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Wegen Fasching: Fünf neue alte Perspektiven auf unseren Umgang mit Alkohol
1. Alkohol und Pause Kurz vor Fasching kursierte ein merkwürdiger Nach-Neujahrs-Vorsatz durch meinen Freundeskreis, den man auf folgenden Nenner bringen kann: „Jetzt noch einmal richtig reinhauen, und dann ist erstmal Schluss!“. Mit „reinhauen“ ist natürlich exzessives Saufen gemeint und mit Schluss die völlige Abstinenz, die den Faschingstagen folgen soll. Doch auch die Abstinenz soll ihre Grenzen haben, darauf haben sich alle geeinigt – die Grenze ist demnach der Beginn der Osterferien, da geht es wieder richtig los, das „Reinhauen“. Warum machen junge Menschen solche Alkoholpausen? Vielleicht ist es tatsächlich schon soweit, dass wir uns selbst Entzug verordnen, aus Verantwortung unserem Körper gegenüber. Doch für Vernunftdenken dieser Art sind meine Freunde eigentlich nicht bekannt. Sie rauchen zu viel und essen zu schlecht und schlafen zu wenig, um glaubhaft einen neuen, total gesunden Lebenswandel anzustoßen. Und keiner von ihnen will von seinen Lastern ablassen – nur eben mit dem Alkohol soll für eine Weile Schluss sein. Bei manchen dürfte die Pause Erholung bedeuten – kein Kopfweh mehr am Samstag Morgen, kein Kotzen mehr am Freitagabend. Drogenbeauftragte werden jetzt mit blitzenden Augen ihre Texte aufsagen von wegen „Alkoholmissbrauch“ und dass wir es eben langsam selbst einsehen und aus Selbstschutz die Notbremse ziehen und so weiter. Doch nein, darum geht es nicht bei diesen Alkoholpausen. Wir sehen unseren Körper nicht als gefährdet und für den gelegentlichen Kater-Kopf gibt es Aspirin. Vielmehr geht es doch um den eigenen Charakter, es geht darum, sich selbst zu beweisen, dass man auch ohne Alkohol lustig sein kann. Und vor allem sollen auch die Freunde merken, dass man nicht nur betrunken so flüssig grüßend durch die Disco stolzieren kann. Und so greifen junge Menschen zu dieser besonders publikumswirksamen Maßnahme – zur radikalen Abstinenz, zeitlich begrenzt, weil sie ja wissen, dass sie eigentlich kein Problem haben. sascha-chaimowicz
2. Alkohol von außen Als ich angefangen habe, zu kellnern, war ich regelmäßig so gegen 23 Uhr ziemlich angefressen: Jeder, so schien es, hatte eine wirklich gute Zeit, durfte trinken, lustig sein, flirten, vom Stuhl fallen, wieder aufstehen und einen ganz besonders dummen Witz erzählen. Nur ich nicht. Ich musste ja arbeiten. Gegen Ende meiner Schicht – da war es dann so zwischen 3 und 4 Uhr morgens – hatte sich mein Ärger meist wieder verflüchtigt, weil ich da die unschönen Seiten des Alkoholkonsums zu Gesicht bekam: Die Menschen, die nicht wissen, wann Schluss ist. Die, denen es schlecht geht und dann versuchen, all das im Suff zu vergessen. Die, die nicht mehr gehen und reden können und trotzdem noch fröhlich weiter bestellen. Da wurde es dann ziemlich unangenehm. Im Laufe der Zeit lernt man dann seine Pappenheimer kennen. Der junge Kreative, der alle drei Monate komplett austickt und dann eine Woche lang durchsäuft. Der Maler, der sich jeden Abend fünf Weißbier reinstellt, die er meist nicht zahlen kann, aber lieber anschreiben lässt, als einmal ein bisschen kürzer zu treten. Aber neben all diesen schwierigen und auch traurigen Fällen lernt man mit der Zeit eben auch, dass die Kneipe nicht Alltag ist und genau dafür da ist – ein Korrektiv zum oft langweiligen und harten Leben vieler Menschen. Ich bin zu der Überzeugung gelangt, dass es erlaubt sein und Orte dafür geben muss, an denen Leute sich mal gehen lassen können. Und wenn einige dann so richtig besoffen sind, ist das zwar vielleicht kein besonders schöner Anblick. Aber für manche können solche Abende eben auch bedeuten, dass es ihnen danach besser geht. christina-waechter
3. Alkohol und Maß Grundsätzlich gibt es zu wenig Toleranz für maßlosen Umgang mit Alkohol. Klar, jeder behauptet von sich, er sei „total rock`n`roll“ und finde es „voll witzig“, wenn jemand mal so richtig dicht ist. Alles Heuchelei. Beim Kotzen hört es sowieso auf, aber die Grenzen sind oft schon viel früher überschritten: härtere Versionen des Herrenwitzes führen zu Stirnrunzeln, Torkeln vor 4 Uhr früh führt nirgendwohin als in die soziale Isolation, das Hinabschmeißen von Gegenständen oder Lebensmitteln vom Balkon findet auch niemand witzig. Das ist schlimm. Wir sind vor lauter Korrektheitswahn dabei, ein elementares Kulturgut des Abendlandes zu verlernen: Die Kunst des anständigen Besäufnisses. Wir gehen nicht mehr an die Limits, wir loten keine Grenzen mehr aus, wir verkommen zu weichgespülten Maßhaltern und neurotischen Kontrollfreaks, die am meisten Angst vor sich selbst haben. Für den richtigen Suff braucht man Schnaps und Bier zum Runterspülen desselbigen. Dann den Willen, den einmal eingeschlagenen Weg bis zum bitteren Ende zu gehen. Das bittere Ende ist nicht erreicht, wenn der Kopf „Nein“ sagt. Das bittere Ende ist erreicht, wenn der Körper „Nein“ sagt. Außerdem ist ein tolerantes soziales Umfeld notwendig: Rundenschmeißer, die zahlen, wenn keiner mehr trinken will und Schulterklopfer, die Mut machen, wenn man den fünften Wodka hinunterwürgt. Menschen, mit denen man im Dreck liegen kann. Das schweißt zusammen. Für die Maßlosigkeit, das peinliche Verhalten und überhaupt für alles schämt man sich am nächsten Tag. Und genau so muss das sein. Das ist Leben. Nicht nur, aber auch. philipp-mattheis
4. Alkohol und Liebe Alkohol und Liebe haben es schwer miteinander, das wissen wir spätestens, seitdem Amy Winehouse ein ganzes Album über das Thema gemacht hat. Ich sag nur: „Hand me your Stella and fly“, eine bedrückende Zeile aus dem traurigen Lied „You know I’m no good.“ Dabei fängt es doch so gut an: Der Satz „Hast du Lust, mal abends ein Bier mit mir trinken zu gehen“, ist nun mal eine wesentliche sexyere Aufforderung zum Kennenlernen, als jetzt zum Beispiel „Wollen wir mal tagsüber zusammen ganz nüchtern Sport treiben“. Wie viele Paare verdanken ihr Glück dem Konsum einiger Halben und ihrer anschließenden Befähigung zu romantischen Geständnissen und Küsserei! Es ist schon fies: Erst hilft der Alkohol der Liebe auf die Beine und dann verschmäht sie ihn doch. Nach ein paar Wochen und Monaten Bierknutschen, Rauschsex und verschwurbelten Schnapsdunst-Streitereien, die am nächsten Morgen vollkommen unverständlich sind, entwickelt sich nämlich ein Vorbehalt zwischen Liebe und Alkohol. In manchen Partnerschaften verabschiedet er sich ganz oder reduziert sich auf ein schönes Glas Wein zu besonderen Anlässen. In anderen wird der Alkohol outgesourct und darf nur bei sogenannten Jungs- bzw. Mädelsabenden mitmachen, wenn der oder die andere nicht dabei ist. In wieder anderen Partnerschaften wird das Thema zum ständigen Balanceakt darum, ob sie sich doch mal ein bisschen zusammenreißen sollte oder er sich denn wirklich an jedem einzigen Feierabend mit Flasche in der Hand entspannen muss. Dann wird zwar vielleicht noch gemeinsam getrunken, aber die Hemmungslosigkeit ist raus. Weil sich einer immer verantwortlich für das rechte Maß fühlt, kommt zusammen feiern und gleichbetrunken enden nur noch selten vor. Ein bisschen schade ist das schon, schließlich macht so was ja auch Spaß und Spaß hält zusammen. Ein Prosit also auf alle Liebenden, die auch nach vielen gemeinsamen Jahren noch Arm in Arm durch die Gassen torkeln können. meredith-haaf
5. Alkohol und Erwachsenwerden Warum fangen Menschen mit dem Rauchen an? Ein Grund ist diese Sache mit der Gruppendynamik. Die erste Kippe bekommen wir bisweilen gereicht, angeboten, aufgedrückt. Ehe sich Rauchen zu einer je persönlichen Sucht entwickelt, ist es also ein Gruppenphänomen. Rauchen dient der eigenen Standortbestimmung, Rauchen definiert einen Teil der Gesellschaft, in der wir uns bewegen. Mit dem Rauchen unterscheidet man sich. Und mit dem Konsum von Alkohol ist es nicht anders. Er wird beim Großwerden, schwachsinnigerweise, zum Gradmesser von „Erwachsensein“. "Wieviel verträgst du?" heißt das Spiel, mit dem wir unseren Standort bestimmen. Und man muss schon sagen: Wer sich diesem Spiel zu jenen pubertären Zeiten verweigert, der hat tatsächlich Mut. Weil er ein sehr verbreitetes Spielchen nicht mitspielen will. Wer aber aus dem Vergleichen nicht rauskommt, der wird auch später beim Trinken immer auf die anderen achten. Der wird unter Umständen keine Freude beim Trinken empfinden, wenn der Gegenüber nicht mehr mitmacht und nach dem zweiten Bier auf Spezi umsteigt und sagt: "Aber du darfst gerne noch was trinken!" So will man aber nicht trinken, rumort es dann in einem. "Du musst mitmachen!" sagt man dann. So entsteht Irritation über das eigene Verhalten: Man kann eigentlich nur trinken, wenn es andere auch tun. Und plötzlich wird einem dieser Mechanismus klar und man ist entsetzt. Jaja, das klingt so naiv und selbstverständlich, aber diese Vergewisserung muss erst einmal stattfinden. Denn erst, wenn nicht mehr das Rudel unseren Trink-Rhythmus bestimmt sondern unsere erworbene Haltung dem Leben und dem Essen und dem Trinken gegenüber – dann sind wir erwachsen. Eine Banalität, fürwahr. Man muss sie aber trotzdem erst sehen. yvonne-gamringer
Text: philipp-mattheis - christina-waechter, meredith-haaf, sascha-chaimowicz, yvonne-gamringer