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Vorgelesen. Romane von Sascha Lobo, Markus Berges und Ingo Niermann
Ein langer Brief an September Nowak von Markus Berges Markus Berges ist Sänger und Chef der Kölner Band Erdmöbel, deren Lieder sich durch zart verschrobene Melancholie auszeichnen. Nun hat Berges also auch einen Roman geschrieben, der gleich zwei Vorbehalte entkräften muss. Zum einen jenen, nach dem die schriftstellerischen Aktivitäten von tollen Musikern gerne schiefgehen (zum Beispiel Stuart Davids: Wie Nalda sagt). Zum anderen schreibt hier mal wieder ein gestandener Mann aus der Perspektive eines Mädchens – eine Verrenkung, die viele Fallgruben aufstellt. Die Geschichte von Betti, die ihre Brieffreundin an der Côte d'Azur besuchen möchte und dabei in einem unglücklichen bis poetischen Roadtrip endet, lässt aber Peinlichkeiten weitgehend aus – vielleicht auch, weil diese Betti ein wenig weiblicher oder überhaupt fassbarer Charakter ist, der ständig in die Büsche pinkelt. Die erhoffte Brieffreundin in Monaco jedenfalls, jene September Nowak, erweist sich schon auf den ersten Seiten als unwahres Trugbild und Betti sieht sich nach dieser Enttäuschung einsam an der französischen Riviera gestrandet. Sie wird aufgelesen und von einem Mutter-Sohn-Paar bis an die spanische Grenze mitgenommen, dort von einer jungen Familie weiter bis in ein Ferienhaus. Während dieser wilden Zeit in immer neuen Konstellationen, spielt Betti mit ihrer Identität, kostet Freiheit, Angst und Einsamkeit, wird selber zu September, vertauscht die Rollen ihrer Brieffreundschaft und bleibt allen Menschen, denen sie begegnet, ein sprödes Rätsel. Der Ton, in dem diese kleine Geschichte geschrieben ist und dazu die Lomo-Bilder auf manchen Seiten erinnern tatsächlich an die Erdmöbel-Lieder: kurios bis polternd, auf eine beruhigende Art harmlos, manchmal poetisch und niemals kitschig. Hört man beim Lesen zusätzlich die neue Erdmöbel-Platte „Krokus“, ergibt sich tatsächlich eine nachmittägliche Erfahrung von Schönheit. Allein bleibt das Buch mit seinen wenig aufgelösten Metaebenen ein bisschen haltlos.
Strohfeuer von Sascha Lobo Nachdem Andreas Bernard vor knapp einem Jahr die Kreativszene der frühen 90er-Jahre in der Redaktion eines Münchner Jugendmagazins ansiedelte, macht Sascha Lobo in seinem ersten Roman nun den dotcom-Hype im Berlin des Jahrtausendwechsels zur Kulisse. Bei beiden Büchern liegt die Chronistenleistung weniger in den Romanhandlungen, als in der archäologischen Konservierung von Sprache, Umgangsformen und Leidenschaften des herrschenden Zeitgeistes. Die Ausstattung dieser Stücke ist wichtig, nicht das eher banale Treiben der Protagonisten, die in beiden Büchern an Ähnlichem leiden: Kleines Glück in der Beziehung vs. vermeintlicher Glam im Büro. Der Ich-Erzähler bei Sascha Lobo sieht seine Berliner Gammel-Existenz über Nacht in die aufregende Blase rund um jene Pixelpark-Internet-Ideen verpflanzt, die von Investoren mit Millionen gefüttert werden, ohne dass irgendein nennenswerter Gegenwert geleistet wird. Mit falschen Freunden gründet er kurzerhand eine Agentur, die die Vermarktung dieser vergoldeten Eintagsfliegen übernimmt und in deren Räumen sich fortan Tag für Tag Größenwahn, zwanghafte Originalität und Drogenmißbrauch abspielen. Jeden Tag liegt eine neue millionenschwere Verheißung in der Luft, jeden Monat aber werden auch die Verträge und Verrenkungen wackliger, bis schließlich die Dinge in ziemlich hässlicher Verzweiflung wieder in sich zusammenfallen, wie zeitgleich die Türme des World Trade Centers. Das Ganze ist mit Schwung aufgeschrieben und vor allem die wortspiellastigen Dialoge und Witzeleien gehen gut rein, der Rest bleibt eher ein banales Drehbuch. Die Protagonisten und Vorfälle wirken die ganze Geschichte hindurch seltsam unscharf und überdreht, bis sie sich zum Ende hin in der Abfolge von Katastrophen irgendwie abgenutzt haben. Natürlich liefert dieser Roman keine echte Erklärung für die Geschehnisse, die unter dem Namen „New Economy“ in die Wirtschaftsgeschichte eingegangen sind. Dafür drehen die Ereignisse viel zu willkürlich ins Fiktionale oder erschöpfen sich in der bloßen Draufsicht auf Befindlichkeiten. Aber als kleines Kapitel in der großen Berlin-Chronik taugt er schon.
Bad Vibes von Luke Haines Noch ein Zeitgeiststück – diesmal von der anderen Seite des Kanals und aus einer Epoche, die eigentlich schon bis zur Erschöpfung in launigen Büchleins wiedergegeben wurde: aus den jungen 90er-Jahren. Wer diese Zeit hier aus seiner Sicht schildert, ist aber nicht irgendwer, sondern einer der Anführer der Britpop-Bewegung. Als Mastermind der Band The Auteurs war Luke Haines tatsächlich ab 1993 zusammen mit Suede und Pulp unter der gefeierten Vorhut jenes Hypes, der später mit Blur und Oasis so richtig an die Decke knallen sollte. Da aber waren die Auteurs schon wieder abgemeldet, deswegen erzählt dieses Buch nicht nur vom schnellen Aufstieg in den und vom Leben im britischen Pop-Olymp, sondern auch vom bitteren Abstieg. Der angeblich vorhandene Witz, den britische Rezensenten an diesen authentischen Aufzeichnungen rühmen, ist offenbar beim Übersetzen verloren gegangen – zu lesen sind eher vage zusammenhängende Erinnerungen eines mäßig verbitterten und mäßig reflexiven Bandleaders, der sich gar nicht bemüht, sonderlich sympathisch zu sein. So bleiben viele diese Erinnerungen ziemlich ausgerissen stehen oder widersprechen sich nach ein paar Seiten wieder – aber vielleicht ist gerade das ja eine realistische Wiedergabe des Gefühls, das einen umfängt, wenn man ein Jahr lang die Charts stürmt und ein paar tausend Platten pro Wochen verkauft. Recht ergötzend sind jedenfalls trotz des schwachen Stils das popkulturelle Namedroppping und die vielen Seitenhiebe auf andere Bands und Musiker. Der Zauber des „Cool Britannia“-Hypes, jener Zeit, in der die Gitarren aus den USA wieder nach Manchester wanderten, ist dem Leser damit jedenfalls wieder recht nahe – und für alle Spätgeborenen allemal nachlesenswert.
Deutscher Sohn von Ingo Niermann und Alexander Wallasch Die Geschichte eines in Afghanistan verletzten Bundeswehr-Soldaten, der mit seiner schwärenden Wunde und einem mäßigem Trauma nun in seiner Wohnung in der deutschen Provinz sitzt und die Tage mit Billigbier und Fernsehen zubringt. Eine zuverlässig trostlose Situation, die die beiden Autoren hier zur Bühne für einen Roman machen, der von manchen Kritikern als maßgeblicher literarischer Beitrag zur Afghanistan-Debatte verstanden wird, während ihn andere als belangloses Aneinander von Tabuthemen und pornographischer Bückware lasen. Denn tatsächlich betreibt der schwerverletzte Toni nicht nur ausufernde Onanieraktionen, sondern hat auch allerhand richtigen Sex, insbesondere mit der jungen Aushilfspflegerin Helen – die mit diesem Namen und ihren bevorzugten Praktiken eine astreine Fortsetzungsfigur aus Charlotte Roches Feuchtgebieten ist. Sex auf Schmerzmitteln, Sex zu dritt, Sex mit Avocadokernen etc. Rund um die Kopulationen sortiert der nutzlose Soldat seine Umgebung, nimmt das gleichsam verstümmelte Deutschland hinter seinem Vorgarten unter die Lupe und wird Teil einer Nebenhandlung, in der es um die ominöse bis wagnerianische Sekte der „Deutschreligiösen“ geht. Das alles führt nirgendwo hin, die kühl erzählte Abfolge von Abgründen, Produktnamen und BRD-Bildern erinnert an ein Faserland im Rollstuhl, mit Flecktarn statt Barbour. In seiner Häßlichkeit behält dieses Buch eine seltsame Eleganz und Klarheit, wenn nur nicht manche der Provinz-Szenen so sehr an Filme mit Oliver Korittke erinnern würden. Und genau dann verliert das Ganze auch seine nüchtern-gemeine Strahlkraft und brandet in eher beliebigen Geilgewittern und Pommesbuden-Prosa aus. Trotzdem das Buch, über das man diesen Herbst wohl reden muss.