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Vor uns die Unischwemme?
Wenn man bei den Pressestellen deutscher Hochschulen anruft und die Buchstaben „T-T-I-P“ fallen lässt, wird einem, noch bevor man die Frage ausformuliert hat, reflexartig „Da brauchen Sie einen Juristen oder Wirtschaftswissenschaftler, oder?“ entgegnet. Verständlich irgendwie – bei der Debatte um die Transatlantic Trade and Investment Partnership, das transatlantische Freihandelsabkommen, geht auf den ersten Blick um Handelsgüter. Waren, wie die Chlorhühnchen, die in letzter Zeit immer wieder diskutiert wurden. Aber was ist mit Bildung? Ist das auch eine Ware? Werden sich deutsche Universitäten wegen TTIP verändern müssen? „Das ist eine gute Frage“, bestätigen einem die Pressestellen. Um wenige Tage später zurückzumelden, dass man keine Antwort darauf habe.
Deutschland als Teil der Europäischen Union steckt inmitten von Verhandlungen zum größten, universalen Freihandelsabkommens aller Zeiten und niemand weiß, ob es ihn eigentlich betrifft. Das ist weniger seltsam, als es zunächst klingt. Schließlich wird TTIP, wie auch das Abkommen Tisa, das sich mit der Liberalisierung von Dienstleistungen befasst, im Geheimen von der EU-Kommission und den USA verhandelt. Bekannt sind nur die Eckpfeiler – es geht um gleiche Handelsbedingungen für europäische und amerikanische Firmen auf dem jeweils anderen Markt. Wer sich unfair behandelt fühlt, soll im Rahmen des Investitionsschutzes vor einem Schiedsgericht klagen können – ebenfalls hinter verschlossenen Türen. Vermutet wird außerdem, dass es bei TTIP eine Negativliste geben wird – nur was auf dieser Liste steht, wird von dem Abkommen ausgenommen. Für Bildung, also Universitäten, Schulen, aber auch Weiterbildungsmaßnahmen, galt das bisher immer – bei vergleichbaren Abkommen blieben diese Gebiete unangetastet. Dieses Mal also automatisch auch?
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Wird Deutschland wegen TTIP bald mit amerikanischen Unis überschwemmt? Oder sind solche Sorgen Unsinn?
Amerikanische Unis auch in Deutschland?
Die Menschen, die das genau wissen, dürfen darüber bisher nicht offen reden. Das macht die Situation vertrackt – präventive Sorge vs. „Die da oben wissen schon was sie tun“ wechseln sich ab. So gibt es beispielsweise keine konkreten Warnungen für die Auswirkungen von TTIP auf den Bildungsbereich, gleichzeitig haben mehr als einhundert Wissenschaftler und Ärzte einen offenen Brief an Angela Merkel unter dem Titel „Appell zum Stopp der Verhandlungen über das Freihandelsabkommen“ unterzeichnet. Darin stehen in erster Linie Sorgen um die undemokratischen und intransparenten Vorgänge bei TTIP. Aber was ist mit dem Bereich Bildung? Professor Fabian Kessl, Erziehungswissenschaftler an der Universität Duisburg-Essen und Unterzeichner des offenen Briefes, hat sich als einer der wenigen Gedanken zu diesem Komplex gemacht. Angesprochen auf mögliche Auswirkungen von TTIP auf die Bildung sagt er: „Bisher war es nicht ohne Weiteres möglich, in Deutschland eine Hochschule aufzumachen – durch TTIP und Tisa könnte sich das ändern.“ Denn wenn man in den Abkommen Bildung als Ware betrachten würde, müssten für amerikanische Universitäten in Deutschland gleiche Bedingungen herrschen wie für deutsche. Bedeutet: Wird beispielsweise einer Zweigniederlassung der Universität Harvard in Deutschland die Eröffnung verwehrt, könnte die Uni vor einem Schiedsgericht auf Gleichbehandlung klagen. Theoretisch.
Wie steht es um die private Hochschulbildung in Deutschland?
Was in Deutschland nur spekulativ ist, hat sich in Teilen Osteuropas nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion bereits durchgesetzt. In Bulgarien gibt es eine American University, in Albanien eine Zweigstelle der University of New York. Wichtigster Faktor, um an den Hochschulen genommen zu werden, ist ein gut gefülltes Portemonnaie. Ein Szenario, dass sich Professor Kessl auch für Deutschland vorstellen kann: „Eine derartige Privatisierung des Bildungssektors kann zur weiteren Zuspitzung der vorherrschenden Elitenreproduktion führen“, sagt Kessl. Außerdem würde unter dem USA-Modell häufig die Qualität der Ausbildung leiden: „In den USA wird der Erfolg an Hochschulen schon lange an der Anzahl erfolgreicher Abschlüsse gemessen. Die Lehre richtet sich dann nicht selten daran aus, die Studierenden gezielt auf die Prüfungen vorzubereiten, weil viele gute Abschlüsse nicht nur das Image verbessern, sondern auch Geldzuweisungen erhöhen. Die Studierenden besonders kritik- oder reflexionsfähig auszubilden, könne dabei auf der Strecke bleiben.Dass es in Deutschland bisher kaum private Hochschulen gibt, liegt unter anderem an der Gesetzeslage. Allein die institutionelle Akkreditierung beim Wissenschaftsrat, also die staatliche Anerkennung einer privaten Hochschule, dauert meistens ein Jahr. Zu diesem Zeitpunkt muss die Hochschule bereits drei Jahre bestehen und einen Kriterienkatalog erfüllen, auch die Finanzierung muss geregelt sein. Qualitativ hochwertige Bildung ist allerdings teuer, gleichzeitig ist Bildung in Deutschland ein öffentliches Gut, das möglichst jedem frei zugänglich sein soll. Kostenpflichtige Bildungsstätten werden somit in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern schlecht angenommen – einer Studie des deutschen Stifterverbands und von McKinsey zufolge waren 2010 nur fünf Prozent aller Studierenden an einer privaten Hochschule eingeschrieben. Außerdem werden viele als „privat“ deklarierte von den Bundesländern mitfinanziert, da mehreren in den vergangenen Jahren die Insolvenz drohte. Im Umkehrschluss bedeuten diese Zahlen aber auch, dass auf dem deutschen Hochschulmarkt noch viel Luft ist. Professor Kessl von der Universität Duisburg-Essen spricht von einer bereits erfolgten Teilprivatisierung des Bildungsmarktes in Deutschland: „Viele Hochschulen finanzieren sich bereits jetzt zu einem Drittel über Drittmittel, die auf einem Markt erwirtschaftet werden müssen. Die Universitäten müssen ihr Programm deshalb immer mehr nach den Kriterien der Geldgeber ausrichten, die Beschäftigungsverhältnisse der Mitarbeiter verschlechtern sich massiv.“ Tisa und TTIP würden aus seiner Sicht diese bereits vorhandene Dynamik nur weiter verstärken.
Mehr Bildungsangebote – klingt doch erstmal gut?
Andererseits muss man auch fragen: Täte ein bisschen mehr Angebot dem deutschen Bildungsmarkt nicht auch ganz gut? Schließlich wird immer wieder kritisiert, dass beispielsweise Medizinstudienplätze nur noch Abiturienten mit 0,8-Schnitt zur Verfügung stehen. Wer trotzdem Arzt werden möchte, nimmt sein Geld und studiert in Ungarn. Diese Studierenden könnten zukünftig vielleicht in Deutschland bleiben. Auch für den Kampf gegen den Braindrain sieht Professor Gabriel Felbermayr vom ifo-Institut für Wirtschaftsforschung in München in TTIP eine Chance: „Bisher sind viele unserer sehr guten Studierenden in die USA abgewandert, da dort die Forschungsbedingungen besser sind. Würden die Ivy-League-Universitäten Standorte in Deutschland eröffnen, würden sie vielleicht hierbleiben“, sagt der Volkswissenschaftler. Dass es tatsächlich so weit kommt, bezweifelt er allerdings – eine Neudefinierung von Bildung als „Ware“ anstatt als öffentliches Gut müsste von allen 28 EU-Parlamenten ratifiziert werden. Ein Aufwand, den die Macher von TTIP vermutlich vermeiden werden.
Haben die USA überhaupt Interesse, in die deutsche Bildung zu investieren?
Zumindest ein Punkt ist in der ganzen „Was-wäre-wenn“-Debatte unstrittig: Für die USA oder andere europäische Länder könnten Investitionen in den öffentlichen Sektor in Deutschland durchaus lukrativ sein. Studien vom ifo und von der Bertelsmann-Stiftung zufolge soll TTIP zwei Millionen Jobs in den OECD-Staaten schaffen, davon 1,1 Millionen in den USA und 181.000 in Deutschland. Diese Werte sind zwar umstritten, der Bildungsbereich wird von Experten aber trotzdem als Zukunftsbereich betrachtet: „Wenn wir Bildung, Soziales und Gesundheit, also die drei großen Felder personenbezogener öffentlicher Dienstleistungen, zusammen denken, stellen wir fest, dass hier ein Riesenmarkt entstanden ist, auf dem in den kommenden Jahren viel Geld verdient werden wird“, sagt Professor Kessl von der Uni Duisburg-Essen. Er schiebt direkt hinterher: „Aber wollen wir das? Wollen wir über Bildung als Ware reden, mit der primär Profit gemacht wird? Oder ist Bildung ein öffentliches Gut, das wir schützen wollen und müssen?“ Er selbst plädiert für zweiteres.
Was heißt das jetzt alles für den Bildungsbereich?
Irritierend bleibt, dass sich zwar niemand an Hochschulen so richtig für TTIP begeistern kann, bis auf die Gruppe um Fabian Kessl aber keiner öffentlich vor den Konsequenzen für den Bereich Bildung warnt. Woran kann das liegen, wo die deutschen Hochschulen doch eigentlich besonders gerne Rabatz machen, wenn sie sich in irgendetwas bedroht fühlen? Professor Kessl hat dazu eine eindeutige Meinun:g „Für die breite Bevölkerung die gleichen Bildungszugänge und Bildungsmöglichkeiten zu gewährleisten, hat bis heute keine Lobby. Hinzu kommt, dass das Thema der Bildungsprivatisierung noch nicht in der Öffentlichkeit angekommen ist. Niemand kann sich vorstellen, dass dieser Bereich privatisiert wird. Ein Ergebnis nicht zuletzt der obrigkeitsgläubigen Haltung in Deutschland.“ Aber ist diese nicht vielleicht auch gerechtfertigt, wenn Bildung bisher bei jedem Handelsabkommen ausgeklammert wurde? Laut Kessl eindeutig nicht: „Vermutlich wird die Vermarktlichung von Bildung sich nicht direkt mit Tisa oder TTIP durchsetzen. Aber mit TTIP wird die Debatte nicht zu Ende sein, es werden weitere Abkommen folgen. Der schleichende Prozess zur weiteren Privatisierung von Bildung ist längst im Gange – es nimmt nur bisher fast keiner wahr.“