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Eigentlich ist es im Le Petit Cambodge, einem kleinen kambodschanischen Restaurant an einer Straßenecke in Paris, immer zu voll. Man kann von hohen Barhockern aus in die offene Küche schauen, in der schnelle Hände verschiedene Zutaten in eine Schale schmeißen. Bobun, eine Art Reisnudelsuppe, ist hier die Spezialität. Im Le Petit Cambodge saß ich oft mit meinen Freunden, teilte mir mit meiner Mutter den Nachtisch und stritt mit meinem Freund. Ich war dort, um Dinge zu feiern oder zu vergessen. Es war ein Stück Zuhause. Wenn ich die Augen schließe, bin ich dort. Ich höre die melodischen französischen Stimmen, die sich überschlagen, sehe die Köche, wie sie sich in ihrer Pause Pizza liefern lassen, weil sie Reis nicht mehr sehen können. Ich sehe den Kellner, der meine Telefonnummer notiert und mich anruft, sobald ein Platz frei ist. Ich sehe das Leben, das dort tobt.

Die Bilder passen nicht zu denen, die seit Freitagnacht im Fernsehen laufen. Ich starre auf den Bildschirm und sehe dort eine Karte, die ich zu gut kenne. Es ist Paris, die Stadt, in der ich ein Jahr lang studiert habe und die sich seitdem wie meine Heimat anfühlt. Jetzt sehe ich die Orte, die ich kenne und liebe, in den Nachrichten. Sehe Bilder von toten Körpern, erschossen, mit weißen Tüchern zugedeckt. Ich lese Straßennamen, die ich an freien Nachmittagen ziellos auf- und abspaziert bin, auf denen ich zur Metro gerannt und im Winter ausgerutscht bin. 

Im 11. Arrondissement trifft das junge auf das alte Paris. Es gibt einen Biobäcker, ein paar neue, hippe Coffeeshops, einen Kunstbuchladen und Boutiquen neben Blumenläden und Tabakgeschäften. Man kann am Kanal Salsa tanzen und Menschen in Notizbücher zeichnen sehen. In dem Viertel leben meine Freunde, dort befindet sich meine alte WG. Meine Mitbewohner, die zu meiner Familie wurden, die mir französische Schimpfwörter beibrachten und ich ihnen deutsche. 

Im Sommer sitzen die Menschen dort dicht gedrängt am Kanal, trinken Bier aus Plastikbechern, picknicken mit Käse und Baguette und lassen ihre Beine über dem  Wasser baumeln. Ein bisschen ist es, wie Urlaub in der Stadt. In den kalten Monaten, auch im November, sitzen sie in Decken gewickelt und unter Heizstrahlern an Tischen auf den Bürgersteigen und bieten der Herbstluft die Stirn. Meine ehemalige Mitbewohnerin schreibt mir am Wochende: „Das hier war unser Kokon.“ Jetzt haben ihn die Terroristen aufgeschlitzt. „Geht es allen gut?“, schreibt mir eine Freundin Samstagmorgen. Ich kapiere erst nicht, dass diese Frage meine Routine durchbricht: Nachrichten verfolgen, schockiert sein, diskutieren, schlafen gehen und vergessen. Dieses Mal betrifft es mich, meine Freunde. Auf Facebook tauchen immer mehr Nachrichten in meiner Timeline auf: „Keine Sorge, mir geht es gut.“ Eine Freundin, die nur ein paar Minuten vom Kanal entfernt arbeitet, postet am Freitag: „Alles ok, wir haben uns im Büro verbarrikadiert.“

Ich gehöre zu einer Generation, die mit alltäglichem Terror aufgewachsen ist. Und ich erlebe, wie der Terror langsam immer näher kommt. Es ist das erste Mal, dass eine Terror-Nachricht so nah an meinem Leben einschlägt. Ich war auch nach den Anschlägen auf Charlie Hebdo wütend, traurig, fassungslos. Aber ich hatte keine Angst um meine Freunde. Sie fragen mich: „Wo sind wir denn jetzt noch sicher?“ Ich weiß es nicht.

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