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Überall und nirgendwo zu Hause: Organisationen wollen Straßenkindern gemeinsam helfen

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Alle Jugendlichen, deren Leben sich hauptsächlich auf der Straße abspielt, gelten als Straßenkinder. Den Bezug zu ihrer Familie haben sie verloren, Halt finden sie nur in ihrer Clique. Um ihnen zu helfen, hat sich das Kinderhilfswerk Terre des Hommes am Dienstag mit 25 weiteren Organisationen zum „Bündnis für Straßenkinder in Deutschland“ zusammengeschlossen. „Wir wollen das Klein-Klein auf einen Tisch zusammen bringen“, sagt Pressesprecher Athanasios Melissis. Bisher sei das Problem nur auf kommunaler Ebene behandelt worden, das „Bündnis für Straßenkinder in Deutschland“ aber sei das erste bundesweite Projekt. Den rein lokalen Zugang halte man deshalb für falsch, weil Straßenkinder selten in einer Stadt bleiben. Seit der letzten Erhebung im Jahr 2001 hat die Zahl der Straßenkinder nicht abgenommen - nach wie vor sind es laut Terre des Hommes 9000 Jugendliche. Die Dunkelziffer ist wohl um ein Vielfaches höher: In die Berechnung gingen nur diejenigen ein, die Leistungen der Hilfsorganisationen in Anspruch nahmen, wie zum Beispiel kostenloses Essen oder Notschlafstellen. Nicht alle sind obdachlos - ein Drittel dieser Jugendlichen übernachtet noch gelegentlich zu Hause. Sie gelten trotzdem als Straßenkinder, weil sie die meiste Zeit auf der Straße verbringen und dort sozialisiert werden. Der Anteil der Mädchen liegt bei etwa 35 Prozent.

Warm eingepackt sitzen 'Jan' (Name geändert) und ein Kumpel an einer Straße in der Nähe des Hamburger Hauptbahnhofs (Aufnahme von Februar 2008). Der 16-Jährige ist von zu Hause ausgerissen und lebt seit kurzem auf der Straße. Obwohl man in Deutschland mit 14 offiziell kein Kind mehr ist, zählt die Organisation alle Jugendlichen unter 25 Jahren zu Straßenkindern. „Nach dem deutschen Recht sind sie vielleicht mündig“, sagt Melissis, „sie müssen aber trotzdem mit den gleichen Problemen kämpfen.“ Oft haben sie haben keine Perspektiven, werden nicht akzeptiert und nehmen zudem Drogen. 80 Prozent haben ein ernsthaftes Suchtproblem, das unabhängig vom Alter zu beobachten sei. Die Hälfte der 9000 Straßenkinder ist volljährig. Etwa ein Drittel ist zwischen 16 und 18 Jahren alt, ein Fünftel ist unter 16. 2,5 Prozent sind nicht einmal 14 Jahre alt. Auf keinen Fall dürfe man sich an Entwicklungsländern orientieren, wenn man von deutschen Straßenkindern spreche, sagt Melissis. In Südamerika etwa treibe die Armut die Kinder auf die Straße. In manchen Fällen seien die Eltern tot, oft würden die Kinder auch ausgesetzt, weil sie nicht mehr ernährt werden könnten. In Deutschland entscheiden sich meistens die Jugendlichen selbst dafür, ihre Eltern zu verlassen. Armut spielt dabei selten eine Rolle - Vernachlässigung, Gewalt und emotionale Kälte sind die Hauptgründe. Manche Kinder reissen auch aus Neugier oder Abenteuerlust aus. „Das langfristige Ziel ist, die Jugendlichen wieder in die Gesellschaft einzugliedern“, sagt Melissis. „Vorerst muss das Angebot aber niederschwellig bleiben: Warmes Essen und ein Schlafplatz.“ Sonst schrecke man die Jugendlichen ab. Die Organisationen wollen wenigstens diese minimale Anforderung bundesweit erfüllen. „Vielleicht haben wir ja als Bündnis mehr Macht.“

Text: wlada-kolosowa - Foto: dpa

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