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Wie sehen wir unsere Großeltern? Foto-Studenten antworten in Bildern

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Yvonne Standke, Studentin in der Fotografieklasse von Tina Bara an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig: Wir haben immer wieder Konsultationen bei unseren Professoren, zu denen wir unsere Materialien, unsere Bilder mitbringen. Manchmal liegt das Alles in einer Schachtel. Bei Vielen war es so, dass am Boden der Schachtel Bilder von den Großeltern lagen. Bilder etwa, die jeder eher für sich gemacht hat. Irgendwie gab es für Viele von uns ein Bedürfnis, damit zu arbeiten - mit den Großeltern. Irgendwann stößt man ja auf Bildmaterial, es kommt ein Spruch, ein Fragment - und man will mehr wissen. Was ist mit dir im 2. Weltkrieg passiert? Wie bist du damit umgegangen? Wie ist es mit der Liebe gewesen? Von all diesen Dingen aber haben die Großeltern immer nur bruchstückhaft erzählt.

Ein Fragment aus Yvonnes Arbeit. Ich habe dann angefangen zu filmen, wenn ich bei meinen Großeltern war, um die Geschichten für mich in einen Zusammenhang zu bringen. Das war schwierig, obwohl meine Großmutter ein großes Redebedürfnis hatte. Sie ging immer wieder auf die eigene Kindheit zurück, sie hat die gleichen Geschichten immer wieder aufleben lassen und in Variationen erzählt. Besonders diese Geschichte: Sie geht als Kind in die Schule und über ein großes Feld und kommt, so erzählt sie es, "in einen Wind", der sie so aufs Feld treibt, dass es ihr unmöglich wird, in die Schule zu gehen. Also geht sie nach Hause und sagt dort: "Ich konnte nicht in die Schule, weil mich der Wind aufs Feld getrieben hat!"

Das Plakat zur Ausstellung. Diese Geschichte hat sie oft erzählt und sie hat sich im Laufe der Zeit verändert. Ein paar Details sind dazu gekommen, ein paar Details hat sie weg gelassen oder es sind plötzlich Versatzstücke aufgetaucht, die da nicht hingehörten. Dabei fiel mir auf, dass Erinnerung von so vielen Faktoren abhängig ist. Wie erzählt wird, wie erinnert wird, wie überliefert wird. Und dann war da für mich noch die Frage: Wie eigne ich mir diese Geschichten an? So kam es, dass ich meine Großmutter gefilmt habe. Für die Ausstellung habe ich versucht, Bildmaterial, das ich bei ihr gefunden habe, mit ihren Geschichten zu kombinieren. Ich habe versucht, mit dem Material auf ihre Geschichten zu reagieren. Und das war interessant, weil diese Geschichten - sie sind in München zu sehen - weil die einen eigenen Bildraum aufgemacht haben, der konträr war zu all dem vorhandenen Material. Ich habe versucht, mir eine Geschichte anzueignen, die ich nicht selbst erlebt habe, ich habe versucht, die Fragmente eines Lebens zu deuten. Diesen Sommer ist meine Großmutter gestorben. +++ Auf den folgenden Seiten siehst du Auszüge aus vier weiteren Arbeiten der HGB-Studenten. Zunächst eine Arbeit von Arne Reimer.


Arne Reimer: Edward. 2007, aus der gleichnamigen Fotoserie

Auszug aus dem Ausstellungskatalog: Arne Reimer bewegt sich in dem Lebensumfeld eines „fremden“ alten Mannes, richtet sein fotografisches Interesse auf etwas Außenstehendes, das filmisch vertraut erscheint oder an einen Roman erinnert [...] Drei amerikanische Autos auf einem Grundstück, die fast ein ganzes Jahrhundert umspannen, lassen auf ein spannendes, ereignisreiches Leben schließen, durch das der Besitzer mit diesen Autos gefahren ist. Auf der nächsten Seite: Auszug aus einem Video von Josephine Freiberg.


Josephine Freiberg: "Still" aus dem Video "Ausreise". 2007.

Auszug aus dem Katalog: Josephine Freibergs Arbeit kann auch als (radikal subjektive) Trauerarbeit (mit scheinbar fröhlichem Super-8-Material) gelesen werden. Ihre geliebte Großmutter ist während des Projektzeitraumes gestorben. Josephine Freiberg untersucht das Super-8-Filmmaterial ihrer Großeltern. [...]


Marcel Noack: Fotografie aus der Serie Doras & Willis. 2007.

Auszug aus dem Katalog: Marcel Noack fotografiert zwei Gegenstände, die er tagtäglich benutzt: den Bademantel seines Großvaters mütterlicherseits und eine Tasse seiner Großmutter väterlicherseits. Beide Alltagsgegenstände sind nach dem Tod ihrer ursprünglichen Besitzer in den Hausstand des Enkels übergegangen und fügen sich dort ganz selbstverständlich in sein jugendlich-studentisches Umfeld ein. Er gibt dem Begriff "Erbe" hier eine besondere Bedeutung, die durch das Fotografieren bekräftigt wird: die materiell wertlosen Dinge sind für ihn ideell extrem aufgeladen, das Andenken an die beiden geliebten Großeltern wird auf diese Weise lebendig gehalten. Auf der nächsten Seite: Sven Bergelt und ein Bild aus der Arbeit "Tischlein deck dich".


Sven Bergelt: Tischlein deck dich. 2007.

Auszug aus dem Katalog: In einer zweiten Arbeit präsentiert Sven Bergelt Fotografien von einem Gabentisch und Geschenkeprotokolle. Bilder von einem umfunktionierten Klaviermöbel, auf dem temporär über Jahre die immer ähnlichen Geburtstagsgeschenke der Großeltern drapiert und anschließend fotografisch und schriftlich von der Großmutter dokumentiert wurden, zeigen wie ein fotografisches und ein festliches Ritual zu einer soziologischen und kulturellen Handlung verschmelzen.

Text: peter-wagner - Fotos: Ausstellung

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