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Und alle schauen zu: Das öffentliche Sterben des Pete Doherty

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Wer einmal auf einem seiner wenigen und vermutlich deshalb so legendären Konzerte war, kann danach immer viel erzählen. Sei es, dass Doherty völlig zugedröhnt auf der Bühne stand, oder das Konzert wegen seines Zustands nur einen Song lang dauerte, oder dass er erstaunlich gut war. Doherty fasziniert uns sehr, weil er nicht berechenbar ist. Uns fasziniert aber auch zu einem guten Teil, dass wir diesem Menschen beim Sterben zusehen. Das ist in der Popwelt nichts Neues. Neu ist nur die mediale Begleitung und Vermarktung des Verfalls eines Menschen. Zu einem vorläufigen Höhepunkt in diesem medialen Spiel kam es gestern, als die englische Boulevard-Zeitung The Sun auf ihrer Webseite einen Film veröffentlichte, in dem Doherty sich einen Schuss setzt. Als Pete Doherty Anfang Januar mit seiner Freundin Kate Moss in Thailand urlaubte, wurde er von weiblichen Fans aus Neuseeland erkannt und in ihr Hotelzimmer eingeladen. Dort haben sie dann – pflichtbewusste Citizen-Journalisten, die sie sind – gleich eine Kamera aufgestellt und Doherty dabei gefilmt, wie er sich mindestens drei Mal Kokain injizierte und währenddessen mit seiner besorgten Freundin telefonierte. Schließlich erzählte er den Mädchen noch, dass er Moss nie heiraten würde, weil sie viel zu paranoid sei. Um dann, nach einigen Stunden von den mittlerweile doch nervösen jungen Damen aus dem Raum herauskomplimentiert zu werden. Die hatten es nämlich angesichts des laxen Umgang Dohertys mit dem Rauschgift dann doch mit der Angst bekommen und wollten ihn und seinen Stoff lieber loswerden. Doherty wusste nicht, wo sein Hotel war und die Fans mussten Moss anrufen, damit die den Orientierungslosen abholen konnte. Die Mädchen haben ihre Urlaubserlebnisse samt den Filmaufnahmen verkauft. Die Sun ist nun im Besitz des Films und hat ihn auf ihrer Webseite mit der waghalsigen Begründung veröffentlicht, damit zur Abschreckung gegen Drogenkonsum beitragen zu wollen. Am Ende des Films wird auch tatsächlich eine Telefonnummer eingeblendet, die man anwählen kann, sollte man ähnliche Probleme wie Doherty haben, beziehungsweise nach dem Film plötzlich Lust auf intravenöse Spezereien bekommen. Diese Argumentation ist natürlich ganz schön gewagt. Denn der Film ist mit allergrößter Sicherheit ein granatenmäßiger Klick-Generator. Die Zeitung verdient Geld mit der Sucht und dem langsamen Sterben dieses Menschen. Und kein Leser wird sich den Film ansehen, um sich endgültig von seiner Lust auf Drogen heilen zu lassen, sondern wenn, dann aus Neugier. Sehr unwahrscheinlich auch, dass sich bei der Sun jemand für den Musiker Pete Doherty interessiert. Die mediale Aufmerksamkeit gilt schon sehr lange nicht mehr seiner Musik, sondern nur noch der Tatsache, dass hier jemand harte Drogen nimmt, sich dabei erwischen lässt und vor allem: dass er eine sehr viel berühmtere Freundin hat. Obwohl wir all das wissen, schauen wir trotzdem halb fasziniert, halb mitleidig zu. Und warten darauf, dass er sich demnächst den goldenen, den finalen Schuss setzt. Wann immer er wieder einen Entzugs-Versuch abbricht, wird davon berichtet. Nicht, weil hier jemand einen traurigen und anscheinend auch vergeblichen Kampf gegen seine Krankheit kämpft, sondern eher, weil man darauf wartet, dass er wieder völlig zugedröhnt ein neues Kapitel in der Seifenoper seines Lebens aufschlägt, das eigentlich das schreckliche und traurige Leben und Sterben eines Junkies ist. Doherty hat es uns selbstverständlich irgendwie auch leicht gemacht. Mitunter lag der Verdacht nahe, dass sich da jemand zu einem verstörten, zerstörten, höchst komplexen und gefährdeten Poeten stilisiert, der die Last der Welt nur mithilfe von Drogen auf seinen Schultern tragen kann. Doherty hat immer wieder im Beisein von Journalisten Drogen genommen, hat sich dabei auch fotografieren lassen und oft konnte man nicht mehr genau sagen, ob das jetzt Pose oder Ausdruck seiner Drogensucht war. Genauso wie beim Rolling Stone gibt es auch bei jetzt.de eine Doherty Watch, in der seine Drogen-Ausfälle, Patzer und Gerichtstermine dokumentiert wurden. Und jetzt stellt sich die Frage: Wenn wir nicht mehr über ihn berichten, ändert das etwas? Was, wenn wir weiter über ihn berichten? Ist Doherty mit seiner öffentlichen Sucht ein schlechtes Vorbild für die Jugend? Sollten wir aufhören, über ihn zu berichten? Was meinst du? Hier kannst du eine Chronik von Pete Dohertys öffentlichem Verfall lesen. Bild: rtr

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