Für Playstation 2: SingStar 80’s und 2 Mikrofone: 50,95 Euro
Für Playstation 3: SingStar und 2 Mikrofone: 61,95 Euro (erscheint im September 2007)
Verschiedene Versionen, z.B. SingStar 90’s für 29, 89 Euro
Wii Sports
Worum geht’s?
Sport machen mit dem Controller: Baseball, Bowling, Boxen, Golf und Tennis sind im Angebot; Single- und Multiplayer
Wer spielt’s?
Konsolen-Styler und Menschen, denen Sport im Freien zu uncool ist
Das sagen deine Eltern
Ruf doch mal wieder Klaus-Peter an, früher habt ihr doch auch immer zusammen Tennis gespielt!
Experten-Meinung
"Die hohen Erwartungen hat die Konsole voll erfüllt", Computerbild
Kosten (und für welche Konsolen)
Wii Sports, das Spiel kostet 17.95 Euro, im Bundle mit der Konsole 249 Euro
Eye Toy
Worum geht’s?
Kamera, als Zusatzgerät für Playstation 2 erhältlich
Die Kamera zeichnet die Bewegungen des Spielers auf, die dann ins Spielgeschehen einbezogen werden. Bei Eye Toy: Kinetic handelt es sich z.B. um einen Hometrainer. Eye Toy Play 3 enthält verschiedene Spiele sowie unter anderem eine Software, mit der man Zimmer überwachen kann, die so genannte Spy Toy.
Wer spielt’s?
Menschen, denen die Wii zu albern, Sport im Freien aber auch zu uncool ist
Das sagen deine Eltern
Hä? Wofür brauchst du denn die Kamera?
Experten-Meinung
"Eines muss man dem Titel einfach lassen: Packt man bis zu acht Spieler in einen Raum und lässt diese mit den Armen wie wild um die Wette rudern, kommt einfach Stimmung auf", gamepro.de</a>
Kosten
Playstation 2 Eye Toy Play 3 mit Kamera für 50,95 Euro