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"Wir hatten anfangs schon wenig Hoffnung. Jetzt haben wir gar keine mehr."
Im März 2013 haben wir aus Budapest über die Situation ungarischer Studenten berichtet. Hintergrund war eine Verfassungsänderung, die junge Ungarn zwingt, nach dem Studium in ihrer Heimat zu arbeiten. Das Studium selbst ist dafür zwar kostenlos, aufgrund der anhaltend schlechten wirtschaftlichen Lage werden so allerdings zahlreiche arbeitslose Akademiker produziert. Wer kann, kauft sich deshalb aus der Regelung frei. Je nach Studium kostet das 300 bis 5000 Euro - pro Semester. Summen, die weit über dem monatlichen Durchschnittslohn der Ungarn liegen.
Im März war der Protest gegen diese Ungerechtigkeiten am Siedepunkt, ein Hörsaal der Uni wurde besetzt, Tausende gingen auf die Straße und demonstrierten. Die Regierung um Viktor Orbán hat daraufhin den Bleibezwang etwas gelockert, anstatt der doppelten muss nun "nur" noch die einfache Studienzeit in Ungarn abgearbeitet werden.
In Berlin haben sich nun diese Woche junge Ungarn im Rahmen des EU-Projektes "p.art" mit deutschen Studierenden getroffen, um gemeinsam auf die schwierige Lage in Ungarn aufmerksam zu machen. Denn: Dass man aus Ungarn kaum noch etwas hört heißt nicht, dass die Lage besser geworden ist. Im Gegenteil.
Kata, 23, beginnt dieses Semester ihren Kunstgeschichte-Master in Budapest
"Ich gehöre zu der Studenten-Protestgruppe Hallgatói Hálózat (HaHa), bei der Hörsaal-Besetzung und den Demonstrationen im März war ich von Anfang an dabei. In der ersten Woche war das noch toll, wir gingen mit 3.000 Leuten auf die Straße und hatten das Gefühl, etwas bewegen zu können. Die Uni hat das akzeptiert, schließlich hatten sie wegen der massiven finanziellen Kürzungen selber Grund, sich zu sorgen. Aber mit der Zeit wurde immer deutlicher, dass uns niemand von außen helfen wird. Viele an der Uni haben uns gehasst, weil wir den Betrieb blockiert haben. Die Gruppe selber hat sich an Metadiskussionen wie: "Sollen wir noch eine weitere Toilette okkupieren?" aufgehangen, andere Teile wollten wiederum viel zu radikal werden. Als nach 45 Tagen der Hörsaal geräumt wurde, waren kaum noch Leute da.
Nun musste ich vor ein paar Wochen im gleichen Hörsaal, in dem wir damals noch für unsere Rechte gekämpft haben, meinen Studentenvertrag unterschreiben. Darin steht, dass ich mich verpflichte, für zwei Jahre, also die Dauer meines Masterstudiums, nach dem Abschluss in Ungarn zu arbeiten. Ich habe den Vertrag zumindest noch genau gelesen, andere haben einfach nur frustriert unterzeichnet. Was genau passiert, wenn man nach dem Studium trotzdem ins Ausland abhaut, weiß keiner so genau. Ich hoffe einfach, es wird nicht zu schlimm. Aus meiner Abschlussklasse vom Gymnasium ist mittlerweile die Hälfte der Leute ins Ausland gegangen, die andere Hälfte hat es noch vor. Ich hoffe noch, dass die Parlamentswahl nächstes Jahr etwas ändert. So richtig glaube ich daran allerdings nicht."
Armin, 23, beginnt in zwei Wochen sein Rabbinat in Berlin
"Als wir uns im März unterhielten, habe ich schon gesagt, dass ich Ungarn verlassen werde. Nun ist es so weit - in zwei Wochen bin ich Neu-Neuköllner. Fünf Jahre dauert mein Rabbinat-Studium in Berlin, in Ungarn hätte ich diese Zeit danach abarbeiten müssen. Nun werde ich meine Heimat nur noch als Tourist besuchen. Irgendwie passt das aber auch, denn in Berlin fühle ich mich mehr zu Hause. Mit meinen Vorstellungen von Gleichberechtigung und Antifaschismus bin ich hier keine Minderheit. In Ungarn schon. Dort zerfällt die Opposition zu Orbán gerade in lauter kleine Splittergruppen, Massendemonstrationen werden so unmöglich. Die Rechten werden dafür immer stärker, der Antisemitismus nimmt zu und wird auch immer offener ausgesprochen. Ich selber wurde bisher nur verbal angegriffen, da kann ich mich noch glücklich schätzen. Denn seit die Jobbik (Anm. d. R.: Rechtsextreme ungarische Partei) im Parlament ihre antisemitischen Sprüche öffentlich machen, denken auch immer mehr Menschen in der Bevölkerung, das sei okay. Gleichzeitig gibt es ein neues Gesetz, das sehr genau definiert, welche Religionen in Ungarn zukünftig noch als "wahre" Glaubensgemeinschaften anerkannt werden. Die Ausrichtung meiner jüdischen Gemeinde gehört nicht dazu, dabei sind wir die größte in Ungarn. Ein Drittel unseres Jahreseinkommens fällt damit weg, das macht es schwer zu arbeiten.
Natürlich haben mir manche vorgeworfen, Ungarn im Stich zu lassen, wenn ich jetzt gehe. Die meisten haben es allerdings verstanden, meine Mutter hat sogar seit Jahren dafür gebetet, dass ich weg kann. Ich denke, in Deutschland kann ich der ungarischen Opposition genauso hilfreich sein. Hier kann ich öffentlich auf die Missstände aufmerksam machen, Texte schreiben und Reden halten. Ich werde dann nur nicht mehr vor Ort präsent sein, sondern als 'Digital-Armin'."
Márton, 25, studiert Wirtschaftswissenschaften, möchte aber eigentlich als Journalist arbeiten
"Investigativer Journalist - das ist in Ungarn kein Beruf, sondern ein Hobby. Mittlerweile sind alle großen Zeitungen und Sender von Fidesz-Leuten (Anm. d. R.: Die Partei von Regierungspräsident Orbán) durchsetzt, alles wird zensiert. Wer gegen den Strom schwimmt und kritisch berichtet, wird bedroht oder gefeuert. Das ist auch einer der Gründe, aus denen die Proteste gegen das Regime austrocknen - es gibt kaum Berichterstattung darüber, die meisten Leute sind unpolitisch, weil sie nichts mitbekommen. Am Anfang konnten wir zumindest noch auf die von der Regierung angedrohten Verfassungsänderungen reagieren und protestieren. Mittlerweile ist das allerdings alles festgeschrieben. Um es erneut zu ändern, braucht man eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Die hat allerdings momentan die Fidesz-Partei um Viktor Orbán, und ich befürchte, das wird sich mit der nächsten Wahl 2014 auch nicht ändern. Die Fidesz hat gerade erst die Wahlkreise zu ihrem Vorteil geändert, die Hälfte der Ungarn geht eh nicht wählen. Deshalb kann ich zu Ungarn nur noch sagen: Wir hatten anfangs schon wenig Hoffnung. Jetzt haben wir gar keine mehr."
Zsuzsanna, 26, Studentin und Organisatorin des Pride-Festivals in Budapest
"Ungarn war schon immer sehr konservativ, mittlerweile ist es allerdings homophob. Die Fidesz-Regierung hat dafür gesorgt, dass nur noch ein sehr homogenes Familienbild aus Vater-Mutter-Kind akzeptiert wird und das auch in der Verfassung festgeschrieben. Schwule, Lesben, unverheiratete Paare, Alleinerziehende - sie alle stehen nicht unter dem gleichen Schutz, wie 'richtige Familien'. Der schwule Intendant des Budapester Nationaltheaters wurde grundlos gefeuert, seitdem werden auch dort nur noch Stücke über "typische" Liebesbeziehungen gespielt. Wenn wir einmal im Jahr das Pride-Festival haben, kommen da zwar immer noch Zehntausende hin - aber halt auch immer mehr Gegendemonstranten, die uns beschimpfen und bedrohen. So etwas führt natürlich dazu, dass immer weniger junge Leute sich trauen, sich zu outen. Ich habe dieses Jahr in Budapest erst ein gleichgeschlechtliches Paar gesehen, das sich öffentlich getraut hat, Händchen zu halten. In Berlin sehe ich das hingegen ständig. Deshalb werde ich auch nicht in Ungarn bleiben können. Ich will meine Heimat nicht komplett aufgeben und denke auch trotz der Diskrimierungen im Kulturbereich einen Job finden zu können. Aber will ich wirklich in so einem Land leben?
Auch Sexismus ist ein Riesenproblem bei uns. Neulich gab es allerdings einen Vorfall, der es sogar in die Medien geschafft hat: Ein Politiker hat seine Frau krankenhausreif geschlagen. Als das öffentlich wurde, hat er gesagt, sie sei nur über ihren Hund gestolpert. Dafür gibt es mittlerweile ein Meme mit einem Hund, das wir auch hier aufgehängt haben und das sich ziemlich schnell verbreitet. So weiß jeder, was wirklich Sache in Ungarn ist."
Kata, 21, studiert Philosophie in Budapest
"Als Philosophie-Studentin ist es sowieso schon schwer, einen Job zu finden. In Ungarn ist das allerdings nahezu unmöglich. Trotzdem musste ich vor ein paar Wochen unterschreiben, dass ich mich verpflichte, nach dem Master in Ungarn in diesem Bereich zu arbeiten. Das ist doch absurd. Die einzigen Stellen, die es da gäbe, sind an der Uni. Und dort ist momentan Einstellungsstopp, weil die Regierung die Gelder so massiv gekürzt hat. Das vergangene Semester war sogar zwei Wochen kürzer, weil kein Geld für die Heizung mehr da war und es in den Hörsälen vor Kälte nicht auszuhalten war. Trotzdem zwingt uns die Regierung zu bleiben. Wer kann, versucht sich natürlich aus dieser Regelung freizukaufen, aber dafür habe ich kein Geld. Trotzdem sind die Proteste über den Sommer sehr still geworden. Jeden Tag kamen von der Regierung neue Informationen, wie das mit dem Bleibezwang zukünftig gehandhabt wird. So richtig blickt da keiner mehr durch. Nun gibt es allerdings neue Entwicklungen, von denen ich denke, dass sie auch wieder zu mehr Protest führen: Die Regierung will zukünftig auch auf Schüler Einfluss ausüben. Es gibt keine Lehrmittelfreiheit mehr, die Bücher sind vorgeschrieben. In diesen Büchern steht zum Beispiel, dass nur das Christentum der richtige Weg ist. Dass Familien aus Mann und Frau bestehen, die verheiratet sein müssen. Abtreibungen werden kriminalisiert, dafür soll es eine Ehre sein, fürs Vaterland zu sterben. So ein Zeugs. Das ist alles totaler Quatsch, aber wenn sie so etwas zukünftig schon Grundschülern eintrichtern, mache ich mir wirklich Sorgen um unser Land."