- • Startseite
- • Redaktionsblog
-
•
Über fünf Brücken musst du gehen - die Meilensteine einer Beziehung
Meilenstein I: Wenn man ein Paar wird
Drei Wochen lang hat man sich ganz schön oft gesehen, ist immer in mindestens zwei Kneipen gegangen, weil man nicht wollte, dass der Abend aufhört und dachte, dass man mit genau der richtigen Menge Alkohol im Blut irgendwann den Mut aufbringen könnte, den da neben sich zu küssen. Und dann hat man es endlich geschafft und sich geküsst. Und beim nächsten Mal wieder. Und wieder. Und dann ist man über Nacht bei ihm geblieben. Und dann kam er über Nacht und blieb auch noch die nächste Nacht da. Und dann nach drei Wochen ist man doch eigentlich zusammen, oder?! Es kommt auch vor, dass man ein Jahr lang nicht mit einem Jungen zusammen ist, den man mehrmals pro Woche trifft, küsst, gerne hat, streitet und mit ihm schläft. Und trotzdem ist man kein Paar. Damit einem so etwas nicht passiert (vorausgesetzt, dass man das nicht will), muss auch eine so offensichtliche und scheinbar überflüssige Entscheidung getroffen werden. Auch wenn es oft nur das eher peinliche Bestätigen eines sehr offensichtlichen Vorgangs ist. Das geht dann zum Beispiel in ironisch: Mädchen und Junge liegen nach vollbrachtem Sex erschöpft im Bett und einer sagt: „Willst du jetzt eigentlich mit mir gehen, oder mich nur sexuell ausnutzen?“ Es geht auch romantisch. Dazu muss einer tief Luft holen, all seinen Mut sammeln und sagen: „Ich finde dich toll, ich will immer mit dir zusammen sein.“ Oder es geht beiläufig, meist auch im Bett, wenn einer einfach fragt: „Wollen wir jetzt in echt zusammen sein, niemanden sonst treffen und auch in der Öffentlichkeit küssen?“ Wie geht es dann weiter? Möglichkeit A: Der, der gefragt wurde, kichert betreten, tätschelt dem anderen den Kopf und murmelt ihm ins Ohr, dass er das eigentlich auch schon vor vier Wochen hätte fragen wollen, es aber nicht gewagt hat. Nun aber sehr froh ist und ja, ja, JA!! Daraufhin gibt es Romantik, Erdbeeren und ein bisschen Schnaps. Möglichkeit B: Der, der gefragt wurde, findet die Konkretisierung eines schwebenden Zustandes nicht besonders verlockend. Vielleicht will er lieber weiter im Ungewissen sein, vielleicht findet er es besser, keine Verpflichtungen einzugehen. Auf jeden Fall findet er zusammenkommen keine gute Option. Wäre man klug, würde man ihn jetzt bitten, zu gehen und sich ein paar Nächte in den Schlaf weinen. Ist man aber meistens nicht. Sondern ein bisschen dumm und denkt, nicht mit dem zusammen zu sein und dabei zu knutschen, sei immer noch besser, als nicht mit ihm zusammen zu sein und ihn gar nicht mehr zu sehen. Bis man nach drei Monaten Herumgewürge merkt, dass einem das nur immer schlechtere Laune macht, man seit Wochen nicht mehr richtig froh war und endlich richtig Schluss macht.
Meilenstein II: Wenn man zusammenzieht
Früher oder später kommt sie, die Frage, die eine Beziehung grundlegend verändert. Nein, nicht: „Willst du mich heiraten?“, sondern: „Wollen wir zusammenziehen?“. Bis zu diesem Moment kann eine Beziehung nett, schön, euphorisch, harmonisch, vielleicht auch schwierig oder gar manchmal problematisch und noch vieles mehr gewesen sein, aber sie war bis zu einem gewissen Grad immer noch - unverbindlich. Man kann um halb sechs in der Früh betrunken nach Hause kommen, ohne leise sein und ohne etwas erklären zu müssen. Man muss sich nicht mit seinem Geliebten bzw. seiner Geliebten darüber streiten, wer am Morgen Milch holen gehen muss, wer das Altpapier runter trägt und wessen Wecker da immer so laut klingelt. Man kann sein Zimmer/Wohnung ohne Rücksicht auf den anderen einrichten und das essen, was man mag, auch wenn es drei Wochen lang das Gleiche ist. Man kann tagelang in verbeulten Jogginghosen auf der Couch rumgammeln, ohne Angst haben zu müssen, für den anderen nicht mehr attraktiv zu sein und man kann sich auch mal aus dem Weg gehen, wenn man will. Man ist zwar zusammen, aber die beiden „Ichs“ sind noch zu keinem „Wir“ verschmolzen, denn die schwierigste Beziehungshürde umschifft man bisher: den gemeinsamen Alltag. Wie geht es dann weiter? Möglichkeit A: Man entschließt sich, zusammen zu ziehen, merkt aber schon beim Wohnungssuchen, dass man unterschiedliche Vorstellungen hat. Welches Stadtviertel, Balkon - ja/nein, wie teuer, ein gemeinsames Schlafzimmer oder doch erst mal jeder sein eigenes? Noch schwieriger wird es bei der Einrichtung, weil sie auf keinen Fall bei IKEA einkaufen will und er keine 50er-Jahre-Nierentische haben will oder umgekehrt. Alles ist plötzlich merkwürdig zäh, jede noch so harmlose Frage wird als Überwachen und Einengen gedeutet und statt sich wie früher zu treffen und gemeinsam auszugehen, geht jetzt jeder getrennt weg. Die gemeinsamen Abende verbringt man vor der Glotze. Und irgendwann stellt man fest: obwohl man zusammenwohnt, hat man sich auseinander gelebt. Möglichkeit B: Alle Zweifel, die man anfangs vielleicht noch hatte, zerstreuen sich genau in dem Moment, in dem man die gemeinsame Wohnung bezieht. Natürlich nervt es manchmal, wenn plötzlich auch andere stinkige Socken im Schlafzimmer liegen als die eigenen, wenn der eine schon beim Frühstückskaffee Witzchen erzählt, während der andere nur in Ruhe in die Zeitung schauen will oder wenn einer von beiden als Bierfass nach Hause kommt. Aber auch wenn man sich ärgert, weiß man, ohne den anderen wäre der Alltag nur halb so lustig und nur halb so schön, denn wir gehören zusammen.
Meilenstein III: Der erste große Streit
Bisher hatte man sich doch immer noch mal geküsst, vor dem Schlafengehen, oder zumindest schon wieder gelächelt, beim Schimpfen oder wenigstens schwach „Gute Nacht“ geantwortet. Aber diesmal ist alles anders: der Streit war hart und kalt, nicht hysterisch und warm. Man hat sich gegenseitig Sachen gesagt, die so keinesfalls stehen bleiben können, die auch nicht morgen früh schon wieder vergessen sind. Man hat verallgemeinert, altes Zeug noch mal ausgegraben und gleichzeitig düstere Zukunftsprognosen gemacht. Es ging ums Prinzip. Und zwar solange bis einer von zwei keine Worte mehr fand und die Tür hinter sich zuknallte. Man ist also zerstritten. Und noch viel schwerer als das Streitthema wiegt eigentlich dieser Umstand. Jetzt ist man also auch da angekommen, jetzt hat man den anderen ganz kurz mal richtig gehasst, jetzt ist es so weit, dass man in dieser schönen gemeinsamen Wohnung, in dieser schönen gemeinsamen Liebe schreit und haut und tritt. Und wie fremd der andere ist! Und wie klamm ums Herz herum ein Band aus Fragen liegt: War’s das jetzt schon? Hat sie das wirklich so gemeint? Soll ich nachgeben? Es ist still in der Wohnung. Eines weint sich in den Schlaf, das andere deckt sich mit düsterer Rechthaberei und verletztem Stolz zu. Am nächsten Morgen, das fühlen beide in sich nach, ist noch nichts wieder gut. Wie geht es dann weiter? Möglichkeit A:Ein zermürbender Schweigetag geht mit einer Annäherung zu Ende. Man ist so geschwächt, dass man wieder anfängt zu reden, und jedes Wort ist Balsam auf die gemeinsame Wunde. Der Motor läuft stotternd an, man entschuldigt sich, nimmt zurück, gelobt und beküsst. Zwei verschreckte Lieben trauen sich wieder heraus und wundern sich darüber, wie doof man war. Es ist genau wie nach einer Krankheit – man schätzt das Gesundsein wieder sehr und kümmert sich darum. Und hat vor allem erstmal starken Sex. Möglichkeit B:Es ist tatsächlich zerbrochen. Der Streit war ehrlicher als der Frieden. Man kittet, aber unmotiviert, man entschuldigt, aber halbherzig, man lacht, denkt aber ans Weinen. Es geht ein wenig weiter, dann kommt der nächste Streit. Und die Abstände werden kürzer, die Streits haben keine klaren Konturen mehr, sondern ziehen sich über Wochen und vor allem: sie sind nicht mehr nur rethorische Schlachten, sondern werden real. Sie bleibt tatsächlich einfach so über Nacht weg, er bucht die Reise für sich und den besten Kumpel. Man isst alleine, schläft alleine und ist demnächst tatsächlich: wieder alleine.
Meilenstein IV: Wenn die Luft ist raus
Feierabend, die letzten Stufen im Treppenhaus. Der Schritt verlangsamt sich, und sie ertappt sich dabei, zu wünschen, dass die Wohnungstür noch abgesperrt und er folglich noch nicht daheim ist. Aber es riecht schon nach der langweiligen Tomatensoße, die er jeden Donnerstag kocht. "Bin zuhause", die Tür fällt ins Schloss. Ein flüchtiger Routinekuss. "Wie war dein Tag?" "Ach, wie immer. Nichts besonderes." Schweigen. Post öffnen, E-Mails checken. Im Hintergrund läuft der Fernseher. "Ich hab schon gegessen, treff mich nachher noch mit den Jungs." "Hm. Viel Spaß, schöne Grüße." Sie weiß, sie wird fernsehen oder lesen, irgendwann schlafen gehen. Sie merkt, dass es ihr egal ist, wann er heimkommen wird. Seine gesamte Existenz ist für sie wie ein offenes Buch. Sie sind sich gegenseitig persönlicher Biograf und Analytiker geworden. Sie haben Extremsituationen durchlebt, Urlaube verbracht, Sternzeichen verglichen, den anderen gesundgepflegt, mit Schwiegereltern Fußballstadien besucht und Kirschkuchen gebacken, beste Freunde überzeugt und gegenseitig das eigene Kinderzimmer präsentiert. Ihre Beziehung erlebt die Inflation, den Wertverlust der Gefühle. Schlüssel klimpern - Erleichterung. "Ich geh dann los", sagt er. "Warte nicht auf mich." Sie fragt sich, was er heute anhat. "Du", ruft sie ihm nach. "Ich glaub, wenn du wieder da bist, müssen wir mal reden." Wie geht es dann weiter? Möglichkeit A: Sie finden aus der Sackgasse nicht mehr heraus. Klärende Gespräche werden zu Diskussionen, die ins Nichts führen. Jeder sucht die Schuld beim anderen und glaubt, dessen Reaktionen besser voraussehen zu können als er selbst. Die Beziehung ist beiden so egal geworden, dass keiner von beiden die Kraft aufbringt, eine neue Perspektive zu entwickeln. Es folgt die Trennung, die nicht mehr rückgängig zu machen ist, weil beide wissen, wie sehr sie sich voneinander entfremdet haben. Auch der freundschaftliche Kontakt bricht nach kurzer Zeit ab. Möglichkeit B: Beide legen die Karten auf den Tisch, und zwar alle. Sie gestehen sich, wie einsam sie sich fühlen, wenn sie mit dem anderen zusammen sind. Es müssen insgesamt drei neue Beziehungsperspektiven gefunden werden: Seine eigene, ihre eigene und die gemeinsame. Gewohnheiten müssen durchbrochen und Freiräume für jeden geschaffen werden. Wenn beide es schaffen, sich von einander zu entfernen, um sich neu zu begegnen, wird die Beziehung durch die Krise hinterher gefestigter sein als zuvor.
Meilenstein V: Wenn man sich trennt
Schlimm war es echt schon eine ganze Weile. Wenn man es sich genau überlegt, ist es schon verdammt lang her, dass es schön war. Man kann sich kaum mehr erinnern, warum man sein Leben, seine Intimsphäre, sein Badezimmer mit dem anderen einmal auf ewig teilen wollte. Stattdessen fallen einem täglich neue, wirklich unerträgliche Charakterzüge beim anderen auf, für die man in der blöden Anfangs-Verliebtheit offensichtlich keinerlei Auge gehabt hatte. Man hat es ja versucht: man hat sich miteinander ausgesprochen, man hat ihm zuliebe Gewohnheiten geändert, man hat sogar aufgehört, mit den Fingergelenken zu knacken, obwohl das doch so viel Spaß macht. Man hat ein bisschen das Gefühl, dass für all die Liebe, die man dem anderen gegeben hat, jetzt der Hass als Ausgleich hochgespült wird. Weil es nichts gebracht hat, weil der andere einen gleichgültig mit stumpfen Augen ansieht, weil man sich selbst nicht mehr leiden kann mit ihm zusammen.
Und ein bisschen bekommt man Angst vor sich selbst. Vor dem dunklen Teil der Seele, den es nach oben geschwemmt hat. Und davor, wie leicht man jemanden verletzt, den man mal sehr geliebt hat. Irgendwann hält man weder die Situation, noch sich selbst mehr aus und macht endlich, was man schon die ganze Zeit wollte: Schluss. Man erklärt sich, soweit es geht, man lügt und behauptet, es läge an den Umständen und man sagt, man möchte gerne weiter befreundet bleiben, obwohl man nur raus will aus dieser Wohnung. Der andere ist fassungslos, unendlich verletzt und sieht einen mit so wunden Augen an, dass man sich vor sich selbst ekelt. Aber man zieht das jetzt durch, packt das Nötigste und zieht für eine Weile zu den Eltern, um einen klaren Kopf zu bekommen.
Und dann sitzt man im Kinderzimmer, hat, was man wollte und fühlt sich noch sehr viel mieser, als vorher.
Denn mit dem Abstand zum anderen, sieht man auf einmal wieder die netten Seiten, man vermisst die guten Zeiten und man vermisst: die Liebe und die Wärme. Alles, was vor zwei Tagen noch so klar war, ist jetzt überhaupt kein bisschen mehr klar, weil man, als man noch in der Beziehung und Wohnung steckte, nur so weit gedacht hat, die Tür endgültig hinter sich schließen zu können. Aber wie es danach aussieht, darüber hat man kein bisschen nachgedacht, sondern war ganz selbstverständlich davon ausgegangen, dass alles besser sein müsste.
Wie geht es dann weiter?
Möglichkeit A: Zwei Tage später fühlt es sich schon ein wenig besser an und nach einer Woche geht man zum ersten Mal mit den alten Freunden aus und lacht so viel, dass man am nächsten Morgen Bauchweh hat. Das schlechte Gefühl, merkt man dann, war eigentlich nur Angst vor der eigenen Courage. Man war so lange zu zweit, dass man meinte, alleine sei gar nicht mehr möglich. Man hatte Angst, zu verlottern und zu sterben ohne jemanden, der einen daran erinnert, abends ins Bett zu gehen und morgens aufzustehen. Stimmt aber gar nicht, man kann ja all das noch. Und dann weiß man, dass die Trennung sehr richtig war. Auch wenn der andere einem sehr fehlt.
Möglichkeit B: In der ersten Kinderzimmer-Nacht wird klar: Das war der größte Fehler, den man jemals getan hat. Sich trennen, nur weil der andere Finger-Knacken nicht mag, sich trennen, nur weil der andere manchmal nervt! Wie konnte man nur so bescheuert sein und sich so von seinen wabbeligen Gefühlen so leiten lassen. Man hatte all diese anderen blöden Beziehungskrisen zusammen gemeistert, nur um jetzt an seiner eigenen Genervtheit zu scheitern. Das Gute ist: wenn man jetzt noch einmal mit dem Anderen zusammen kommt, dann ist es höchst wahrscheinlich für sehr, sehr lange.
Text: fabian-fuchs - Weitere Texte: Redaktion, Illustrationen: Katharina Bitzl