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"Tschuldige, ich musste rülpsen"
Vor zwei Stunden wollte der Mann, der früher Crack verkauft hat, noch schnell was essen. Vor einer Stunde musste er duschen. Und jetzt? "Nur noch schnell Zähneputzen", sagt der Tourmanager, "dann kommt er!" Hinter ihm rollt ein Roadie in Badelatschen auf einem Longboard durch die Konzerthalle.
Ein Dienstagnachmittag in München. Das Hansa 39 ist mit 550 Stehplätzen eine der kleineren Hallen der Stadt, an der Wand preisen Plakate den "Hörsturz Bandcontest" und die Doom-Metalband "Belzebong".
Quincey Hanley nennt sich Schoolboy Q, er hat gerade ein Album in den USA aus dem Stand auf Platz eins der Billboard Charts gedrückt. Er ist Teil eines kalifornischen Labels namens Top Dawg Entertainment, das Kenner für das derzeit wichtigste im amerikanischen Rap halten. Hanleys Kollege Kendrick Lamar war Anfang des Jahres für sieben Grammys nominiert. Genauso viele wie Pharell Williams. Deshalb stehen wir hier und warten.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Westcoast-Westcoast? Drei plus drei? Dreiundreißig? WW? Jedenfalls Schoolboy Qs Lieblingspose.
Man liest das ja öfter in Vorspännen von großen Zeitungsinterviews: Der Journalist auf Pressetermin, da lungert ein Star traubenessend in einer Hotelsuite am Hyde Park, redet eine halbe Stunde artig über sein neues Produkt, und danach gibt’s eine Pressemappe und Frischkäsehäppchen.
Bei Schoolboy Q weiß das Label Universal drei Stunden vor dem Interviewtermin nicht mal, wo genau er steckt. Irgendwo auf der Autobahn zwischen Berlin und München, aber gerade erreicht man niemanden im Tourbus. Es sind genau 15 Minuten für das Interview vorgesehen, fünf davon braucht der Fotograf.
Zweieinhalb Stunden nach dem vereinbarten Termin trotten vier dunkelhäutige Männer in den Raum. Der größte ist Hanleys Bodyguard. Der zweitgrößte ist sein Manager. Der drittgrößte ist der Berliner Tourmanager. Der kleinste ist Hanley. Alle vier gucken beim Gehen in ihre iPhones. Hanley stellt sich mit Sonnenbrille und Anglerhut vor die Kamera. Er formt mit den Fingern jeder Hand eine Drei, vielleicht auch ein W, ich verstehe es nicht, nach drei Minuten ist der Fotograf fertig. Hanley hievt sich langsam auf einen Barhocker und nickt.
jetzt.de: Du bist auf einem Militärstützpunk in Wiesbaden geboren. Welche Verbindung hast du zu Deutschland?
Schoolboy Q: Es ist komisch. Ich hätte hier aufwachsen können, viele der Kids auf dem Militärstützpunkt sind ja hier geblieben.
Dann würdest du heute auf Deutsch rappen.
Ja. Meine Ma spricht ein bisschen Deutsch.
Über dem Stehtisch hängt eine kleine Wolke aus Marihuana- und Minzgeruch. Ganz angenehm. Jetzt sehe ich auch, weshalb Hanley nach dem Essen Zähne putzen musste: Seine untere Zahnreihe ist komplett mit glitzernden Diamanten-Grills bedeckt. Er lässt seine Unterlippe immer ein bisschen hängen, vielleicht ist das Absicht, jedenfalls macht es seine Aussprache noch schleppender und undeutlicher.
Wirst du auf deine Herkunft angesprochen?
Nur wenn ich hier bin. In Frankfurt hatten die Fans Schilder, auf denen "Welcome Home" stand.
Hanley hängt so schlaff auf dem Barhocker, als hätte er seine Wirbelsäule im Backstagebereich vergessen. Seine rechte Hand nestelt an der goldenen Kette, die von seiner Sonnenbrille um seinen Nacken fällt. Sein Bodyguard und sein Manager lehnen links und rechts an der Wand und tippen Whatsapp-Nachrichten in ihre Handys.
Stimmt es, dass du nach deinem Gefängnisaufenthalt mit dem Rappen angefangen hast, weil 50 Cent ehemaligen Sträflingen geraten hat, ins Rap-Business zu gehen?
Yeah. Ich kam aus dem Knast und hab eine DVD von Fitty gesehen. Da habe ich wirklich BRÜÜÜLP. ’Tschuldige, ich musste rülpsen.
Kein Problem.
Na, jedenfalls war ich 21 und stand ein paar Monate unter Hausarrest, im Haus meiner Mama, weil ich ihre Adresse angeben musste. Alles ging den Bach runter. Da hab ich entschlossen: Yo, ich mach das ernsthaft.
Ist es leicht, ins Rap-Geschäft zu kommen?
Nein. Du musst mental bereit sein, mit Kritik umzugehen. Auf Twitter sagt dir jeder seine Meinung. Es gibt Leute, die im Ernst verneinen, dass LeBron James der beste Basketballspieler ist! Du musst ständig beweisen, dass diese Typen unrecht haben.
Wie macht man das?
Verdammt! Ich hab die verfickte Kette abgerissen!
Er dreht sich zu seinem Bodyguard und hält die abgerissene Goldkette von seiner Brille hoch. Der blickt kurz auf, lächelt und widmet sich wieder seinem Handy.
Fuck, ich hab den Motherfucker gerade erst bekommen. Ich dachte, ich fummel da an meinem Hut rum. Scheiße, ich bin so verdammt high.
Der aktuelle Musikexpress schreibt über Hanleys neues Album, es habe "keinen roten Faden, sondern rote Augen". Und er gibt der Platte viereinhalb von fünf Sternen.
http://vimeo.com/81060020 Die erste Single vom Album "Oxymoron".
Du sagst, du bist von einigen deiner Songs genervt. Warum?
Von allen sogar! Du musst den Scheiß ja immer wieder hören. Das geht Pharrell mit "Happy" auch so. Ich spiel diese Songs jeden Abend live! Ich hasse alle meine Songs.
Du trägst den Spitznamen "Schoolboy" seit deinen Zeiten in der Gang in South Central L.A.. Du hattest angeblich immer gute Schulnoten.
Schule ist der leichteste Shit, Bruder! Was ist so schwer daran? Mathe ist nicht schwer. Englisch ist nicht schwer. Du musst es wie ein Spiel sehen, nicht wie Arbeit.
Hanley hängt jetzt ein wenig stabiler auf dem Stuhl, er strahlt fast etwas aus, das man Energie nennen könnte. Das Thema Schule liegt ihm offenbar. Weiter also.
Was war dein Trick?
Ich bin ein schlauer Dude, ich musste ja nur die Tests bestehen. Wenn da zehn Fragen stehen, musst du sieben richtig haben, um zu bestehen. Du kannst das erste Halbjahr komplett versagen und danach eine Zwei schreiben – und du fällst nicht durch. Ich bin direkt zu den Jahresendprüfungen gegangen und hab ’ne Eins bekommen.
Der Manager tritt an den Tisch. Mit der Hand, die nicht das Smartphone betätigt, hält er Daumen, Zeigefinger und Mittelfinger in die Luft. "Noch drei Fragen." Schnell-schnell jetzt!
Du rätst Jugendlichen in deinen Texten, Sport zu treiben und Bücher zu lesen.
Yeah, die müssen lesen! Und mehr mit Leuten sprechen! Die Kids brauchen mehr Real-life-Skill-Shit! Trefft Leute, geht mal raus!
Du selbst warst im Football- und Baseballteam deiner Schule. Und bist trotzdem in einer Gang gelandet.
Ich bin ein Schlaumeier, ich weiß einfach zu viel. Ich wusste: die Schule ist nicht alles für mich, Football auch nicht. Als ich gemerkt habe, dass ich früher oder später in einem Gangkrieg umgebracht werde, bin ich da auch ausgebrochen.
Ist Schlaumeier sein was Gutes?
Für mich schon. Ich kenne das ganze Spiel. Ich zeig es auch meiner Tochter. Ich fluche vor ihr, ich versteck mein Gras nicht vor ihr. Sie muss wissen, wie es da draußen abgeht. Ich würde sie am liebsten daheim unterrichten, aber sie braucht Life Skills. Sie muss wissen, wie man einen Kampf übersteht. Ich warte nur drauf, dass ich Anrufe von ihren Lehrern bekomme.
Hanley wirkt jetzt halbwegs wach, ich könnte ihn jetzt auf seine Rap-Crew Black Hippy ansprechen. Die stilisiert sich als Nachfolger von N.W.A., mit der in den Achtzigern Dr. Dre und Ice Cube den Westcoast-Gangstarap erfanden. Aber der Manager hält den Zeigefinger in die Luft. Letzte Frage.
Du sagst, du willst die Leute mindestens einmal pro Album zum Weinen bringen. Warum?
Du musst die Leute berühren. Mit was echt Persönlichem. Mein Song "Prescription" zum Beispiel handelt von der Medikamentensucht. Verschreibungspflichtige Pillen sind in den USA das neue Kokain, das neue Weed! Wegen dem Song sind viele Leute weinend zu mir gekommen. Der hat sie berührt. Ein anderer handelt von einem Freund, der seinen Sohn verloren hat. Die Leute müssen den Scheiß fühlen.
Danke.
Cool, for sure.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
"Oxymoron" von Schoolboy Q ist auf Universal erschienen.
Text: jan-stremmel - Foto: Tibor Bozi