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Warum ich meinen Traumjob aufgegeben habe

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Nach dem Abitur verkündete eine Freundin, sie wolle jetzt doch nicht Schauspielerin werden, sonst versaue sie sich am Ende noch ihre Passion für das Theater. Was für eine schwachsinnige Aussage, dachte ich damals. Meine Leidenschaft war die Musik und ich war damals überzeugt, dass ich im Leben nur glücklich werden kann, wenn ich beruflich irgendwas damit mache. Ich legte zu Schulzeiten mit einem Freund Platten auf und wir verdienten damit ein zusätzliches Taschengeld. Unsere ehemaligen Tutoren organisierten noch während der Schulzeit einen erfolgreichen Clubabend und wir durften immer das Warm Up-Programm gestalten. Oft legte mein Schulfreund auf und ich dudelte dazu etwas auf der Gitarre. Wie Kruder & Dorfmeister legten wir uns als stage names unsere Nachnahmen zu. Eines Abends wurden wir dann mit dem Redakteur einer Münchner Tageszeitung bekannt gemacht. "Ach, Sie kennen die Beiden gar nicht?", fragte der Veranstalter den Journalisten. "Aber Sie kennen doch sicherlich Kruder & Dorfmeister!" Der Veranstalter brachte unsere Nachnamen mit dem österreichischen Popduo auf eine Weise in Verbindung, die gar nicht existierte. Trotzdem erschien am nächsten Tag ein kleiner Artikel, der uns als das nächste große Ding anpries. Der Beitrag entging natürlich auch nicht meinen Eltern. Mein Wunsch, professionell Musik zu machen und nicht etwa Jura oder BWL zu studieren war plötzlich medial legitimiert worden. Beim nächsten Mal fuhr uns meine Mutter zum Auftritt und holte uns um vier Uhr morgens wieder ab. Pünktlich um acht Uhr saßen wir wieder brav in der Schule. Es war die Zeit, in der sich die elektronische Clubmusik stark ausdifferenzierte, elektronische Acts mit kleinerem bis mittlerem Bekanntheitsgrad in den Feuilletons besprochen wurden und DJing als etwas Seriöses anerkannt wurde. Plötzlich fragte man sich, wie all die Bars vorher ohne einen DJ ausgekommen waren. In diesem Klima erschien das Produzieren von elektronischer Musik verbunden mit Plattenauflegen als legitimer Berufswunsch. The Future Was Wide Open, aber einen Masterplan hatte ich nicht. Ich jobbte zunächst in meinem Lieblingsplattenladen, in dem ich alles an Musik aufsog, was es zu entdecken gab. Der Laden war Anlaufstelle für viele DJs und Produzenten, die ich bewunderte. Plötzlich war ich dabei und ab da lief vieles von selbst. Freitags legte ich nun immer häufiger in meinem Lieblingsclub auf und wurde von dort als Studiomusiker für befreundete Produzenten weiter vermittelt. Ich war zwar nie ein besonders guter Keyboarder oder Gitarrist, aber im Gegensatz zu vielen Musikern, die ihr Handwerk ordentlich gelernt hatten, wusste ich, auf welchen Stil es bei den Aufnahmen ankam.

Es geschah zur selben Zeit, dass eine meiner Lieblingsgruppen im Begriff war, sich aufzulösen. Wie es die Fügung wollte, war ich kurze Zeit später Mitglied einer elektronischen Band namens Beanfield, deren Platten ich im Regal stehen hatte und die ich sehr verehrte. Etwa drei Wochen nach dieser Berufung saß ich bereits im Flugzeug auf dem Weg nach Singapur, nur um dort Platten aufzulegen. Der Traum von meinem Lieblingsjob erfüllte sich binnen kürzester Zeit. Einiges geschah durch Eigenleistung, vieles durch die Gunst meiner Musikhelden, die an mein Talent glaubten und mich förderten. Die nächsten fünf Jahre wurden die glücklichsten meines Lebens. Unter der Woche saßen wir im Studio und bastelten an Songs oder Remix-Aufträgen. An den Wochenenden brachte uns das Plattenauflegen an Orte, von denen ich nie geträumt hätte, sie so schnell bereisen zu dürfen. Es ging nach Polen, in die Ukraine, nach Portugal und sogar in die USA und nach Japan. Ich hatte es geschafft, mein Hobby zum Beruf zu machen und während die meisten meiner Freunde noch in der Ausbildung waren, konnte ich mit meinem Job bereits die Miete bezahlen. Ich war dort angekommen, wo ich immer hin wollte. Und genau das wurde mehr und mehr zum Problem. Nicht wenige verfolgen ein bestimmtes Ziel und brauchen dafür ein halbes Leben. Aber wenn man ein bestimmtes Ziel zu früh erreicht, geht es irgendwann nicht mehr weiter und an die Stelle des Glücks tritt nach und nach ein Gefühl der Leere. Für mich war kein Platz mehr nach oben. Ich war mit dem Level, auf dem ich mich bewegte, zufrieden. Was hätte es schon geheißen, in die Liga der Top DJs aufzusteigen? Es zeichnete sich bereits die Zukunft ab, die mir wohl blühte, wenn ich höher hinaus wollte: größere Clubs, die zwar mit einer hohen Gage winkten, in denen ich aber nicht mehr das auflegen konnte, was ich wollte. DJ Koze bezeichnete dies in einem Interview mal als "am Wochenende die EC-Karte durchs Mischpult ziehen". Ich zog es vor, auszusteigen, bevor es so weit kommen konnte. Denn wenn ich wieder mal alleine in irgendeinem Hotelzimmer saß und auf meinen Auftritt wartete, beschwor ich oft den Gedanken herauf, wie es wohl wäre, wenn ich doch noch studierte? Oder war ich dafür mit 26 schon zu alt? Lohnte sich das noch? In mir entwickelte sich nach und nach eine Sehnsucht nach Jungsein, nach schlechten Studentenpartys und sogar nach dem, was mir am wenigsten lag: nach lernen. Der Uniabschluss, den ich nach dem Abitur so vehement abgelehnt hatte, wurde mein neues Ziel. Natürlich haderte ich mit diesem Plan, weil ich absehen konnte, dass ich über 30 sein würde, bis ich mein Diplom oder meinen Magister in der Tasche haben würde. Doch in dieser Phase des größten Zweifels kam mir die Bologna-Reform zur Hilfe. Die Möglichkeit, innerhalb von drei Jahren wenigstens einen Bachelor-Abschluss machen zu können, schien wie für mich geschaffen. Sie stimmte mich froh. Die Wahl meines Studienfachs fiel auf Kommunikationswissenschaft. Sie beruhte weniger auf meinem Interesse für dieses Fach. Sie war schlicht der Tatsache geschuldet, dass das entsprechende Institut an der Münchner Universität zu den Ersten gehörte, die die Reform durchsetzten. Ich wollte einfach nicht warten, bis andere Fächer nachziehen würden. Dann hätte ich nur wieder die Qual der Wahl gehabt. Ich ließ mich einfach durch meine Ungeduld und das Schicksal zu meinem Glück zwingen. Denn in der Zwischenzeit sind mir das Fach und die Forschung sehr ans Herz gewachsen und ich setze nun, mit 30 Jahren, sogar noch einen Master drauf. Bei der wissenschaftlichen Arbeitsweise fühle ich mich oft ans Musikmachen erinnert. Ein wissenschaftlicher Aufsatz ist eigentlich nichts anderes als Sampling. Nur während man beim Komponieren stets bemüht ist, seine Quellen bis zur Unkenntlichkeit zu modifizieren, hat man in der Wissenschaft das Privileg, Geklautes offenlegen zu dürfen, ohne dabei gleich das Urheberrecht zu verletzen. Viele Freunde konnten meine Entscheidung nicht nachvollziehen. Schließlich war immer ich derjenige gewesen, der seinen Traum konsequent umgesetzt hatte. Warum, fragten sie, gibst du das alles auf? Ich hatte damals ein Rechtfertigungsproblem und irgendwie habe ich es heute noch. Es reicht offenbar nicht aus, dass man mit seiner Berufs- oder Ausbildungswahl einfach nur glücklich ist. Man muss, habe ich manchmal den Eindruck, jeden autobiographischen Schritt als zwangsläufig verkaufen, als den nötigen Schritt zum ultimativen Lebenstraum. Aber ich muss das ja nicht. Meinen ultimativen Lebenstraum habe ich ja schon erfüllt. In Bewerbungsgesprächen sehen jetzt Interviewer auf meinen Lebenslauf und fragen: "Und nun wollen Sie also etwas Vernünftiges machen?" Ich muss dann lachen. Mit Vernunft hatte meine Umorientierung überhaupt nichts zu tun. Im Gegenteil, denke ich. Es war sogar sehr unvernünftig, etwas abzubrechen, mit dem ich Erfolg hatte. Andererseits erhielt ich viel Zustimmung von Musikerkollegen, die sich nach einem Alltag sehnen, in dem man einen ordentlichen Feierabend hat und am Wochenende nicht jede Geburtstagsparty verpasst. Vielleicht war das, was mir am meisten bedeutete, einfach zu sehr zum Alltag geworden. Ich hatte nach und nach vergessen, was mir die Musik eigentlich bedeutet. Meine Schulfreundin trat wieder vor mein geistiges Auge: "Ich will mir doch nicht meine Passion versauen". Vielleicht war ich auf dem besten Weg, mir diese Leidenschaft zu versauen. Vielleicht wollte ich es nicht soweit kommen lassen. Manchmal erinnere ich mich daran, wie es war, als ich klein war und dieselbe Platte oder Kassette immer und immer wieder anhören konnte, ohne davon genug zu bekommen. In meinem ersten Studienjahr versuchte ich, dieses Gefühl neu zu erzeugen. Ich kaufte mir nur ein einziges Album. Immer wenn es zu Ende war, hörte ich es wieder von vorne - und war glücklich. Am kommenden Samstag nun lege ich zum ersten Mal seit langer Zeit wieder auf. Ich freu mich schon!

Text: michael-mettke - Illustration: Alper Özer

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