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Vater aller Bärte

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Folgendes Szenario: Ein Flugzeugabsturz, du bist gestrandet auf einer Insel. Die Sonne brennt, das Flugzeug ebenso. Du rennst in den Palmenwald hinein, verbringst ein paar Tage hilflos und dehydriert zwischen Affen und Kokosnüssen, völlig allein, hast eine Schnittwunde und viele Mückenstiche. Kurz: Die Lage ist beschissen. Und dann plötzlich, hinter dem Farn eine Gestalt: Oben ohne nähert sich ein Mann mit Vollbart, über seiner verwaschenen Jeans schwabbelt das Gegenteil von Muskelmasse. Er hebt die puddinghaften Arme zum Gruß.

Wir befinden uns scheinbar in einer modernen Frauenfantasie. Statt des gestählten Tarzans ist deren Hauptfigur momentan eher sein gezähmter Vater. Gerade bekannte sich eine Gruppe von Collegestudentinnen medienwirksam zu ihrer Präferenz der Körperform dad bod (also dad body), die sich durch einen leichten Bierbauch und allgemeine Bindegewebsschwäche auszeichnet – und bestätigten damit den Trend zur Väterlichkeit.   

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Der Vater aller Bärte: Der dad beard.

Die lässt sich, wie wir seit längerem wissen, auch an der Gesichtsbehaarung ablesen. Völlig logisch also, dass der dad bod nun auch Unterstützung vom dad beard bekommt: Ein buschiger Bart, mit dem Vati Pfeife rauchend in der Ecke sitzen könnte, findet man jetzt auch an jungen Nicht-Vätern richtig gut. Der Unterschied: Er gehört nun nicht mehr dem Hipster, sondern wächst unbeirrt an jedem Kinn. 

Den Bart, das Heiligtum des großstädtischen Fixiefahrers, hat sich der Vater also auch zurückerobert. Unbeirrt vom Lumbersexual (Mann mit Bart und Holzfällerhemd, der neben dem Smartphone auch eine Axt bedienen kann) hat er sämtliche Kopieversuche einfach ausgesessen. Die Bübchen haben ihren Spaß gehabt, jetzt ist Vati zurück. Recht hat er: Eigentlich ist der Bart Vatereigentum. 

Einen Typen, auf dessen Prioritätenliste das Six-Pack ein paar Plätze nach unten gewandert ist, findet man zu Recht sympathisch.


Warum aber finden Frauen das gut? Driften wir damit nicht heftig in Richtung Elektra-Komplex? Ein Typ mit dad bod, mit dad beard, in dad jeans. Sein Humor? Vermutlich ziemlich dadcore. Wieweit man sich bei der Partnerwahl an griechischer Mythologie orientiert, sei mal dahingestellt. Fakt ist, dass der Dad-Trend etwas verkörpert, das nicht nur Frauen anziehend, sondern auch Männer erstrebenswert zu finden scheinen.

Warum das attraktiv ist, könnte man so erklären: Der Dad verkörpert eine unverfälschte Lässigkeit, die sich andere künstlich antrainieren. Er entspricht dem Gegenteil eines gut besockten Calvin-Klein Models und enttarnt auch den Lumbersexual als bärtige Variante des gleichen Typen: unecht und poserhaft. Der angestrengten Coolness hält der Dad ganz entspannt seine Wampe entgegen und kratzt sich unbeeindruckt am Bart. Denn während bei jenen genormtes Männermodell A gegen genormtes Männermodell B ausgetauscht wird, ist er doch eigentlich das Modell mit Ewigkeitsgarantie: ein entspannter Mann.

Einen Typen, auf dessen Prioritätenliste das Six-Pack angesichts der Anforderungen des Lebens ein paar Plätze nach unten gewandert ist, findet man zu Recht sympathisch. Sexy sei der dad bod, bestätigen auch die Bierbauchbefürworter, weil man solchen Männern anstatt ihrer übertrainierten Kollegen eine gewisse Gemütlichkeit, Lebensfreude und eben Coolness ansehe. Und genau so cool ließ der Dad auch all die Ronaldos, Tarzans und Calvin Klein Models voruberziehen. Insofern ist es dem Dad zu gönnen, dass er den Bart zumindest begrifflich dem Hipstergesicht abgerungen hat.  

Vielleicht ist der Dad-Trend also gerade so erfolgreich, weil es sich dabei nicht nur um einen weiteren Millenial-Anglizismus handelt, sondern um ein Lebensgefühl, von dem jeder lernen kann. Ein bisschen Kontrolle an den inneren Schweinehund abgeben und sich den schönen Seiten des Lebens widmen: Klingt doch ziemlich gut. Während Tarzan also muskelzuckend von der Liane baumelt, sitzen wir in unserer Fantasie vielleicht lieber mit dem Muskellosen am Feuer und unterhalten uns über Tiefkühlpizza. Und das ist doch eine Entwicklung, die sehr zu begrüßen ist.

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