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Die Zeppelin Universität am Bodensee ist bekannt als eine der renommiertesten Privatuniversitäten des Landes. Seit diesem Jahr vergibt sie zum ersten Mal sogenannte Diversitätsstipendien für diejenigen, die laut Pressemitteilung der Universität "...sonst niemals eines bekommen würden": Sitzenbleiber, Migranten, Ausbildungsabbrecher, Legastheniker und andere Bewerber mit Lücken oder Macken im Lebenslauf. Die Idee dahinter ist simpel: Je vielfältiger eine Bildungsgemeinschaft ist, desto perspektivenreicher und leistungsstärker ist sie auch. Doch wer bekommt diese Förderung nun eigentlich und welche Lebensgeschichte steckt da im Einzelnen dahinter? Wir haben mit drei der neuen Stipendiaten gesprochen.


Julius Oblong, 22, aus Düsseldorf, hat das Stipendium für Sitzenbleiber bekommen und beginnt jetzt mit dem Studium der Politikwissenschaften, Verwaltung und Internationale Beziehungen. Abinote: 1,9



jetzt.de: Was ist an deiner Biographie so besonders?
Julius: Ich bin in der siebten Klasse sitzen geblieben, weil ich von der Gesamtschule aufs Gymnasium gewechselt bin.

Wie kamst du auf das Stipendium?
2011 habe ich mein Abi gemacht, ein FSJ-Kultur im Goethe Institut Düsseldorf gemacht und dann in Freising beziehungsweise Weihenstephan angefangen Management Erneuerbare Energien zu studieren. Nach zwei Semestern war ich aber ziemlich enttäuscht, weil ich den Studiengang als überhaupt nicht zielführend empfunden habe. Ich will nicht einfach bloß in der Bibliothek sitzen und Wissen ansammeln. Von einer Universität will ich denken lernen. Als ich wusste, dass ich das Studium abbrechen will, bin ich mit Freunden nach Italien getrampt. Auf dem Weg dorthin übernachteten wir auf der Couch einer Freundin in Friedrichshafen. Sie ging auf die ZU und erzählte von diesem Diversitätskonzept. Fand ich gut, aber ich war auch ein bisschen misstrauisch, weil das nach so einem gut angelegten Marketingcoup klang. Überhaupt stand ich der perfekten Fassade der ZU etwas kritisch gegenüber. Aber das Konzept hat mich dann doch überzeugt, Interdisziplinarität, niedrige Entscheidungsketten bei Lehrstoffen, viel Verantwortung für die Studierenden und so.

Warum glaubst du, hast du das Stipendium bekommen?
Ich bin sozial sehr engagiert, war Semestersprecher in Weihenstephan und bin Mitglied in der Grünen Jugend NRW, war im Landesparteirat von B'90 und Sprecher der grünen Jugend Düsseldorf. Außerdem haben mir die Aufnahmetests viel Spaß gemacht und das haben die sicherlich gemerkt.

Wie fandest du die Tests?
Ich war zwar ein bisschen verkatert, weil wir am Abend vorher noch an der Hotelbar versackt sind und wir uns dann ziemlich reinhängen mussten. Aber ich hatte auch das Gefühl, dass die Englisch- und Mathetests vor den Gesprächen inhaltlich gar nicht so viel zählen und dass es relativ egal ist, wie man da abschneidet. Ich glaube, die wollen einen damit nur ein bisschen nervös machen um rauszukitzeln, was man für einen Charakter hat.

Was willst du mal werden?
Naja, ich bin ja schon etwas. Aber ich hoffe, dass mir das Studium dabei hilft, den richtigen beruflichen Weg zu finden. Ich bin politisch sehr engagiert, halte aber den parlamentarischen Karriereweg nicht für sinnvoll. Erstens machen das schon genug Leute, zweitens wird man dabei sehr stark fremd bestimmt. Ich will lieber selbst herausfinden, wo man das Eisen ansetzen kann, um die Gesellschaft zu verändern. Systeminnovator, das ist vielleicht ein gutes Wort für das, was ich machen möchte.




Kübra, 20, aus Berlin, hat das Stipendium für Studenten mit bildungsfernen Eltern bekommen und beginnt jetzt das Studium der Kommunikations- und Kulturwissenschaften. Abinote: 1,5



jetzt.de: Was genau ist an deiner Biographie so besonders?
Kübra: Weiß ich eigentlich auch nicht so genau. Ich finde nicht, dass ich so anders bin als andere Menschen. Meine Eltern sind halt keine Akademiker. Sie haben beide nicht studiert und ich bin bisher die einzige in meinem gesamten Familienumfeld, die an die Uni geht. Meine Mutter kam erst mit 20 Jahren aus der Türkei nach Deutschland und hat gar keinen Abschluss. Sie arbeitet als sogenannte „Stadtteilmutter" in Kreuzberg, das ist eine Art Sozialhelferin. Mein Vater ist KFZ-Mechaniker, wurde dann aber arbeitsunfähig und ist jetzt in Rente. Meine ältere Schwester macht eine Ausbildung zur Waldorferzieherin, mein Bruder macht jetzt Abi und mein kleinster Bruder ist erst sieben Monate alt.

Wie kamst du auf das Stipendium?
Über einen alten Freund, den ich über die START-Stiftung kannte. Ich hatte gerade ziemlich frustriert mein Energietechnik-Studium abgebrochen und wusste nicht, wie es weitergehen sollte. Ich wollte am liebsten etwas Kulturelles, irgendwie Künstlerisches machen. Meine Eltern konnten damit nichts anfangen, Kultur studiert man nicht, finden sie, die entwickelt sich von selbst. Meine Eltern kennen eigentlich nur drei Studienmöglichkeiten: Medizin, Jura oder Maschinenbau. Meine Mutter war sehr enttäuscht von meinem Studienabbruch und wollte, dass ich mich für Zahnmedizin bewerbe. Dieser gute Freund erzählte mir dann aber, dass er jetzt auf der ZU sei und dass mich das ja vielleicht auch interessieren könnte. Ich bin dann mal runtergefahren und habe bei diesen „Studieren probieren"-Tagen mitgemacht, wo ich mit unzähligen Leuten von dort gesprochen habe. Ich habe viel Gutes und viel Schlechtes gehört - aber das wollte ich auch, um mir eine eigene Meinung zu bilden. Und dann habe ich es einfach mal versucht.

Wie war das Aufnahmeverfahren?
Wir sollten in kleinen Gruppen ein Marketingkonzept entwerfen. Ich fand das ziemlich unauthentisch, weil wir beobachtet wurden und jeder das Gefühl hatte, er müsse sich beweisen. Es war einfach nichts so, wie es unter normalen Umständen gewesen wäre. Das habe ich dann auch gesagt. Die Gespräche und die Tests liefen aber gut und haben mir gefallen, auch wenn sie wirklich anstrengend waren.

Warum glaubst du, hast du das Stipendium bekommen?
Vor allem, weil die Kommission gemerkt hat, dass ich das Studium an der ZU wirklich wollte und für mich keine andere Alternative in Frage kam. Vielleicht auch wegen meines Engagements. Vor zwei Jahren habe ich angefangen, neben der Schule Stadtführungen durch Kreuzberg zu geben. Ich habe da eine richtige Ausbildung gemacht. Anfangs lief das noch ehrenamtlich, aber das Kreuzberg-Museum fand uns dann so gut, dass wir das über die machen durften und damit auch Geld verdienen. Außerdem habe ich mich in der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus engagiert und für die Migrationsgesellschaft politische Bildungsarbeit gemacht. Da sind wir hier in Kreuzberg immer in Real- und Hauptschulen gegangen und haben Projekttage zu dem Nahostkonflikt und solchen Themen gemacht. Dass ich diese Sachen jetzt aufgeben muss, um nach Friedrichshafen zu ziehen, finde ich schade, so sehr ich mich über die Aufnahme freue.

Was willst du mal werden?
Wenn ich es mir hier und jetzt aussuchen könnte, dann würde ich sagen: Kuratorin im Istanbul Modern. Aber es kann sehr gut sein, dass ich morgen schon wieder eine ganz andere Idee habe, das passiert nämlich öfter.



Aras, 20, aus Hannover, hat das Stipendium für Studenten mit Migrationshintergrund erhalten und beginnt jetzt mit dem Studium der Soziologie, Politik und Ökonomie. Abinote: 1,5



jetzt.de: Was genau ist an deiner Biographie so besonders?
Aras: Ich bin mit elf Jahren aus Istanbul nach Deutschland gekommen. In der Türkei habe ich mit meinen Eltern und meiner Schwester zusammen gelebt. Meine Schwester war ein sehr schwieriges Kind, so dass meine Eltern dauernd mit ihr beschäftigt waren und kaum Zeit für mich blieb. Meine Tante, die hier in Deutschland im pädagogischen Bereich arbeitet, sah schnell, dass ich zu Hause viel zu kurz kam und nachdem ich sie einige Male in Deutschland besucht hatte, schlug sie irgendwann vor, mich zu adoptieren. Ich bin dann zu ihnen nach Hannover gezogen, auf eine Waldorfschule gekommen und habe letztes Jahr das Abitur gemacht.

Wie bist du auf das Stipendium gekommen?
Nach der Schule bin ich durch England gereist und habe auf Bauernhöfen gearbeitet. Auf dem Weg traf ich Leute, die mir von einem Studiengang in Oxford erzählten, der Philosophie, Politik und Wirtschaft verbindet. Weil ich mich schon immer dafür interessiert habe, wie die Gesellschaft funktioniert - beziehungsweise wo sie oft nicht funktioniert und welche Probleme das bringt - hat mich das sofort neugierig gemacht. Ich fand heraus, dass man so etwas zum Beispiel auch in Witten-Herdecke studieren kann. Als ich dort hinfuhr, um mich umzusehen, traf ich dann Leute, die mir von der Zeppelin-Universität erzählten. Auf der Website entdeckte ich die Sache mit den neuen Stipendien und dachte: Könnte ich ja mal versuchen.

Wie war das Aufnahmeverfahren?
Anstrengend. Als wir ankamen, sollten wir uns in kleinen Gruppen mit ZU-Absolventen, die eine Keksfirma gegründet hatten, ein Konzept zur Kundengewinnung überlegen und wurden dabei beobachtet. In der Auswertung ging es dabei dann gar nicht um Inhalte, sondern um unser Verhalten innerhalb der Gruppe. Dann folgte ein Englisch- und ein Mathetest und schließlich zwei 45-Minuten-Gespräche mit einem Professor und einem wissenschaftlichen Mitarbeiter. Da wurde dann über alles mögliche gesprochen und diskutiert, auch über Sachen aus dem Lebenslauf. Einige kamen aus den Gesprächen und haben gesagt: „Die haben mich fertig gemacht", viele kamen aber auch heraus und meinten: „Lief super!" Mir hat es Spaß gemacht, aus der Reserve gelockt zu werden und denen immer etwas entgegensetzen zu müssen.

Warum glaubst du, hast du das Stipendium bekommen?
Vielleicht fanden sie es gut, wie ich mich bei den Aufnahmetests verhalten habe. Ich habe mir immer erst alles in Ruhe angesehen, und dann erst losgelegt. Außerdem gefiel ihnen glaube ich, dass ich mich damals so gut eingelebt habe und dass ich generell ein engagierter Mensch bin. An meiner Schule war ich zum Beispiel Schülersprecher.

Was möchtest du mal werden?
Ich glaube, ich möchte nach dem Studium an der Uni bleiben, forschen, schreiben, lehren und Professor werden.

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