Vom Aussterben bedroht: Khande, Nukak und Buschmänner - die gefährdeten Stämme der Welt
Vom Aussterben bedroht: Khande, Nukak und Buschmänner - die gefährdeten Stämme der Welt
Die Schlagzeile ist immer gut: „Neuer Indianerstamm entdeckt“. Gerade erst kabelten die Nachrichtenagenturen um die Welt, im Amazonasgebiet Brasiliens sei ein Stamm entdeckt worden, der bislang keinen Kontakt mit dem Rest der Gesellschaft hatte – dumm nur, dass die Metyktire vor 50 Jahren schon einmal als entdeckt vermeldet wurden, dann aber verschwanden und seitdem als verschollen galten. Jetzt sind die Metyktire, die gewöhnlich in unzulänglichem Regenwald leben, in einem Dorf eines lose verwandten Stammes aufgetaucht, der Kontakt mit der modernen Gesellschaft pflegt. Nun bemühen sich Eingeborenen-Vereinigungen in Brasilien, die Metyktire vor schädlichen Einflüssen zu schützen, die der Kontakt nach sich ziehen könnte. Ob es darüber Schlagzeilen geben wird, ist fraglich – dabei beginnt die Geschichte von Stämme wie den Metyktire erst, nachdem die Entdeckung eines neuen Stammes vermeldet wird: Viele Stämme sind in Folge vom Aussterben bedroht. Ein schneller Überblick in vier Beispielen.
durs-wacker
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Buschmänner
Buschmann Roy Sesana kurz vor dem Treffen mit Tony Blair Ende Mai in London. Sesana hatte Blari einen Brief seines Volkes übergeben, in dem es um Unterstützung gegen seine Vertreibung bat.
Foto: afp
Ort:
Kalahari (Staatsgebiet Botswana, Afrika)
Geschichte:
Ihre Sprache ist einer der schwierigsten der Welt: Die Buschmänner der Kalahari reden in einer Fülle aus Schnalz- und Klicklauten, für die Völkerkundler erst einmal Zeichen erfinden mussten, um die Sprache überhaupt niederschreiben zu können, // zum Beispiel oder !. Bekannt sind sie der Welt schon lange, gekümmert hat das Leben der Buschmänner aber niemand recht. Obwohl die Stämme der Gana, Gwi und Tsila ein Reservat in der Kalahari-Wüste zugesprochen bekommen hatten, änderte sich die Lange, nachdem in diesem Gebiet Anfang der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts Diamanten entdeckt wurden. Infolge wurden die Buschmänner in drei große Wellen 1997, 2002 und 2005 aus ihrem angestammten Land vertrieben und in Siedlungen knapp außerhalb des Reservats gebracht.
Folge
Die Buschmänner leiden zunehmend an Krankheiten wie Tuberkulose, auch Alkoholismus greift um sich. In einer in dieser Weise bislang einzigartigen Aktion klagten 239 Buschmänner vor dem Verfassungsgericht Botswanas gegen ihre Vertreibung. Der Prozess, der 2002 begann, endete 2006 mit einem spektakulären Urteil: Die Vertreibung der Buschmänner sei ungesetzlich und nicht mit der Verfassung des Landes vereinbar, die Buschmänner hätten jederzeit das Recht, ihr angestammtes Land zu betreten. Trotz dieses Erfolges hat sich die Situation der Buschmänner bislang nicht geändert. Um auf die Situation in Botswana aufmerksam zu machen, reiste Roy Sesana, ein Vertreter der Buschmänner, Ende Mail nach London, um dort Tony Blair einen Brief seines Volkes zu überreichen. Botswana ist als ehemalige britische Kolonie Mitglied des Commonwealth.
Khande
Ein Angehöriger der Khande auf einem von Rentieren gezogenen Rennschlitten während eines traditionellen Rennens.
Foto: Reuters
Ort:
Yugra-Region, Sibirien (Staatsgebiet Russland)
Geschichte:
Sie nennen sich Khande oder Khanti und sind Halbnomaden: Mit großen Rentier-Herden durchzogen die Khande die Kälte der sibirischen Taiga. Schon die ersten russischen Fürsten bemühten sich, die Khande zu unterwerfen, der Stamm akzeptierte staatliche Gewalt aber erst gegen Mitte des 19. Jahrhunderts. Die Khande genossen jedoch eine de facto-Autonomie. Unter Stalin wurden die Khande verfolgt und ihre traditionell auf Klans beruhende Gesellschaft auseinander gerissen: Anführer wurden liquidiert, Khande-Kinder ihren Familien entrissen, die Herden des Stammes zwangskollektiviert. Erst gegen Ende der Sowjetunion bekamen Khande wenige Sonderrechte als Stamm zugestanden. Inzwischen sind die Khande wieder bedroht: Nachdem auf ihrem Land Öl gefunden wurde, begannen Ölfirmen, die Khande mit falschen Versprechen von ihrem Land zu locken.
Folge
Inzwischen leben viele der geschätzt knapp 30 000 Khande in eigens eingerichteten Dörfern fern ihres eigentlichen Jagd- und Lebensgebiets, in denen sie angesiedelt wurden. Auch die Zahl der Rentiere hat sich verringert. Vielerorts bohren die Ölfirmen nun nach Öl, ohne die Khande um Erlaubnis gefragt zu haben. Der einzige Grund aber, warum es ihre Region aber ab und an in die Nachrichten schafft, ist Sport – die Stadt Khanty-Mansiysk ist immer wieder Austragungsort von Biathlon-Meisterschaften.
Nukak Makú
Ein Kind der Nukak Makú in einem der Lager, in das sich ein Teil des Nukak Stammes geflüchtet hat.
Foto: ap
Ort:
Guaviare (Staatsgebiet Kolumbien)
Geschichte:
1988 ist das offizielle Entdeckungsdatum der Nukak Makú. Der Stamm lebt am Rande des Amazonas-Beckens im Gebiet zwischen den Flüssen Guaviare und Inírida. Die Nukak sind Nomaden und ziehen in kleinen Klans durch den Regenwald. Nachdem sie entdeckt wurden, litten die Nukak – wie viele Stämme nach ihrem ersten Kontakt mit der modernen Gesellschaft – an eingeschleppten Krankheiten wie Grippe. Viele Nukak starben, inzwischen rechnen Ethnologen, dass es lediglich noch rund 500 Nukak gibt. Obwohl es im Gebiet der Nukak zwei Schutzgebiete gibt, steht der Schutz des Stammes nur auf dem Papier: Die Provinz Guaviare ist eine der am meisten vom kolumbianischen Bürgerkrieg betroffenen Gebiete – immer wieder kommt es zu Zusammenstößen zwischen den linksgerichteten Guerilleros der „Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia“ (FARC), Paramilitärs der „Autodefensas Unidas de Colombia“ (AUC) und der kolumbianischen Armee. Hintergrund ist Kokain: Das Gebiet der Provinz Guaviare ist eine der wichtigen Anbaugebiete von Coca. 2006 flüchteten mehrere Nukak-Gruppen vor dem Konflikt in die Provinzhauptstadt San José del Guaviare.
Folge
Die kolumbianische Regierung hatte im Sommer 2006 versucht, die geflüchteten Nukak wieder im Regenwald anzusiedeln. Dem gewählten Gebiet, so stellte sich allerdings heraus, fehlte es Ressourcen. Nachdem die Nukak wiederum Drohungen der FARC erhielten, flüchteten die umgesiedelten Nukak erneut nach San José del Guaviare. Kurz darauf beging einer der Anführer der Nukak Selbstmord.
Die Stämme von Papua
In ihrer tradiotionellen Tracht singen Männer aus Papua während eines Gottesdienstes.
Foto: Reuters
Ort:
Papua-Insel (Staatsgebiet Indonesien und Papua Neu Guinea)
Geschichte:
Die Insel Papua, nördlich von Australien gelegen, ist wie ein Biotop der menschlichen Sprache – gut 15 Prozent der auf der Welt bekannten Sprachen und Dialekte stammen von dieser Insel, obwohl nur 0,1 Prozent der weltweiten Bevölkerung hier leben. Es wird davon ausgegangen, dass es auf Papua die größte Anzahl an noch unentdeckten Ethnien außerhalb Brasiliens gibt. Offiziell spricht man von 312 Stämmen auf Papua. Die Insel ist geteilt: Der Westteil gehört zu Indonesien, das die Inselhälfte 1963 besetzt hatte, der östliche Teil zählt zu Papua Neu Guinea. Die Situation der eingeborenen Stämmen wie der Asmat, Lani oder Moni im Westteil hat sich infolge der indonesischen Besetzung stark verschlechtert. Die indonesische Armee bekämpfte dabei eine 1964 gegründete Separatisten-Organisation, die „Organisesi Papua Merdeka“ (OPM), die für die Loslösung West-Papuas von Indonesien eintritt, infolge kommt es immer wieder zu Zusammenstößen zwischen indonesischen Soldaten und Eingeborenen.
Folge
Anfang 2007 flüchteten schätzungsweise 5000 Mitglieder papuaischer Stämme aus der Region Punkak Jaya, nachdem die indonesische Armee dort ihre Präsenz verstärkt hatte. Zuvor hatten Eingeborenen-Hilfsorganisationen Nachricht über verstärkte Verfolgung in West-Papua erhalten: Ein Eingeborener soll nach diesen Berichten zu Tode gefoltert worden sein, eine Eingeborene vergewaltigt und anschließend getötet worden sein.