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Wer gehen will, muss richtig abhauen
Im Internet gibt es jetzt eine Plattform namens ausgeloggt.net. Das ist für Leute, die online über 1.000 Freunde haben und das diffuse Gefühl bekommen, dass die Kumpelei in ihren Leben aus dem Ruder gelaufen ist. Menschen, die eine Liste mit 25 verschiedenen Login-Namen und Passwörtern besitzen und die dabei sind, den Überblick zu verlieren. Menschen aus Fleisch und Blut, die sich in einem virtuellen Netz aus Kurznachrichten, Gästebucheinträgen und hoch geladenen Urlaubsfotos verirrt haben. Die gehen dann zu ausgeloggt.net und hinterlassen ihren (guten) Freunden lediglich eine Mailadresse und eine Telefonnummer als Kontaktmöglichkeit. Versehen mit einer Nachricht, dass sie jetzt mal weg sind. Sie hauen also ab, bleiben aber trotzdem noch irgendwie erreichbar. Weggehen funktioniert heute ganz anders als früher. Früher war das ein singulärer Akt ohne Hintergedanken. Der Weggeher verschwand, weil er nicht mehr (da) sein wollte. Und dann war er eben mal weg. Das hatte fast schon etwas Transzendentes an sich. Der Weggeher wuchs über sich hinaus, indem er seine eigene Existenz ins Nichts diffundierte. Heute ist Weggehen eine komplizierte Angelegenheit. Heute verlässt man nicht den sozialen Kontext. Im Gegenteil: Ohne den sozialen Kontext macht der Akt des Verlassens gar keinen Sinn mehr. Das Weggehen muss angekündigt, bedauert, mehrmals durchdacht, verzögert und aufgeschoben werden. In der Philosophie nennt man das einen "performativen Widerspruch". Ein Meister des performativen Widerspruchs ist Hape Kerkeling mit seinem Bestseller "Ich bin dann mal weg". Hape wollte nicht einfach weg. Er hat schon beim Weggehen ans Zurückkommen gedacht. Er hat gedacht: Wenn ich jetzt allen sage, dass ich weg bin, behalten sie mich erst recht im Gedächtnis. Sie denken sich dann: Mann, der Hape! War das nicht der Typ, der einfach losgepilgert ist? Verrückter Hund, der hat es einfach gemacht. Ist einfach mal so den Jakobsweg entlang gelaufen und hat dann noch ein Buch geschrieben.
Der Auslogger spekuliert auf eine ähnliche Reaktion seiner 1.000 Freunde aus StudiVZ, Facebook, Lokalisten und Myspace. Mann, die Zaubermaus, war das nicht die verrückte Nudel, die einfach abgehauen ist? Die, die jetzt ein richtiges Leben lebt? Die mit echten Freunden zusammen ist und viel an der frischen Luft ist. Wahnsinnsfrau, und was für Gästebucheinträge die immer geschrieben hat!
Oder der Auslogger denkt sich: Wenn ich jetzt allen sage, dass ich abhaue, kommen sie bestimmt an und sagen: "Wie, du willst schon gehen? Jetzt geht’s doch erst richtig los." Oder: "Och Mensch, ohne Dich ist es nur halb so lustig." Oder: "Ach, warte doch noch ein bisschen, dann komm ich mit."
Aber so funktioniert das nicht. Wer meint, auf diese Tour abhauen zu können, um endlich mit dem richtigen Leben anzufangen, der findet sich stattdessen in einer ans Psychotische grenzenden Endlosschleife wieder. Weil nämlich immer irgendjemand sagt: Och komm.
Man stelle sich den Auslogger auf einer Party vor, die er längst verlassen wollte: Er sitzt zusammen mit einem Philosophiestudenten im vierzehnten Semester am Küchentisch. Der Student hat lange, zu einem Pferdeschwanz gebundene Haare und trägt einen schwarzen Ledermantel. Er trinkt sein dreizehntes Bier und der Philosophiestudent schwadroniert darüber, wie gerne er einmal den Jakobsweg entlang pilgern würde, wegen der spirituellen Erfahrung und so. Der Auslogger denkt sich: Mist, ich muss jetzt echt gehen. Aber jedes mal, wenn der Auslogger sagt: Ich glaub’, ich geh dann langsam mal, sagt der Philosophiestudent: Warte noch, ich muss diesen Gedanken noch schnell zu Ende ausführen.
Alle anderen leben längst an der frischen Luft.
Text: philipp-mattheis - Foto: dpa