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Vertrauen in der Fremde des Internet

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Dieser Text beginnt mit einer Lüge. Dieser Text beginnt mit dem Satz: "Ich kenne Nico Schipper nicht." Wir sind uns noch nie begegnet. Und doch ist der Satz eine Lüge, denn seit Jahren lese ich Nico Schippers Weblog "Nicorola". Es handelt von Musik und war für mein Leben selber eine Art Musik. Es lief meist nebenher, manchmal lauter, manchmal leiser. Ich klickte auf seine Empfehlungen, folgte seinen Hinweisen und hörte Songs, die er vorschlug.



Wie selbstverständlich die Blogposts von Nicorola zu meiner Online-Lektüre gehörten, wurde mir klar, als Nico unlängst das Ende von Nicorola verkündete. Er habe keine Lust mehr, sein Hobby zum Nebenberuf zu machen, schrieb er und kündigte an, künftig nur noch musikalische Empfehlungen auf Mixahula zu verbreiten. Während ich das las, stellte ich fest, dass ich keine Ahnung davon habe, was eigentlich Nicos Hauptberuf ist (und dass es eigentlich auch gar nicht wichtig ist). So wenig kenne ich ihn - und doch las ich den Blogeintrag mit Bedauern. Die Musik wird nicht verstummen, aber mein RSS-Reader wird an dieser Stelle ärmer.

Bis hierhin handelt es sich um eine private Beobachtung meines Netz-Lesens und -Hörens. Doch als ich dann heute früh las, dass auch Patrick Gensing das Bloggen einstellt, wurde aus der Beobachtung ein Gesprächsthema: Wir sprachen in der Redaktion darüber, wie Blogs einem ans Herz wachsen können. Wie man eine Beziehung zu den Schreiberinnen und Schreibern aufbaut, die intensiv und vertraut ist, obwohl man womöglich nicht mal weiß, wie der Autor aussieht. Wie sprachen über das Vertrauen in der Fremde des Netzes, das entsteht, wenn man mitliest, was jemand schreibt (so wie es sehr häufig auch im jetzt-Kosmos nachzuerleben ist).

Das NPD-Blog ist ebenso wie Nicorola nicht völlig am Ende. Patrick Gensing bloggt unter Publikative weiter, Nico Schipper macht bei Mixahula weiter Musik - ihre Leserinnen und Leser freuen sich darüber. Und allen anderen ist das vielleicht ein schöner Beweis dafür, dass die Rede von den angeblich unechten Freundschaften im Internet und von der nur virtuellen Nähe im Netz eine falsche ist. Gerade weil man sich im Internet nicht mit vollem Namen kennt, gerade weil es hier nicht darauf ankommt, was man trägt oder wie man aussieht, entstehen im digitalen Raum Verbindungen, die auf ihre Art bedeutsam und wertvoll sind. Im jetzt-Kosmos kann man das jeden Tag erfahren.

Wenn die Abschieds-Meldungen der vergangenen Tage daran erinnern, haben sie auch was Gutes gehabt.

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