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Unsere goldenen Zwanziger
Angestrichen:
"In the pilot of Girls, Lena Dunham's Hannah Horvath delivers one of the 2012 fall TV season's immortal lines. She can't hang out with her parents, she explains exasperatedly, because 'I have work, and then I have a dinner thing, and then I am busy – trying to become who I am.' Memory research supports this notion that our twentysomething years are gardens of self-creation (or ramen noodle cups full of self-creation, if we're honest). No wonder the decade is so, well, memorable."
Wo steht das?
In dem Artikel „The Mysteriously Memorable 20s" der Autorin Katy Waldman, der vergangenen Freitag im Online-Magazin „Slate" erschienen ist.
Und was lernen wir daraus?
Katy Waldmans Text geht der Frage nach, warum sich Menschen ausgerechnet an ihr drittes Lebensjahrzehnt besonders gut erinnern können. Denn Studien belegen: Wir erinnern uns an extrem viele Ereignisse aus dem Alter zwischen 20 und 30, also aus unserer späten Adoleszenz bzw. unserem frühen Erwachsenenalter. Die Wissenschaftler nennen das den „reminiscence bump", was man in etwa mit „Erinnerungshöcker" übersetzen kann. Einen schönen Namen haben sie also schon mal gefunden, aber über die Ursachen für diesen ominösen Höcker sind sie sich noch nicht ganz einig. Wohl auch, weil man immer noch nicht so genau weiß, wie Erinnerung überhaupt entsteht und funktioniert. Dafür gibt es zwei verschiedene grundlegende Annahmen: Die eine Partei glaubt, dass es sich dabei um einen mechanischen, physischen Vorgang handelt, den wir nicht beeinflussen können. Die andere nimmt an, dass Erinnerungen mit einer Motivation zusammenhängen, dass wir uns Dinge und Ereignisse merken, die uns helfen zu verstehen, wer wir sind. Das nennt man die „narrative perspective".
Was auch immer im Album klebt - das Fotoalbum in unserem Kopf jedenfalls versammelt besonders viele Abbildungen aus unseren Zwanzigern.
Die Mechaniker unter den Erinnerungsforschern haben recht einfache Erklärungen für den Erinnerungshöcker. Eine lautet, dass unser Geist in jungen Jahren nun mal am agilsten ist und darum besonders viel aufsaugen und speichern kann. Eine andere, dass unsere Erinnerung vor allem „erste Male" speichert, von denen es in den Zwanzigern oft überdurchschnittlich viele gibt: der erste Job, die erste eigene Wohnung, das erste Kind, die erste lange Beziehung. Joshua Foer, Autor des Bestsellers „Moonwalking With Einstein: The Art and Science of Remembering Everything", in dem er seinen Weg vom vergesslichen Mann zum Sieger der nationalen Gedächtnismeisterschaften beschreibt, bestätigt das: Die Jahre zwischen 20 und 30 sind im Schnitt die abwechslungsreichsten und aufregendsten unseres Lebens. "You're going to remember your trip hiking across Peru more than the year you spent sitting in your office doing the same job you'd been doing for the past five years", sagt Foer.
So weit, so erwartbar. Doch dann wird es spannend. Denn die Forscher, die die „narrative perspective" als Grundlage der Erinnerungsergründung verstehen, haben herausgefunden, dass die Zwanziger von den meisten Menschen ihr Leben lang bevorzugt werden – und zwar nicht nur im Rückblick auf die schöne Jugend, sondern sogar schon im Voraus. Für eine Studie wurden Schüler zwischen 10 und 14 gebeten, sich ihr zukünftiges Leben vorzustellen. Die meisten erträumten schöne Momente, die sie in ihren Zwanzigern erleben würden. Wir erwarten also einiges von dieser Zeit und unsere Motivation, uns später an sie zu erinnern, ist entsprechend hoch.
Weil die "Narratologen" davon ausgehen, dass wir uns das merken, was uns hilft zu verstehen, wer wir sind, haben sie dazu ebenfalls ein Experiment durchgeführt: Die Teilnehmer, allesamt schon etwas betagter, mussten 20 „Ich bin"-Statements abgeben, die sie beschreiben, daraus drei auswählen und zehn Erinnerungen nennen, die relevant für diese Einschätzungen waren, plus ihr damaliges Alter. Das Ergebnis: Die Mehrheit datierte Erinnerungen, die zu ihren „Ich bin"-Einschätzungen führte, in das Alter zwischen 20 und 30. Das genau errechnete Durchschnittsalter der Entfaltung des Ichs liegt laut dieser Studie bei 22,9 Jahren. Die vielen Erinnerungen aus unseren Zwanzigern rühren also vielleicht einfach daher, dass wir in dieser Zeit besonders viel erleben, das uns den Rest unserer Daseins auf Erden ausmachen wird. Und weil es der Studien noch nicht genug sind, zitiert die Autorin den Erinnerungsexperten Joshua Foer mit einer weiteren, die die Bedeutung der Zwanziger belegt: Die meisten Filmadaptionen und Remakes werden etwa 20 Jahre nach dem Erscheinen der Vorlage oder des Originals produziert. Denn es ist stets die Generation der Um-die-40-Jährigen, die die Filmlandschaft am eifrigsten bepflanzt, und auch diese Menschen erinnern sich besonders gut an ihre jungen Erwachsenenjahre und an die Bücher und Filme, die sie damals geprägt haben. „So look out for a new Teenage Mutant Ninja Turtles film any day now", sagt Foer.
All diese Erklärungen, sowohl die mechanischen als auch die narratologischen, sind plausibel. Aber wenn man Waldmans Text liest, während man selbst ein „Twentysomething" ist, gefällt einem die narratologische Sichtweise natürlich am besten. Denn sie gibt den Zwanzigern einen besonderen Glanz. Sie behauptet, dass wir gerade die Personen werden, die wir den Rest unseres Lebens sein werden, dass wir noch formen und ausprobieren und wild sein können und dürfen. Und auch, wenn irgendjemand das für keine besonders schöne Erkenntnis halten sollte, steckt für ihn oder sie in diesem Text trotzdem eine hübsche Information. Nämlich die, dass es einen ganz fabelhaften englischen Ausdruck für die „unschuldigen Jugendjahre" gibt: salad days.
Text: nadja-schlueter - Foto: bonk! / photocase.com