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Twitter-Selbstversuch: In der Small-Talk-Maschine

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Jetzt werde ich verfolgt. Und ich habe es sogar drauf angelegt, denn: Ich nutze Twitter. Dabei handelt es sich um eine sogenannte Microblogging-Plattform. Auf 140 Zeichen kann man hier Texte, Statements, Beobachtungen notieren. Diese sogenannten Tweets werden für jedermann sichtbar im Internet veröffentlicht. Und wenn das einen anderen Twitter-Nutzer interessiert, kann dieser seine Lektüre öffentlich machen und wird zu einem Follower, verfolgt also das Verfasste. So simpel funktioniert Twitter. Das lohnt sich zu Beginn festzuhalten, denn in den vergangenen Wochen ist so viel und so wild über Twitter geschrieben worden, dass die Grundidee manchmal auf der Strecke blieb.

Dass diese Grundidee einfach, aber auch genial ist, davon bin ich nach ein paar Wochen Twitter-Selbstversuch überzeugt. Und ich will erklären, wie es dazu kam. Dabei bin ich mir bewusst, dass das nicht ganz leicht wird. Denn Twitter hat auf der einen Seite begeisterte Fans, denen jeder massenmediale Text über ihr Kommunikationsforum einem Angriff gleichkommt. Auf der anderen Seite sehen Kulturpessimisten in der Verknappung, die auf der Plattform gepflegt wird – die Welt passt in 140 Zeichen –, den nahenden Niedergang der Zivilisation. Beide Seiten werden enttäuscht sein von meinem Twitter-Lob. Beide Seiten werden in diesem Text vergeblich nach den gängigen Stichworten suchen: Ich verzichte auf Hudson River (als ein Flugzeug dort notwassern musste, fanden sich Meldungen dazu zunächst bei Twitter, dann erst in den Nachrichten-Agenturen), Dummheit (Spiegel-Online begann sein Interview mit Twitter-Gründer Evan Williams tatsächlich mit der sehr dummen Frage, ob Twittern dumm mache) und auch auf Winnenden (Reporter nutzten am Tag des Amoklaufs Twitter für zum Teil fragwürdige Kurzmeldungen). Denn würde man diesen Text einem bei Twitter mittels # eingeleiteten Stichwort zuordnen wollen, wäre dies gewiss der Begriff „Small Talk“. Twitter ist nämlich in erster Linie ein hervorragendes technisches Werkzeug, um Small Talk im Internet zu führen. Wobei ich bewusst all die damit verbundenen vermeintlich negativen Eigenschaften wie Beiläufigkeit, Lockerheit und mangelnde Tiefe einschließe. Ja, Twitter ist der Ort für Befindlichkeiten und Plaudereien. Und ja: Wer das richtig zu nutzen weiß, wird Gefallen daran finden. Um das zu verstehen, muss man den Reiz des Verfolgens ergründen. Man kann bei Twitter neudeutsch followen, also die Mitteilungen eines anderen Nutzers mitlesen, und gefollowt werden, also öffentlich bekannt gelesen werden. Letzteres gilt als Ausdruck von Popularität und Bedeutsamkeit. Jedenfalls brachte der bekennende und auch deshalb bekannte Twitter-Nutzer Sascha Lobo (im Twitter-Jargon wäre der Name mit einem @ einzuleiten) seine Klage wortreich vor, als er unlängst von den automatisierten Nachrichten des News-Portals Spiegel-Online in Sachen Follower überholt und als beliebtester deutschsprachiger Twitterer abgelöst wurde. Doch der tiefere Sinn des Verfolgens erschließt sich erst, wenn man selber followt. Dann erst wird aus der vielstimmigen Twitter-Masse ein tatsächlich melodisches Zwitschern, dessen Klang man selber bestimmen, weil auswählen kann: Auf der eigenen Startseite oder in Programmen wie Tweetdeck oder PeopleBrowsr liest man dann Meldungen und Kurzmitteilungen von wirklichen Freunden, von entfernten Bekannten oder von Menschen, für die man sich irgendwie interessiert. So ergibt sich ein Stimmungsbild, das einem Gespräch auf einer Party gleichkommt, auf der nur Menschen eingeladen sind, deren Meinung einen interessiert. Es mischen sich in meiner Twitter-Lektüre lustige Beobachtungen aus dem Backstage-Bereich von Harald Schmidt (@bonitoTV) mit den Notizen des britisch-kanadischen Autors Cory Doctorow (@doctorow) und den Statusmeldungen von wirklichen Freunden und guten Bekannten. Gemeinsam ist all diesen Meldungen: Sie transportieren so wenig Inhalt, dass sie es nie zu einer Mail, einem Anruf oder gar einem persönlichen Gespräch geschafft hätten. Außerdem würden Schmidt und Doctorow mich vermutlich nicht anrufen, um mir zu sagen, dass ihr Lektor einen wirklich guten Job macht oder die Praktikantin gerade heißen Tee bringt. Die Information auf Twitter heißt Andeutung. Ein Bekannter notiert eine Beobachtung am Flughafen, eine Nebensache wird so zur Meldung und seine Follower wissen: Er ist auf Reisen. Bei aller Inszenierung, die in diesen Tweets steckt: Schmidts Praktikantin oder der Flug eines Bekannten sind der Stoff, aus dem guter Small Talk entsteht. Scheinbar belanglos, beiläufig und unwichtig, aber dennoch informativ und – wenn gut gemacht – auch sehr unterhaltsam. So entstehen lesenswerte Dialoge aus Beobachtungen, die ohne Twitter unnotiert geblieben wären: Ein anderer Nutzer reagiert mittels eines Re-Tweets auf die Flughafen-Beobachtung und ergänzt – eingeleitet durch ein @, dem der Namen des Reisenden folgt – eine eigene Erfahrung. Spätestens als ich diese Gespräche und Re-Tweets miterlebt hatte, war mir klar: Twitter macht Small Talk tatsächlich interessant. Denn das Tolle an diesem umfangreichen Angebot von Kurzmitteilungen ist, dass es einem hilft, den schlechten vom guten und gepflegten Small Talk zu unterscheiden. Und wo man nur Belanglosigkeiten hört, die einen interessieren, gewinnen auch diese plötzlich an Bedeutung. Um das zu verstehen, muss man sich aber bei Twitter registrieren und anderen Nutzern folgen. Twitter funktioniert wie ein Telefon. Wer sich dem lediglich über die Startseite (also die Gesamtheit aller Gespräche) nähert, wird die unverständlichen Gesprächsfetzen zahlreicher Telefonate bemerken – und diese natürlich für belanglos halten. Wer aber versteht, dass Twitter ein Kommunikationsinstrument ist, dessen Wert durch den Austausch und nicht durch die Publikation entsteht, der ist schon sehr nah dran am Zauber der Plattform: Menschen führen Gespräche auf Twitter, wenn sie mittels Anwendungen wie Twitpic oder MobyPicture kinderleicht Fotos in ihre Tweets einbauen oder vom Blackberry oder vom iPhone aus ihre Beobachtungen und mehr notieren. Und das Gespräch zwischen Menschen war schon immer ein Antrieb für Neues. Schön, dass diese Gespräche hier als Antwort auf die Frage „Was machst du gerade?“ entstehen. Eigentlich eine sehr einfache Frage, auf die es aber zum Glück unzählige Antworten gibt. Der Autor schreibt unter twitter.com/dvg

Text: dirk-vongehlen - Foto: dpa

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