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Tschüss, Abteil!

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Die Deutsche Bahn schafft nach und nach die Abteile in den Zügen ab. Ist das traurig? Drei Ansichten.

Du wirst mir nicht fehlen, Ressourcenkampf!
„Man reist ja nicht, um anzukommen, sondern um zu reisen.“ Dieser Satz ist von Goethe. Aber als Goethe reiste, gab es auch noch keine Bahnabteile. Wenn ich in Sechserabteilen in der Bahn reise, wünsche ich mir nämlich nichts sehnlicher, als anzukommen. Nehmen wir beispielsweise Gisela. Würde Gisela in einem Großraumabteil des ICE  sitzen, könnte ich immerhin meinen Laptop problemlos in meine eigene Steckdose stecken und einen Film sehen, um ihrem Gerede zu entkommen. Aber Gisela und ich sitzen, als ich wieder nach Hamburg fahre, in einem vom Gang abgeschotteten Bahnabteil und die einzigen beiden Steckdosen sind von ihrem Handy- und dem Laptopladekabel belegt. Die Fahrt dauert und weil Gisela gerne telefoniert, kenne ich bereits vor Ingolstadt den Namen ihres Therapeuten (Dr. Blaschke), den ihres Ex-Mannes (Markus) und weiß, dass Nina (ihre Gesprächspartnerin) geschieden ist (von Holger). Bahnabteile aber, steigern den Kampf um Ressourcen, den sowieso jeder in jedem Zug führen muss, noch einmal erheblich. Egal ob es um Steckdosen, um Ellenbogen- und Beinfreiheit, kurz: um Platz geht. Viele Bahnreisende tragen zudem Koffer, die so schwer sind, dass man sie nicht auf die Ablagen hieven kann, ohne sich einen Bandscheibenvorfall einzuhandeln. Sie scheinen Abteile zu bevorzugen und sehen über die Tatsache, dass ihre Koffer auf diese Weise ein Drittel der vorhandenen Ablagefläche beanspruchen, gerne hinweg.

Bei Würzburg unternehme ich einen zaghaften Versuch meine Beine auszustrecken, aber da in Nürnberg eine vierköpfige Familie zugestiegen ist, ist daran leider nicht zu denken. Kurz vor Göttingen beschließen Timmy und Cédric-Malte zu spielen. Im Abteil. Indem sie sich einen Ball zuwerfen. Und weil das Spielen die Kinder und das Ermahnen die Eltern hungrig macht, muss kurz nach Hannover gegessen werden. Die Fütterung dauert eine Stunde. Timmy verlangt, dass ich ihm aus seinem Buch vorlese. Ich mache es, geduldig. Aber auch genervt. Als ich in Hamburg aussteige, wünsche ich mir, ich wäre geflogen.  

Dass es bald keine Bahnabteile mehr geben wird, macht Goethes Satz nicht wahrer. Aber das Bahnreisen wird dadurch erträglicher. Ich kann meinen Laptop jederzeit anschließen und muss Gisela nicht so nah an meinem Ohr hören. Große Koffer können auf den niedrigen Ablagen im Großraumabteil abgestellt werden und Timmy und Cédric-Malte können auf dem Gang spielen. Mal hinten im Waggon, mal vorne. Außerdem ist die Auswahl an Spielgenossen im Großraumabteil viel größer!

Text: Pierre Jarawan



Du wirst mir fehlen, fahrendes Kinderzimmer!  
Alle Mann rein, Tür zu, Schuhe aus, Füße hoch, Gardinen zu. Wann immer meine vier Geschwister und ich die tausend Kilometer innerhalb Deutschlands zurücklegen mussten, die zwischen unseren jeweiligen Elternteilen lagen, hatten wir ein ICE-Zugabteil für uns allein. Die sechsstündige Fahrt von München nach Hamburg war nervenaufreibend. Das ewige Tuckern durch Deutschland, das in der Mitte ganz komisch hügelig und tunnelig wurde. Wir kannten die Abfolge der vielen Stationen auswendig und versuchten so lange nicht auf die Schilder der vorüberziehenden Bahnhöfe zu sehen, bis wir irgendwo bei Göttingen waren - dann hieß die nächste Station schon Hannover und von Hannover nach Hamburg war es nur noch ein Klacks.

Auf dem Münchner Bahnsteig lag frühmorgens um halb sieben noch dichter, weißer Nebel. In Hamburg war es nachmittagsgrau und wenn wir abends ganz oben nahe der dänischen Grenze ankamen, war es bereits dunkel. Die regelmäßigen Fahrten machten uns fertig, ohne Frage. Aber ohne unser kleines Privatabteil wären sie die Hölle gewesen. Das Abteil hatte genau die richtige Größe für uns. Der sechste Platz war, wenn einer von uns nicht noch einen Freund oder eine Freundin dabei hatte, zwar manchmal für einen fremden Menschen reserviert. Aber der saß oft lieber auf dem Flur als sechs Stunden lang mit uns in einem fahrenden Kinderzimmer eingesperrt zu sein. Dass es Luxus war, in unserer eigenen kleinen Spielhöhle durch Deutschland kutschiert zu werden, war uns von Anfang an bewusst. Auf unseren Beine-Vertreten-Spaziergängen durch den langen Wagenwurm namens ICE warfen wir sehr mitleidige Blicke auf die fremden Kinder in den Großraumwägen. In ihnen wütete die Zappelei, das sah man. Sie mussten in regelmäßigen Abständen einen genervten „Pschhhh“-Rüffel ihrer Eltern über sich ergehen lassen und still halten. Wir hingegen konnten tun, was wir wollten. Wir konnten ständig die Plätze wechseln, konnten quer, kopfüber und ineinander verknotet die Fahrt verbringen. Einmal hoben wir meine kleinste Schwester auf die gläserne Gepäckablage und lachten uns darüber tot, wie komisch ihr Bauch von unten aussah wenn sie ihn im Liegen auf das Glas quetschte. Auch durfte jeder mal am Fenster sitzen, und wenn einer nicht abrücken wollte, gab es eben ein kleines Gerangel. Störte ja niemanden. Und irgendeiner fläzte sowieso lieber zwischen den Geschwisterbeinen auf dem Zugboden herum, denn dort konnte man auch schlafen.

Klamotten, Kekse, Bücher und Gameboys flogen durch das Abteil und wenn aus Versehen die Cola umkippte, warfen wir einfach ein paar Taschentücher darauf. Das Abteil war unser Reich. Auch zum Vorteil fremder Mitreisender: Sie wurden durch unsere Schiebetür vor einer nicht zu unterschätzenden Kinderansammlung im Alter von fünf bis fünfzehn Jahren verschont.  

In Hamburg mussten wir für gewöhnlich in einen der neueren Regionalzüge umsteigen, in denen es keine Abteile gibt. Widerwillig strebten wir dann mit unseren sperrigen Koffern auseinander, suchten uns einen Platz im Großraumabteil und sahen zu, dass wir uns benahmen. Es war eng, anstrengend und vor allem langweilig. Ein Platz im Großraumwagen, fanden wir, war das Einsamste was es auf der Welt gab. Jede Familie, die eine lange Strecke ohne den Luxus eines Abteils zurücklegen muss, tat uns leid. Und jede, die in Zukunft gar keine Wahl mehr hat, tut mir doppelt leid. Ich erinnere mich gern an die Abteilfahrten mit meinen Geschwistern. Wir waren nie vorher und auch nie wieder nachher für so lange Zeit gemeinsam in einem Raum „gefangen“ und konnten uns dabei so ausgelassen miteinander beschäftigen. Das ist nun in mehrfacher Hinsicht Vergangenheit. Heute reisen wir aus unterschiedlichen Richtungen zu unseren Eltern.

Text: Mercedes Lauenstein



Du wirst mir nicht fehlen, muffliges Abteil!
Ich sitze allein im Abteil. Was für ein Glück, denke ich, schließe die Augen und nehme mir vor, mich auf der Fahrt von Köln nach Passau zu erholen, die Party sitzt noch in meinen Knochen. Ich will einfach schnell schlafen. Während ich mir die Schuhe ausziehe, um meine Beine auf den Sitzen in meinem kleinen Übergangsreisezimmer auszustrecken, rollt der Zug langsam über die Rheinbrücke. Auf einmal geht die Schiebetür auf. „Ist hier noch frei?“, fragt eine Frau und schiebt ihre zwei Kinder und sich selbst in die Sitze. „Güünther“, schreit sie durch den Gang. Als er kommt, wird es eng. Günther schwitzt und schnauft, sein Körper arbeitet so sehr, dass mir das Abteil wie eine Sauna vorkommt. Die Fenster beschlagen leicht. Mit aller Kraft ziehe ich am alten Schiebefenster. Scheppernd bricht der Wind in unsere Gemeinschaftszelle. Günthers Tochter hält sich die Ohren zu und ich schließe das Fenster wieder. Noch vor Frankfurt packt die Familie ihr Mittagessen von McDonalds aus. „Du kannst dir wie das Mädchen auch die Schuhe ausziehen“, sagt die Mutter zu ihrer Tochter und deutet auf meine Füße. Ich ärgere mich, dass ich der Familie ein schlechtes Vorbild gebe, weil nun auch Günther an seinen Schuhen nestelt. So sitzen wir mehrere Stunden und unser Abteil scheint zu dampfen. Mir soll es recht sein, wenn solche Fahrten künftig der Vergangenheit angehören.

Text: Mira Kleine

Text: jetzt-Redaktion - Fotos: almogon/photocase.com

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