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„Wir glauben unwidersprochen an den Fortschritt“

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Der Medienwechsel der Riesenmaschine vom Internet ins Buch scheint sehr gut gelungen. Links und Zusatzkommentare finden sich auf Papier in schönen kleinen Kästchen wieder. Seid ihr zufrieden mit der Umsetzung? FRIEBE: Wir hätten nicht gedacht, dass es so gut funktioniert. Wir waren sehr zufrieden und selbst überrascht, wie wenig man eigentlich braucht und wie nahe diese Internetform schon an einer druckbaren Buchfassung dran ist. Wahrscheinlich hat es damit zu tun, dass die Riesenmaschine zwar im Internet entstanden ist, sich aber gleichzeitig aus einer viel älteren Tradition bedient hat. Vorlage war für uns immer das Jahrbuch „Das neue Universum“. Von dort stammt die ganze Ästhetik, deswegen hat das Weblog optisch schon etwas Papierraschelndes. Und auch die Form, in der geschrieben wird, ist eher die traditionelle kleine Form des Feuilletons, die dann natürlich von selbst gut funktioniert, wenn man sie wieder auf Papier zurückübersetzt. Das Internet hat sie eigentlich immer nur zum Überwintern genutzt. „Keine Sozialgeräusche – keine Befindlichkeiten – kein Erlebnisschrott“ lautet ein Motto der Riesenmaschine. Das ist löblich, aber wären solche Beiträge nicht hin und wieder eine schöne Abwechslung? BRAKE: Wir haben darüber gerade noch diskutiert hier. Wir sind aber dazu gekommen, dass unter anderem gerade das die Riesenmaschine auszeichnet: dass wir darauf verzichten, alles in eine „Was ist mir heute widerfahren ist“-Geschichte einzubetten. In der Riesenmaschine werden, grob gesagt, Besonderheiten der Welt präsentiert und mit einer Meinung versehen. Aber sind die Meinungen nicht austauschbar? Könnte nicht jeder Beitrag aus der Rubrik „Alles wird besser“ auch bei „Alles wird schlechter“ stehen? BRAKE: Wir machen aus kleinen Phänomenen große Wahrheiten. Und das sind in dem Moment dann immer exakt die richtigen Wahrheiten, die können auch gar nicht anders sein. Wobei wir im Zweifelsfall, wenn wir zwischen Gut- und Schlechtfinden von neuen Produkten entscheiden müssen, immer das Gutfinden genommen wird. Weil wir ja unwidersprochen an den Fortschritt glauben. FRIEBE: Es ist natürlich alles manchmal ironisch oder "tongue-in-cheek" gesprochen, aber dahinter gibt es doch eine solide Meinung, was die Welt besser macht und was man eben nicht braucht. Es ist nicht arbiträr und nur auf die Pointe hingeschrieben. Es gibt in der Autorenschaft schon gemeinsame Meinungen darüber, was die großen Baustellen der Zivilisation sind. Soll die Riesenmaschine lustig sein? FRIEBE: Es ist schon unser Ehrgeiz, gut zu unterhalten – aber ausgehend von der Annahme, dass Humor immer überraschende Momente der Erkenntnis produziert und dass sich darin eine Qualität der Verkürzung zeigt: Dinge unkonventionell auf den Punk zu bringen. Von daher ist die Pointe oder der Witz auch nicht Selbstzweck, sondern die möglichst entlegene Position zu dem, was man schon immer gewusst hat. Wir haben also ein sehr instrumentelles Verhältnis zum Humor, aber er ist schon ein wichtiger Prüfstein, ob etwas blitzartige Erkenntnis produziert. Wie seht ihr die Lage des Humors in deutschen Weblogs? FRIEBE: Ich denke, dass es unfair wäre, darüber zu urteilen, weil viele andere auch nicht den Ehrgeiz haben, zu unterhalten. Da dient das Weblog einer ganz anderen Form von Nahbereichskommunikation, Gruppenverständigung oder Konsensbildung. Von daher kann man auch nicht sagen, es mangele an Humor, weil das gar nicht deren Ziel ist. Ist die Riesenmaschine das erste deutsche Weblog, das als Buch erscheint? FRIEBE: Es gab schon ein paar Internetformate, die als Buch erschienen sind. Bei manchen hat man aber auch gesehen, dass es nicht so richtig funktioniert, das Buch hat man dann eigentlich nicht mehr angefasst. Uns kurz zuvor gekommen um eine Woche ist auch Jens Friebes „52 Wochenenden“. Warum sollten die Riesenmaschine-Leser das Buch zum Weblog kaufen? Wo liegt der Vorteil der Buchform? FRIEBE: Da muss man hervorheben, dass unser Grafiker Martin Baaske versucht hat jedem einzelnen Artikel gerecht zu werden, mit einem heute – zumal für Taschenbücher - ungewöhnlichen Aufwand. Um daraus ein Gesamtkunstwerk zu machen, mit einer Ästhetik aus den 50er, 60er, als die Ingenieure noch die Welt retteten und man noch vollen Herzens an den Fortschritt glaubte. Dadurch wird das Buch zu einem visuell und haptisch gelungenem Objekt, das ganz eigene Qualitäten hat, die das Web niemals zu Verfügung stellen kann. Können Buchveröffentlichung ein Ersatz sein für die umstrittene Werbung in Weblogs? FRIEBE: Wir sind sehr froh, dass wir sehr lange gar kein Geschäftsmodell hatten, und dass wir jetzt, wo wir unseren Autoren auch etwas bezahlen, nicht mehr rein abhängig von der Werbung sind, sondern auch andere Kanäle haben. Denn das ist es ja, wonach eigentlich alle suchen. Viele Modelle sind rein werbefinanziert - das Geld einzusammeln bei den Leuten, die bereit sind für den Inhalt zu zahlen, ist dann ein kleiner Befreiungsschlag. Wobei wir auf Werbung nicht ganz verzichten werden und eine Mischstrategie fahren. Was können wir als nächstes von der Riesenmaschine erwarten? FRIEBE: Wir robben uns langsam vom Web über das Papier zu den akustischen Medien, vielleicht dann zum bewegten Bild, das ist der Fahrplan. Und damit werden wir dann irgendwann wieder im Netz landen mit Riesenmaschine TV. BRAKE: 2011 kommt der Riesenmaschine-Film. Aber man wird ihn nicht im Kino gucken müssen, sondern kann sich ihn direkt ins Gehirn spielen lassen. Holm Friebe, Sascha Lobo, Kathrin Passig, Aleks Scholz (Hrsg.): "Riesenmaschine. Das Beste aus dem brandneuen Universum". Heyne Taschenbuch, 176 Seiten, 8,95 Euro Nächste Seite: Bruder Jens hat auch ein Buch geschrieben! Das hat elf Seiten mehr, kostet genau so viel und ist: lustig!


Produkt: Kolumnensammlung Titel:52 Wochenenden. Texte zum Durchmachen. Wiewohl in Lüdenscheid gebürtig, erscheint Jens Friebe heute als fleischgewordenes Abziehbild der Stadt Berlin. In seinem Stil und Werk geht viel von der Stadt durcheinander: Glam und Abgerissenheit, Queeres und Witz, Elektro und Indie, schluffige Intelligenz und geniehafter Suff. Und letztlich kriegt er das alles, ebenfalls wie die Stadt, zu einem großen sexy Ding verpackt. Allem voran ist er ja Musiker, die neue Platte kommt im Herbst und schon der Vorgeschmack darauf, der Track „Frau Baron“ auf einem Tapete-Sampler, ist so gut komponiert und getextet, dass Friebe als einziger deutscher Songwriter den Hattrick schaffen könnte: Drei super Platten hintereinander. Sein seltsam handgemachter Synthpop und die absolut nicht-hamburgische Art zu texten, verdienen vom Start weg ein Attribut, dass in dieser Sparte hierzulande selten einer abkriegt: modern. Neben der Bühne ist Friebe auch ein veritabler Partykräcker und Gehsteigdandy und verfasste dank dieser Begabungen für taz und Web eine wochenendliche Ausgehkolumne, die nun bei KiWi zum Buch gebunden wurde. Nach Lektüre dieser Betrachtungen ergibt sich zweierlei. Erstens: Friebe schafft es mit ganz kleinen Notizen, der überlebendigen und ungreifbaren Berliner Style- und Dings-Szene nahezukommen, viel besser, als die meisten Feuilletons, Berliner Seiten und Stadtbücher jedenfalls, weil er nicht auf jedem Meter versucht, Berlin und Berliner zu reflektieren und die Geschehnisse zwischen Mitte und Morgen zu ordnen oder zu rezensieren. Stattdessen geht er rum, guckt und trinkt, findet Leute doof und ist vor allem: ziemlich normal. Es ist unendlich beruhigend, dass es da eben nicht Elke-Naters-haft die ganze Zeit abgeht wie angestochen, dass da nicht einer (dem man das durchaus zugetraut hätte), von einem Kokoshaufen in den nächsten torkelt, unterwegs hammerinteressante Leute trifft & vögelt und Superzeit für ihn das Synonym zu Alltag ist. Meint: Friebe ist authentisch, aber nicht langweilig. Zweitens: Jens Friebe ist lustig. Schon die Liedtexte weisen Stellen von applauswürdiger Eleganz und Groteske auf und seine Kolumnen untermauern das komische Sprachtalent. Dies, gepaart mit Friebes Gabe, in seltsame Situationen zu geraten bzw. diese als solche zu erkennen, macht die 52 Wochenendgeschichten zu einem akut fröhlichen Buch, bei dem man ständig mit dem Reflex kämpft, Leute anzurufen um ihnen die besten Stellen vorzulesen. Vor allem, wenn diese Leute in Berlin wohnen. Für wen: Für jeden der Max Goldt mag, aber nicht so schnell altert wie der. max-scharnigg Jens Friebe: "52 Wochenenden. Texte zum Durchmachen". Kiepenheuer & Witsch, Taschenbuch, 187 Seiten, 8,95 Euro

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