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Wie Hannah Herzsprung mit einer Lüge die Hauptrolle in "Vier Minuten" bekam

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Angefangen hat alles mit einem Schwindel. Mit einem „Ja“, das eigentlich kein „Ja“ hätte sein dürfen. Ein „Ja“ auf die Frage der Casting-Agenten, ob sie denn gut Klavierspielen könne. „Ich dachte mir: Daran darf es einfach nicht scheitern“, sagt Hannah Herzsprung. Ein gewagter Entschluss, denn die Rolle, die besetzt werden sollte, ist nichts weniger als ein musikalisches Wunderkind. Hannah Herzsprung dagegen hatte als Kind gerade mal drei Klavierstunden.

Hannah Herzsprung in "Vier Minuten". (Foto: ddp) Die 25-Jährige erzählt diese Geschichte in einer Mischung aus Stolz und Schuldbewusstsein. Stolz, weil ihr diese Notlüge zur bisher besten Rolle ihrer Karriere verholfen hat – schuldbewusst, weil sie immer noch das Gesicht des Regisseurs vor sich hat, als der Schwindel aufflog. Da sollte sie - die Rolle bereits in der Tasche – zeigen, was sie auf dem Klavier so draufhatte. „Es war furchtbar“, erinnert sich Herzsprung. „Ich war so aufgeregt, dass ich statt „Für Elise“ den „Flohwalzer“ gespielt habe. Ich glaube, das war das Peinlichste, was ich je gemacht habe.“ Sie habe dann nur noch registriert, wie dem Regisseur Chris Kraus die Züge entglitten. „Er hat gesagt: ‚Das ist ja furchtbar. Du kannst es gar nicht. Was machen wir jetzt?’“ Was Herzsprung machte, war: Sie übte fünf Monate lang eisern Klavierspielen, nahm zweimal pro Woche Unterricht– und wenn man sie im Film an den Tasten sieht, zweifelt man keinen Moment daran, dass sie dem Klavier tatsächlich die Töne entlockt, die nachträglich eingespielt wurden. Die Zigarette einer Toten Überzeugend ist Herzsprung auch, was die andere Seite ihrer Rolle betrifft. Denn Jenny ist nicht gerade der Typ der vergeistigten Pianistin, sondern eine bullige, breitschultrige Gefängnisinsassin, die wegen Mordes sitzt und deren wahre Begabung erst von der Gefängnis-Klavierlehrerin (Monica Bleibtreu) entdeckt wird. Wie abgebrüht und gefühlskalt diese Figur ist, zeigt sich schon in der ersten Szene: Da wacht sie neben ihrer Zellennachbarin auf, die sich gerade erhängt hat. Statt zu schreien oder Alarm zu schlagen, zieht sie der Toten eine Schachtel Zigaretten aus der Tasche und steckt sich erstmal eine an. Wenn man Hannah Herzsprung gegenüber sitzt, möchte man nicht glauben, dass sie ein Mädchen spielen kann, das ihre Zellengenossin krankenhausreif prügelt und einem Polizisten das Gesicht zu Brei schlägt. Schmal und zart sitzt sie da, schmiegt sich in einen kunstvoll drapierten schwarzen Wollpulli und freut sich, dass man ihr diese Brutalität abnimmt. Im wahren Leben könne sie „mit Aggressionen überhaupt nicht umgehen“, sagt sie und lacht. „Sobald mich jemand anschreit, mach ich total zu.“ Für die Rolle nahm sie mehrere Monate lang Kickbox-Training und stand auch während der Dreharbeiten ständig unter Strom: „Ich glaube, wenn du mich während der Drehzeiten angefasst hättest, hättest du einen Schlag bekommen.“ Dann kommen ihr die Tränen Dass sich Herzsprung in nur einem Jahr zu einer der beeindruckendsten deutschen Nachwuchsschauspielerinnen entwickelt hat, liegt vielleicht auch daran, dass sie in den Jahren zuvor etwas getan hat, was nicht viele können – sie hat sich Zeit gelassen. Als Teenager spielte sie mehrere Jahre lang in einer ARD-Vorabendserie. Doch dann, so erzählt sie, haute sie erstmal nach England ab und machte dort ihr Abitur. In Deutschland, so fürchtete sie, hätte sie vielleicht doch die eine oder andere Rolle angenommen und dann die Schule nicht mehr abgeschlossen. Und „Dinge, die ich angefangen habe, muss ich auch zu Ende bringen.“ In Wien schrieb sie sich für Publizistik ein, arbeitete zwischendurch in München als Redaktions- und Produktionsassistentin und konnte sich auch einen Beruf hinter der Kamera vorstellen: „Ich wollte mich einfach ein bisschen absichern“, sagt sie. „Ich wusste zwar, dass Schauspielerei meine große Leidenschaft ist, aber ich war mir nicht sicher, ob ich es schaffe.“ So vernünftig und umsichtig Hannah Herzsprung ihr eigenes Leben organisiert – die Charaktere, die sie sich für ihre Rollen aussucht, sind ganz anders: In dem Fernseh-Zweiteiler „Emilia“ spielt sie an der Seite von Senta Berger ein selbstmordgefährdetes Heimkind mit Borderline-Syndrom, im Kinofilm „Das wahre Leben“ ein junges Mädchen, das sich mit Alkohol und Tabletten fast zugrunde richtet. „Je weiter die Rollen von mir weg sind, desto mehr Spaß macht es mir, mich mit ihnen zu beschäftigen“, sagt sie. „Wenn ich mich mit diesen Charakteren so intensiv auseinandersetze, dann ist es fast so, als ob ich das selbst erlebe. Manchmal, wenn ich in der Zeitung eine brutale Geschichte lese, kommen mir wirklich die Tränen. So geht es mir auch, wenn ich diese Menschen studiere.“ Ihren Film-Charakteren nähert sie sich „wie einer guten Freundin“: Sie will alles von ihnen wissen, will sich total in sie einfühlen. „Ich bin kein Techniker“, sagt Herzsprung. „Ich kann nicht auf Knopfdruck weinen. Ich muss es fühlen.“ Wenn man zurückschaut auf den Anfang von Herzsprungs Karriere, fällt auf, dass sie auch damals nicht ganz ehrlich war: Mit 15 Jahren bewarb sie sich ohne das Wissen ihrer Eltern bei der ARD-Vorabendserie „Aus heiterem Himmel“. Bernd Herzsprung, selbst ein bekannter Fernseh-Schauspieler, war nicht gerade begeistert, als ihm seine Tochter auf einmal den Vertrag unter die Nase hielt. Doch er ließ sie gewähren. Vielleicht wusste er damals schon, dass dieses Mädchen, wenn es etwas angefangen hat, es auch zu Ende bringen wird.

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