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Tritt` mich ein Pedal: Als Tobias mal mit dem Rad nach Granada fuhr (I)

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1. Sternerestaurant auf dem Weg gen Süden Man fährt also los. Es regnet. Eisenach, Vater und Mutter, der Freunde Schar, alle bleiben zurück. Der Thüringer Wald kommt unter die Räder des Dreigang-Fahrrads und mir scheint, ich fahre einen Elefanten spazieren. Ich hätte wohl noch einiges an Gepäck zurücklassen sollen und nun wiegt dieses ohnehin schon schwere Rad sicher einen Zentner. In der ersten Nacht, wild biwakiert vor Fulda, frage ich mich, weshalb ich mir das eigentlich antue. Noch recht einsam prangt die Stadtfahne der Wartburgstadt an meinem Rad, genauso einsam wie ich mich am ersten Abend fühle. Erste Begegnungen, aufmunternde Worte, ich ziehe Blicke auf mich, man zollt mir Respekt. Durch Hessen hindurch begleitet mich Schauer, aber man fährt.

Tobias Fischer und Rad.

Aschaffenburg, der Neckar, Heidelberg, erstmals Sonne, der Rhein, dann Speyer voller Dom und Pilgerigkeit. Am Osterwochenende kam ich an die Deutsche Weinstraße, einer mit Kirsch-Mandel-Blüten gesegneten Weinregion, der mit dem Namen “Deutsche Toskana” nicht gespottet ist. Weinstraßenhaft ging es nach Schweigen zum Deutschen Weintor. Hier lud mich ein Ehepaar aus Bremen in ein Sternerestaurant ein, wo ich mir anfangs in meiner abgewetzten Kluft, verschwitzt, sehr deplatziert vorkam. Er fuhr zur See, sie ist ganz und gar mütterlich, wir trinken Pfälzer Wein. Man übernimmt meine Zeche, die Serveusen kredenzen mir noch ein hauseigenes Essenspaket und nach Postkartenversprechen, Abschied, habe ich vor lauter Glück erstmal geheult. Da radele ich nun in den 700sten Kilometer, das Rad macht sich unter der Last ganz gut, bergauf bin ich noch immer schneller als die meisten anderen, auch wenn das Tempo mich gottseidank die Langsamkeit wieder lehrt. - Ich bin überglücklich aufgebrochen zu sein. Dieser Reiseabschnitt zum Nachfahren: Eisenach - Fulda - Bad Soden-Salmünster - Aschaffenburg - Michelstadt - Neckargemünd - Heidelberg - Speyer - Neustadt an der Weinstraße - Landau in der Pfalz - Schweigen.


2. Rübezahl Von der Weinstraße über Karlsruhe in den Schwarzwald. An einem Abend, als ich aus Baden-Baden mich entfernte, diesem mondänen Hort mit Hang zu russischen Touristen, und im Wald in einer Hütte schon mein Lager aufschlug, bestand das Ehepaar Oser darauf, dass ich bei ihnen Zuflucht finden könnt`. Nun sitze ich in einem Ort namens Eisental, bin ganz fasziniert von der Mixtur aus bodenständigem Katholizismus und Naturgeisterglaube, welcher die Osers nachhängen. Dass dies zusammenpassen könnte, ich hätte es bis dato nicht geglaubt. Der badische, eigene Hauswein, steht dem pfälzischen in nichts nach.

Ehepaar Oser und Tobias. Es ist nahe Oberkirch: Peter, Schweizer Journalist, von rübezahlartigem Erscheinen, auf dem Weg ans Nordkap - zu Fuss. Wir tauschen kurz unsere Freude über das Reisen, das Alleinsein, die Begegnungen mit anderen Menschen. Er gab mir gleich die Adresse seiner Frau, für Obdach in Bern. Freiburg: Stadtrundgang, Gastlichkeit bei Regina, einer ehemaligen Klassenkameradin, Studentenflair, deutscher Süden. Am Titisee wird´s kälter, am Feldberg blinzelt mir Schnee entgegen. Seine 1450 Meter werden mit drei Gängen bezwungen, eigentlich nur die 1200 Meter der Passstraße, aber man will doch ein wenig aufschneidern, um jeden Höhenmeter sich selbst erhöhen. Von oben geht es dann schnell wieder herab. Ist schon komisch – so ein Berg.

Peter. Dieser Reiseabschnitt führte über: Karlsruhe - Baden-Baden - Offenburg - Haslach im Kinzigtal - Freiburg - Titisee - Feldberg (1493m)


3. Panane2 In Neuenburg, den Geruch des Elsass in der Nase oder auch nur den Duft des nächsten Flammkuchens, besehen mich aus einem Café heraus zwei lächelnde Menschen. Sie zahlen, treten an mich heran, es sind Hans und Marianne. Ich bekomme einen Grund, noch nicht direkt in die Schweiz zu fahren, sondern erstmal nach Kembs im Elsass, wo die beiden mitsamt Mariannes Sohn auf einem Hausboot leben.

Marianne, Sebastian, Tobias und Hans.

Das Hausboot. Sie sind Totalaussteiger, wunderbare Menschen, Abenteurer. Bei einem Kurztrip ans Mittelmeer kam ihnen die Idee, die eigene Firma zu verkaufen und ohne Segelschein mit Segelschiff das Mittelmeer zu befahren. Losgesagt aus dem uns bekannten Zivilleben luden sie mich ein, in ihrem knallgelben VW-Bully namens Panane2 zu nächtigen.

Panane2. Der Abend: weinselig und voller Geschichten. Des Morgens werde ich mit frischem Brot und Honig, dem Buch Imperium der Schande von Jean Ziegler (Schweizer, Mitarbeiter der UNO, schreibt über grosse Konzerne, Banken, die massgeblich für die Armut in der Welt verantwortlich sind), Kartenmaterial der Schweiz und Frankreich, das ich mir sonst noch hätte kaufen müssen, meiner Wege geschickt. Stationen dieses Abschnitts: Staufen - Neuenburg - Kembs


4. Armweh Schweiz, Basel und viele Grüezi. Über den Passwang, der zwar nur knapp 980 Meter misst, aber die kleine Steigung ist sehr kurvenreich. Problematisch sind bergan nicht die Beine, nein, die Arme versehen einfach nicht mehr den anfänglichen Dienst. Mit ganzem Gewicht muss ich mich in die Pedale stemmen und sitze oftmals gar nicht im Sattel.

Passwang. An so mancher Steigung habe ich mich an Begrenzungspfosten den Armen widmen müssen, wenigstens einen Moment, um wieder einen halben Kilometer zu packen. Nur nicht von den Pedalen herunter, nicht absteigen. Langsam schlurfe ich aufwärts. Manch andere Steigung ist mit den drei Gängen nicht zu machen. So will ich die Pannenfreiheit der Bergmeisterin, die mir erst einen Platten bei Kilometer 1250 bescherte nicht weiter strapazieren. Steige deswegen auch aus Sorge mal ab, wenn sich ein Feldweg mal wieder unerwartet für einige Meter auftürmt und aller Schwung dahin ist. Stationen: Weil am Rhein - Basel - Solothurn


5. Stundenglasplaudereien In Bern, vom türkisfarbenen Gletscherfluss Aare umflossen, rolle ich auf den Uni-Campus. Wo ich eigentlich Internet suchte, fand ich Daniel und Larcz, die mir bei Schweizerbier von ihren norddeutschen und slowakischen Leben erzählten. Gerade, vom Bier auf leerem Magen sehr betüdelt, im Gehen begriffen, treffe ich zum zweiten Mal an diesem Tage Sarah. Erst vom Wind gekühlt, dann von der Sonne umgarnt, redeten wir bis es dämmerte. Worüber? Über ihr Schneidereiprojekt in Los Angeles, ihr Berner Exilantendasein als Tochter eines deutsches Pfarrers, das manchmal sehr zufällige Leben, in dem man aufpassen muss, dass einem manche Sachen, die wir betont belachen, weil unsere Augen sie nicht sehen (Matthias Claudius), nicht durch die Finger rieseln wie der Sand eines Stundenglases. Ich schenke ihr einen Stein, glatt geschliffen, der beruhigen mag, wenn man über ihn streicht. Es dämmert, wir beide ziehen von dannen. Man begegnet sich, man verabschiedet sich. Es wird französischsprachig, Regennässe im französischen Juragebirge, dann geht es rund um den Genfersee. Deutschlandfahne, ganz klein, Schweiz und Frankreich leisten sich am Fahnenmast Gesellschaft. Grenzhüpfen zwischen Schweiz und Frankreich, Begegnungen, Willkommen und Abschied – jeden Tag.

Sarah und Tobias.

Bern.

Larcz und Daniel.

Rad und Tobias im Nebel-Jura.

Die Sonne versinkt am Genfer See. Stationen: Bern - Biel/Bienne - Neuchâtel - Morteau - Pontarlier - Lac de Saint-Point - Lausanne - Montreux - Bouveret - La Chapelle-d'Abondance - Habère-Poche - Genf.


6. Bum-Bum, kopulierende Bewegungen Frankreich, ins Savoie, das Tor der Alpen. Heran an den Lac d'Aiguebelette, irgendwas zog mich, ausserordentlicherweis`, auf einen Zeltplatz. Kein Platz am See um wild sein Lager aufzuschlagen, Zäune überall. Den Packesel mit Rädern lade ich ab und werde daran erinnert, dass ich was gegen die seit dem Morgen so hin und her schaukelnden Gepäcktaschen tun wollte. Die Aufhängung war locker und die Reparatur schien dringend, doch wollte ich am Morgen erstmal den nächsten Berg erhöhen und fand später das Schwanken zwar bedenklich, doch vergaß ich vollkommen das Schrauben. Am Abend sah ich in untergehender Sonne und in Mückenschwärmen das Ergebnis: Eine längs durchgebrochene Metallstange am Gepäckträger. Schweissen oder Laufen, dachte es in mir. Einer lauten Männerrunde an der Rezeption machte ich mein Anliegen (“Schweißen!” – “Soudure!”) klar und ein Mann mit vernarbtem Gesicht zeigte auf einen Kleintransporter, dann auf sich und meinte, mich fahren zu wollen. Zur Nacht sagt dieser Thierry: “Morgen, in aller Ruhe! Bonsoir!”

Thierry und der Transporter. Ich lernte noch Madame Laboret kennen, die mich am nächsten Morgen beim Frühstück verliebt machen sollte – in Confiture aus Kastanien auf Käse. Anschliessend fuhr Thierry mich und die versehrte Bergmeisterin auf Umwegen in eine Werkstatt. Während der Fahrt hörte ich von Thierrys monatelangen Reisen durch Südostasien, seinen vielen Frauen dort. Zwei, Drei Frauen zu haben sei kein Problem, sagte er. Ich sah seine kopulierenden Bewegungen am Lenkrad seines Transporters, "Bum-Bum!" sprudelte es aus seinem Mund und er sparte mir so die Frage, ob er für die Frauen hatte bezahlen müssen. Beim Warten in einer kleinen Stadt, bei kleinem Espresso in kleinem Bistro, hörte ich dann noch von ihm, warum man sehr schnell des Nachts nackt und sehr tot im Mekong schwimmen könne. Anschliessend erklärte mir ein fast wütender Mechaniker, dass man mit einem Drei-Gang-Fahrrad nicht durch die Alpen, geschweige denn nach Spanien führe. Die Bergmeisterin ist geschweißt, ich bin frohen Mutes und Thierry willens mich noch bis Voiron zu fahren. Nein, das gehe nun wahrhaftig nicht, sage ich, will doch das Rad beanspruchen, ehrenhalber. Thierry formt zum Abschied das Victory-Zeichen, ich fahre weiter, nun wieder Kraft meiner Beine. Alpen säumen meinen Weg.

Stationen: Bellegarde - Seyssel - Aix-les-Bains - Lac d'Aiguebelette - Voiron.

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