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Was darf ich und was darf er?

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Erst dachte ich, ich hätte mich verhört. Ich fragte nach. „Willste mit mir ins Hotel gehen – 'n bisschen ficken?“ Diese „Frage“ kam von einem jungen Mann in Lederjacke und ordentlich Pomade in den Haaren, dem ich nichtsahnend den Weg erklärt hatte. Ich war so überrumpelt, dass mir nichts anderes einfiel, als angewidert das Gesicht zu verziehen und auf dem Absatz kehrt zu machen. Später wünschte ich mir fast, ich hätte dem Kerl eine saftige Ohrfeige für seine dummdreiste Anmache verpasst. Ich fand es fürchterlich ungerecht, dass dieser schmierige Typ ungefragt in das Innerste meiner Privatsphäre eingedrungen war. Obwohl ich nichts falsch gemacht hatte, fühlte ich mich auf eine seltsame Art beschmutzt. Und dieser Widerling war ungeschoren davongekommen.
Aber was hätte ich tun können, um das zu verhindern? Hätte ich ihm tatsächlich eine Ohrfeige verpassen sollen? Und hätte ich das auch gedurft?

Einer aktuellen Studie vom BMFSJF zufolge, fühlte sich über die Hälfe aller Frauen bereits einmal sexuell belästigt. Bei neun Prozent kam es zu körperlicher Gewalt oder einer Vergewaltigung. Wir haben einer Frauenberaterin und einem Anwalt verschiedene Szenarien der sexuellen Belästigung vorgestellt, um zu klären, was du wann tun kannst und tun darfst, um dich zu wehren.

Mein Szenario mit dem Pomaden-Mann:
 
Dr. Anita Heiliger, KOFRA München: „So einen Typen würde ich nicht anfassen. Stattdessen besser eine sachliche Botschaft senden wie 'Sexuelle Belästigung ist strafbar. Verschwinden Sie.'“

Alexander Stephens, Fachanwalt für Sexualstrafrecht: „Eine Ohrfeige wäre hier durchaus gerechtfertigt gewesen. Das 'ficken'  in dem Satz ist einfach zu vulgär. So etwas ist eine Beleidigung auf sexueller Grundlage und damit strafbar. Verbale sexuelle Belästigungen können mit bis zu einem Jahr Gefängnis bestraft werden.“

Auf den kommenden Seiten findest du noch mehr solche Situationen und Tipps, wie du am besten reagierst.


Szenario II

Du hast dich für den Geburtstag einer Freundin aufgehübscht. Als du in ihre Straße einbiegst, lungern da ein paar junge Männer an einem Kiosk rum. Du spürst ihre Blicke. Du guckst starr geradeaus und wirst eine Spur schneller. „Na Schnitte, Bock auf ein bisschen Spaß?“, pöbelt dich einer von ihnen an.

Anita Heiliger: „Einfach ignorieren.“

Alexander Stephens: „Hier am besten weghören und weiterlaufen. Wenn man einen Täter wegen eines Sexualdelikts belangen will, muss man immer seine Intention zu beleidigen nachweisen. Das Gesagte muss eine Erniedrigung darstellen. Dass sich jemand an solchen Sprüchen aufgeilen will, ist allein nicht strafbar. Daher ist auch Spannen kein Sexualdelikt. Solche Äußerungen sind also vollkommen legitim.“
Szenario III

Es ist Wiesn. Vielleicht auch ein Festival. In der Menschenmenge kommt dir ein Tross volltrunkener Halbstarker entgegen. Du kannst schlecht ausweichen. Eine gelallte Anzüglichkeit und ehe du dich versiehst, hat einer seine Hand an deiner Brust. 

Anita Heiliger: „Ganz laut schreien 'Nehmen Sie Ihre Finger weg. Das ist sexuelle Belästigung'. Hier kommt es auf eine klare und entschlossene Haltung an. Das kann frau in einem Selbstverteidigungskurs, wie beispielsweise Wendo lernen. Wenn man den Grapscher anzeigen will, muss man gleich vor Ort Leute ansprechen, die gesehen haben, dass man sich gewehrt hat. Ohne Zeugen können Sie es nämlich eh vergessen.“

Alexander Stephens: „Allein das Anfassen des bekleideten Hinterns einer Frau oder ihres Busen ist (noch) nicht strafbar. Hier ist die Intention des Täters wieder das bloße Aufgeilen und nicht die Beleidigung der Frau. Damit das Busengrapschen strafbar wird, muss der Täter entweder anfangen an dem Busen herumzukneten oder gegen den Willen der Frau weiter die Hand an der Brust lassen, um die Schwelle zur strafrechtlichen Erheblichkeit zu überschreiten. Auch wenn das bloße Grapschen nicht strafbar ist, ist es doch ein Angriff auf die Ehre. Hier dürfte man sich also beispielsweise mit einer Ohrfeige wehren.“

Szenario IV

Ein anbrechender Samstagmorgen in einem Club. Langsam wird dein Kopf klarer und der Typ, mit dem du vorhin rumgeknutscht hast, dir immer unangenehmer. Du verschwindest auf dem Klo und überlegst, wie du am besten abhaust. Als du die Tür aufmachst, steht er vor dir. Dir fällt auf einmal auf, dass man von hier unten sicher nichts hört. Du versuchst möglich bestimmt zu sagen, dass er dich durchlassen soll. Er drückt dich an die Wand. Du kreischst, dass er mit dem Scheiß aufhören soll. Da hält er dir den Mund zu.

Anita Heiliger: „Auf jede erdenkliche Art Widerstand leisten. Wenn der Täter einem den Mund zuhält, heißt das, dass er nicht beide Hände frei hat. Also hat man vielleicht die Möglichkeit sich irgendwie herauszuwinden. Man kann auch in die Weichteile oder auf die Füße des Täters treten. In einer solchen Situation können Stöckelschuhe zur Abwechslung mal sinnvoll sein.“

Alexander Stephens: „Treten, kratzen, beißen, Pfefferspray und Taschenmesser – alles erlaubt. In so einer Situation hat man einen gegenwärtigen Angriff, den man für Notwehr braucht. Das Mittel muss geeignet sein, um den Angriff zu beenden. Zurückhaltung ist bei minder Schuldfähigen in dieser Situation geboten. Darunter fallen Kinder, Betrunkene und auch die eigenen Familienmitglieder. Hier gilt der Leitspruch 'erst schutzen, dann trutzen'. Das heißt, auf jeden Fall versuchen, wegzulaufen, um sich zu schützen. Will man den Täter anzeigen und es steht Aussage gegen Aussage, ist das natürlich eine schwierige Sache. Wenn man den Angriff aber nachweisen kann, blühen dem Täter bei versuchter Vergewaltigung bis zu 15 Jahre Haft.“


Szenario V

Eine durchzechte Nacht, bei der irgendwann die Grenzen zwischen Spaß und Ernst verschwommen sind, eine verlassene Ubahn-Station - was auch immer es für eine Situation war, in der du im Nachhinein lieber nicht gewesen wärst - solltest du Opfer einer Vergewaltigung geworden sein, kannst du Folgendes tun:

Anita Heiliger: „Auf keinen Fall duschen. Stattdessen zu einem Arzt - niedergelassen oder Krankenhaus - gehen, der einen dann zur Beweissicherung von Sperma- und Verletzungsspuren in die Rechtsambulanz schickt. Dann den Kontakt mit der Polizei aufnehmen, um alle nötige Informationen über den oder die Täter mitteilen. Die Polizei informiert dann über das weitere Vorgehen.“
 
Alexander Stephens: „Hier wieder das gleiche Spiel; kann man die Vergewaltigung nachweisen, dann droht dem Täter eine saftige Strafe. 15 Jahre sind das Höchstmaß bei einer Vergewaltigung. Allerdings werden 70 Prozent aller Vergewaltigungsanzeigen eingestellt, da es hier oft zu Falschanschuldigungen und schlicht nicht nachweisbaren Sachverhalten kommt. Die Polizei und die Staatsanwaltschaft haben hier allerdings die Pflicht weiterzuermitteln, auch wenn die Anzeige vom Opfer zurückgenommen wird.“

In Deutschland wurden 2012 von der Polizeilichen Kriminalstatistik des Bundeskriminalamts 8.031 Fälle von Vergewaltigung und sexuellen Nötigung registriert. 80,7 Prozent der Delikte wurden aufgeklärt. Man muss davon ausgehen, dass die Dunkelziffer um ein Vielfaches höher ist. Die meisten Täter stammen aus dem Umfeld der Opfer und sind ihnen zumindest flüchtig bekannt.

Text: mariel-mclaughlin - Foto: emoji / photocase.com

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