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Verbrecher um die Ecke

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Versuchter Handtaschenraub, Am Hart. Schüler wird auf dem Weg zu Schule angefahren, Pkw-Fahrer flüchtet, Steinhausen. Einbruch in Einfamilienhaus, Waldperlach. Pkw-Fahrer kollidiert mit Linienbus, Moosach. Falsche Wahrsagerin festgenommen, Marienplatz. Betrunkener Lette sprüht Hakenkreuze an die Feldherrnhalle, Odeonsplatz.

Diese Schlagzeilen stammen aus Pressemeldungen des Münchner Polizeipräsidiums und haben sich in den letzten Wochen in der Landshauptstadt und Umgebung ereignet. Die Meldungen der deutschen Polizeistationen sind für jeden frei zugänglich und über die Homepage der zuständigen Polizeidienststelle abrufbar. Das hat sich der 32-jährige Berliner Informatiker Tarik Tokic zu Nutze gemacht und eine App namens „Verbrechen“ für das iPhone entwickelt. Gibt man München als seinen Wohnort an, zeigt die Smartphone-Anwendung auf einem Stadtplan, wo sich in der Stadt Vorfälle ereignet haben. Kleine rote Punkte markieren die Orte des Geschehens. Von weitem betrachtet, ist die angeblich so sichere Stadt München ein einziger knallroter Verbrechens-Brennpunkt. Man traut sich kaum, etwas genauer in das Tatort-Meer hineinzuzoomen.


Der Berliner Informatiker Tarik Tokic ist überzeugt von seiner App und überprüft auch seinen eigenen Wohnort regelmäßig.

Mit einem Klick auf einen rot markierten Punkt erfährt man mehr über die Art des Verbrechens und wird auf die Seite der jeweiligen Polizeipressestelle weitergeleitet. Die anfangs aufgekommene Befürchtung, in einer Stadt voller blutroter Tatorte zu wohnen, zerschlägt sich schnell, wenn man auf diese Weise erfährt, dass sich hinter einem rot markierten Punkt in der Hohenzollernstraße die „Beschädigung eines Werbebanners der Olympiabewerbungsgesellschaft“ verbirgt. Der rote Punkt mitten im Universitätsgebäude zeigt bei genauere Betrachtung an, dass hier eine Trickbetrügerin vergeblich ihr Unwesen getrieben hat. Im Kopierraum der Uni versuchte die Frau, Studentinnen in ein Gespräch über die ihr angeblich drohende Abschiebung zu verwickeln, um sie anschließend nach Geld zu fragen.   

„Unsere Quellen sind einzig die Polizeiberichte, weil wir objektiv bleiben wollen“, erklärt App-Erfinder Tokic. „Die Dienstleistung besteht darin, dass wir die vorhandenen Daten, die jeder einsehen kann, in eine andere Darstellungsform überführen.“ Auf die Idee für die Verbrechensapp hat Tokic im vergangenen Herbst ein Bekannter gebracht. „Der Großteil der Arbeit bestand darin, einen intelligenten Algorithmus zu schaffen, der alle Pressemitteilungen liest, um Art und Ort der Verbrechen zu erkennen“, sagt der Informatiker. „Diese künstliche Intelligenz lernt selbstständig und wir justieren immer wieder nach.“ Im Januar 2011 brachte Tokic die App für iPhone, iPod und iPad auf den Markt.   

Allerdings deckt die Anwendung neben Bayern bisher nur neun Bundesländer ab. Außerdem gibt es auch keinen Filter, der es ermöglicht, ausschließlich die Meldungen eines bestimmten Zeitraums anzusehen. Darüber und über den zu hohen Preis rund 1,60 Euro haben sich viele Nutzer bei Tokic beschwert – mit Erfolg. Im März soll die zweite Version der „Verbrechens-App“ kommen und zwar mit Zeitfilter. Und seit vergangener Woche kostet die App nur noch die Hälfte. „Anscheinend war der ursprüngliche Preis eine große Schwelle“, wundert sich Tokic. Trotzdem ist er sehr zufrieden, weil die App von den Leuten gut angenommen wird. Wie oft sie bisher heruntergeladen wurde, möchte der Unternehmer zwar nicht sagen, bestätigt aber, dass es bisher mehr als 10.000 Downloads waren.   


Rote Punkte markieren auf dem digitalen Stadtplan von München die Orte, an denen Verbrechen begangen wurden.

Die App ist damit durchaus erfolgreich. Trotzdem stellt sich die Frage: Warum eigentlich? Möchte man wirklich wissen, dass an dieser einen Unterführung - ganz in der Nähe des eigenen Arbeitsplatzes im Münchner Osten -  vor Kurzem eine 15-jährige Schülerin sexuell belästigt wurde? Und dass man mit seiner Wohnung in der Goethestraße von drei roten Punkten umzingelt ist, die Wohnungs- und Büroeinbrüche anzeigen. „Die Vorfälle sind nicht aus der Luft gegriffen“, sagt Tokic. „Es ist gut möglich, dass es in der eigenen Gegend so aussieht. Aber das hätte man auch aus der Zeitung erfahren können oder wenn man selbst die Polizeimeldungen durchliest. Die App bringt es nur in eine anschauliche Darstellungsform.“’   

Wolfgang Wenger, Pressesprecher des Münchner Polizeipräsidiums, ist dagegen nicht begeistert von der Anwendung: „Das Problem ist, dass es sich um eine Privatperson, nicht um eine öffentliche Stelle handelt. Es gibt keine Garantie dafür, dass alles eingestellt wird“, sagt Wenger. „Es kann auch sein, das private Interessen dahinter stecken. Jemand, der eine Wohnung in einem Stadtteil zu verkaufen hat, ist sicher interessiert daran, dass dort wenige und in anderen Bezirken dafür mehr Verbrechen angezeigt werden. Ich möchte dem Erfinder nichts unterstellen, aber sicher wissen kann man es eben nie.“   

Genau gegenteilig argumentiert Tokic – die App bringe maximale Transparenz und es sei sogar eine Art von Lokaljournalismus. „Die Leute wollen wissen, was in ihrer Gegend passiert. Aus dem selben Grund lesen sie auch die Meldungen über Verbrechen in der Zeitung.“ Diese Meinung teilte der Verein für Opferhilfe, dem Tokic eigentlich den Gewinn aus dem Verkauf der App spenden wollte, allerdings nicht. „Der Verein hat gesagt, er will mit uns nichts zu tun haben. Das liegt wohl am Namen der Anwendung. Jetzt werden wir anonym an andere Organisationen spenden“, kündigt Tokic an.   

Auch im Bezug auf den Datenschutz sieht der Unternehmer keine Probleme: „Unsere Informationen stammen von der Polizei, die hohe Daten- und Personenschutzrichtlinien einhält. Die Daten sind nicht personifizierbar und nur grob lokalisierbar.“ Dass die Anwendung die Angst der Menschen, Opfer eines Verbrechens zu werden, schüren könnte, glaubt Tokic nicht. „Die Menschen wohnen in der Regel seit Jahren dort und können einschätzen, wie sicher die Gegend ist.“   

Wolfgang Wenger widerspricht, die App greife in das subjektive Sicherheitsgefühl des Bürgers ein. „Wer einen Überblick über die Lage gibt, sollte Profi sein. Alles andere führt nur zu einer Verunsicherung der Bürger“, sagt der Pressesprecher des Münchner Polizeipräsidiums.   

Der Berliner Informatiker kann sich dagegen nicht vorstellen, dass die Leute sich derart verunsichern lassen, dass sie zum Beispiel nicht an einen bestimmten Ort ziehen, weil die App dort zu viele Verbrechen anzeigt. „Ich würde die Entscheidung, wohin ich ziehe, niemals auf nur einen Fakt bauen, sondern Nachbarn oder Freunde, die dort wohnen, fragen.“ Tokic sieht viel mehr einen großen Vorteil in dem Wissen, was in der eigenen Wohngegend geschieht. „Bei mir in der Gegend wurde in letzter Zeit mehrfach in Fahrradkeller eingebrochen, obwohl es teilweise durch drei verschlossene Türen ging. Ich würde niemals auf die Idee kommen, wegzuziehen, aber dadurch weiß ich, dass ich mein neues Fahrrad lieber nicht in den Keller stelle.“

Text: stefanie-heiss - Bilder: privat

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