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Ungesignt und trotzdem dicke Hose: Sue, ein Popmärchen
Die Sonne steht schon etwas tiefer an diesem Spätsommerabend am kleinen ostfriesischen Nordseehafen Bensersiel. Familien packen am Strand ihre Habseligkeiten ein, Rentner stehen Schlange am Imbisswagen für ein Krabbenbrötchen. In einer halben Stunde wird hier Ruhe einkehren, die Tagesausflügler auf dem Weg nach Hause und die wenigen Touristen im einzigen Hotel am Platz eingekehrt sein. Nur am Kai vor der Fähre „Langeoog 1" ist Hochbetrieb. Junge Männer schleppen Plattenspieler, Schlagzeug und Gitarrenkoffer an Bord. Die zwei Frauen an der Bar haben schon ordentlich zu tun. Das Deck ist voller Leute und die wollen Bier oder Korn oder beides und manchmal auch ihren Begrüßungssekt. So sieht Pop in Ostfriesland aus. Die Band Sue hat zum großen Off-Shore-Konzert gerufen und alle sind gekommen. Zwei große Reisebusse stehen auf den Uferparkplatz. Die sind eigens aus Aurich angerollt. Als die Besatzung eigentlich schon die Gangway einziehen will, kommen noch ein paar herausgeputzte Frauen mit ihren Typen angerannt und wanken aufs Schiff, Espresso-Becherchen und Fischbrötchen in der Hand. Das sind die Hamburger Fans.
Pop auf'm Kutter: Sue beim erfolgreichen Off-Shore-Konzert Was hier stattfindet, ist ein kleines Phänomen – und möglicherweise der Beginn einer großen Erfolgsgeschichte. Als Sänger Skip Danko seinen Bandkollegen ein paar Wochen zuvor erzählte, dass er eine Fähre für ein Konzert gechartert habe, erklärten sie ihn noch für komplett verrückt. Nun ist der Kahn gerappelt voll. In wenigen Tagen waren die Tickets ausverkauft, allein über Sues Myspace-Seite und die lokale Konzertkasse in Aurich. „Und das beste ist, dass wir die alle gar nicht kannten, die waren tatsächlich wegen der Musik da“, sagt Milan-East, Bassist, DJ und Produzent der Band, der als einziger nicht in Aurich, sondern in Hamburg lebt. Vielleicht sind sie auch alle da, weil sie Norddeutsche sind und Norddeutsche gern zur See fahren und dabei ihr Bier trinken. Aber als die Langeoog 1 in den Sonnenuntergang fährt und Sue die Hymne „This is“ anstimmt, da wird klar, dass der Andrang auch an der Musik liegen muss. Und man denkt, dass dies hier zwar viel schöner ist und Skip Dankos hochkehliger Gesang unheimlich gut passt zu dem blauen Himmel und dem plätschernden Wasser, aber dass die Truppe hier mit diesem Lied auch in großen Hallen und auf Festivals spielen könnte. Sue besteht neben Skip Danko und Milan-East aus Enno Lengert (Gitarre und Kontrabass) und Thilko Rassau (Gitarre). 2002 gründete sich die Band in Aurich. "Fans begeistern" schrieben sich die Musiker als oberstes Ziel selbst ins Stammbuch, und dabei möglichst unkommerziell bleiben. Auch „für den eigenen inneren Flash spektakulär“ bleiben wollten sie. Milan-East stieß erst 2004 aus Hamburg zur Band und zwirbelt seitdem hier und da ein paar vorsichtig knarzende Electro-Sounds in die sehr ruhigen, melodischen Pop-Stücke. Nun wartet Sue mit dem nächsten Knaller auf: An diesem Wochende geht es auf Tournee, diesmal nicht ins ostfriesische Umland, sondern nach Paris und Amsterdam. Locations für ihre Konzerte hatte die Band bis kurz vor Abfahrt zwar nicht, dafür war aber der große Tourbus schon Monate zuvor gechartert und – mittlerweile ist das schon Standard – alle VIP-Tickets für mitreisende Fans restlos ausverkauft. „Ungesignte Band geht mit Rockstar-Nightliner auf Tour“, tönten Sue großspurig auf Myspace. „Zur Not hätten wir einfach auf einem Parkplatz oder in einem Wohnzimmer gespielt“, sagt Skip Danko. Erst zu Beginn dieser Woche meldeten sich stolze Fans aus Frankreich und Holland und berichteten, sie hätten für diese norddeutsche Band, deren Mitglieder sie nie zuvor getroffen haben, Konzerthallen aufgetan. Auf einmal war eine ganze Reihe Pariser Clubs interessiert. Nur war der Termin zu kurzfristig, als sie davon hörten. Wenn alles gut geht, steht Sue also schon im Sommer wieder auf Pariser Bühnen, diesmal zu einer ganzen Konzertwoche. Dass eine junge Band heute keinen Major-Deal bei einem Plattenlabel mehr braucht, um ihre Musik unters Volk zu bringen, weiß man spätestens, seitdem die Arctic Monkeys aus Sheffield im Herbst 2005 dank ihrer Myspace-Fans mit ihrer ersten Single auf Platz 1 der britischen Charts schossen. Aber auch die Arctic Monkeys, so munkelt man, schafften den Sprung nicht ohne ein „Street Team“ aus Hardcore-Fans, die die Band in Blogs und Internet-Foren nach oben schrieben und vielleicht hier und da auch mal mehr als eine CD kauften. Auch für Sue ist klar, dass ein netter Auftritt bei Myspace heute nicht mehr ausreicht für den großen Durchbruch. Daher die etwas waghalsigen Konzertideen. Bisher schaffte die Gruppe ein Spagat, wie es nur im Internetzeitalter entstehen kann: Zu Hause in Aurich sind sie längst eine große Nummer, der die Bude eingerannt wird, wenn sie auftreten – gerade wenn zu ausgefallenen Konzerten geladen wird. Und international gewinnen sie immer Fans über den Online-Auftritt für sich. Bisher können sie noch jede E-Mail und jeden Liebesgruß auf Myspace persönlich beantworten.
Wieder auf dem Festland Bunt gemischt wie die Fangemeinde sind auch die Sponsoren der Mini-Tournee. Ein Juwelier aus Aurich ist dabei, die Kneipe um die Ecke, aber auch das Männermagazin „Penthouse“. Alle gaben ein paar Hundert Euro, um die Tour zu ermöglichen. Die erste Veröffentlichung hatte Sue auf der „Inter Deutschland“-CD der taz im April 2006, einem Sampler, auf dem Künstler wie Denyo, Rocko Schamoni und Studio Braun „Neue Hymnen und Songs zur WM 2006" anstimmten. Kurz danach lud Radio Fritz nach Potsdam zur Live-Radio-Show. Aus Hamburg meldet sich der Electro-DJ Pelle Buys, der gerne einen Remix von „This is“ machen möchte. Bei Auftritten in kleinen Clubs in der Hansestadt und in Berlin tummelte sich die lokale Popszene. Keiner bei Sue ist neu im Musikgeschäft. Skip Danko und Milan-East etwa mischten schon im Bandprojekt Turtle Bay Country Club von Matthias Arfmann mit, der lange die Hamburger HipHop-Combo Beginner produzierte. Wenn Milan nicht gerade mit Sue im Proberaum steht, bastelt er Remixe für Leute wie Jan Delay, Kid Alex, No Angels und Herbert Grönemeyer. Im Sommer soll das erste Sue-Album „Home Philosophy“ auf den Markt kommen – selbst finanziert und in Eigenregie aufgenommen, falls sich bis dahin keine Plattenfirma mit verlockendem Deal gemeldet haben sollte. Und dann geht’s hoffentlich wieder auf Tournee, diesmal nach Istanbul und nach Tokio. Denn von dort kam die jüngste Fanmail auf Myspace.