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Touristen, Einkaufsbummler, Neonazis

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Der Tönsberg ist ein Bergrücken im Teutoburger Wald und einigermaßen unheimlich. Eine frühmittelalterliche Ruine steht dort, die von neuheidnischen Gruppen als Kultstätte verehrt wird. Tønsberg ist auch eine Stadt in Norwegen und „Tønsberg“ heißen mehrere Geschäfte in Deutschland, die Kleidung der Marke „Thor Steinar“ verkaufen. Einer davon steht im Carré-Center, Alexanderplatz, Berlin-Mitte. In seinem Schaufenster hängt eine norwegische Flagge und ein aufgespanntes Wikingersegel hinter polierten Scheiben. Auf den ersten Blick wirkt der Laden wie ein Trekkinggeschäft oder ein Ausrüster für Outdoor-Fans. Drinnen gibt es komplette Kollektionen für Männer und „Mädels“ von „Thor Steinar“, einer 2002 registrierten Modemarke, die vornehmlich Runenschrift, Wölfe, Wikingerboote und andere nordische Motive auf die Kleidungsstücke stickt. Ihren Machern wurde schon bald eine Annäherung an die rechte Szene vorgeworfen. 2004 wurde auf Antrag der Staatsanwaltschaft Neuruppin die bundesweite Beschlagnahme von „Thor Steinar“-Kleidung angeordnet. Das Logo der Marke bestand damals aus zwei Runen, die im Nationalsozialismus verwendet wurden und außerdem an das SS-Zeichen erinnerten. „Dieses Spiel mit mehr oder weniger verhohlenen Andeutungen an der Grenze zur Strafbarkeit ist charakteristisch für das Sortiment der Firma. Rechtsextremisten fühlen sich davon angesprochen. Sie bezeichnen die Firma in Internet-Diskussionsforen als ’zur Bewegung gehörig’“, sagt der brandenburgische Verfassungsschutz. Die Firma benutzt seit der juristischen Aktion ein neues Logo, wird aber weiterhin vom Verfassungsschutz beobachtet.

Das Carré-Center ist eine Einkaufspassage mit niedrigen Decken, die in erster Linie von ihrer guten Lage lebt. Vor allem Touristen kommen regelmäßig in das Erdgeschoss zwischen Zeitungskiosk, Bäckerei, Blumengeschäft, Schmuck- und Ramschladen und einem Schuhdiscounter. Dazwischen liegt das „Tønsberg“. Im Verkaufsraum begrüßt die junge Verkäuferin drei Kunden, einen kräftigen Mann Anfang dreißig, der bereits ein blaues T-Shirt mit rotem „Thor Steinar“-Aufdruck trägt, und zwei Frauen. „Kann ich euch helfen?“ fragt die Verkäuferin, die konsequent alle Kunden duzt. Hosen, Shirts, Jacken, Pullover liegen auf ordentlich aufgeschichteten Stapeln. Die Mode ist gehobene Streetwear, die aussieht wie überall auf der Welt, eine braune Cargohose trägt den Produktnamen „Stahlheim“, ein oliver Parka heißt „Kommando“, ein anderer „Thule“. Es gibt Hosen in Tarnoptik und Militärstil, daneben liegen aber auch mit großen Blümchen bedruckte Männershorts. Die Mädchenkollektion ist in den üblichen Rosa und Pastell-Tönen gehalten – keines der Oberteile trägt einen Spruch, der einen Hinweis auf politische Botschaft abgeben könnte. Ein Mädchen-Shirt kostet 25 Euro, eine Jeans etwa 80. An den Wänden hängen nordische Mythenbilder, ein Strauß künstlicher Sonnenblumen vermittelt kühle Ästhetik. Neben der Kasse liegt eine Unterschriftenliste gegen die Kündigung des Mietvertrags – zum Januar 2008 soll das Geschäft nämlich aus dem Carré-Center verschwunden sein. Auf die Gründe für den auslaufenden Vertrag angesprochen entschuldigt sich die Verkäuferin, sie dürfe keine Stellung beziehen und verweist auf den Ladenbesitzer. Wikinger und schwarze Eicheln Rainer Schmidt, der Besitzer des „Tønsberg“ am Alexanderplatz, lehnt schriftlich die Interviewanfrage von jetzt.de ab, eine Beziehung zur Neonazi-Szene hält er für eine „freche Behauptung“. Seine Emailadresse trägt den Namen der Firma Mediatex. Diese Firma ist Inhaber der Marke „Thor Steinar“ und hat ihren Sitz in Königs Wusterhausen in Brandenburg. Sie wehrt sich auf ihrem Online-Portal gegen die Vorwürfe. Sie seien keine „ostdeutschen Nazis“*, sie beschäftigten keine „rechtsextremen Mitarbeiter“, sie verwendeten keine verfassungsfeindliche Symbolik. Die Firma sieht sich als Opfer von Medienhetze und Rufmord. Als Beweise für ihre politische Unschuld dienen Mails und Briefe von Kunden, die Solidarität und politische Neutralität bekunden. Alles also ganz normal? In unmittelbarer Nähe zu den zitierten Aussagen findet sich ein symbolisches Bild, dass schräge Assoziationen weckt: Auf einem Haufen liegen viele helle Eicheln, weit weg und abgerückt, eine schwarze. Im „Tønsberg“ am Alexanderplatz wirkt an diesem Nachmittag nichts beschlagnahmenswert und die Kunden wollen den Wirbel um „Thor Steinar“ nicht ganz verstehen. „Nur weil ich das trage, bin ich rechtsradikal, oder was?“ fragt die Wolljackenträgerin, und setzt nach: „Lonsdale-Klamotten gibt es doch zum Beispiel auch bei Aldi zu kaufen.“ Sie will ihren Namen nicht nennen. Ihr Begleiter heißt Alexander, ist 35 und sagt: „Das hier ist doch ein freies Land“. Die Kleidung im „Tønsberg“ verstoße nicht gegen das Grundgesetz, er könnte es nicht verstehen, wenn der Laden tatsächlich deswegen geschlossen würde. Er selber werde zwar gelegentlich auf der Straße als Nazi angesprochen, aber „da steht man dann doch drüber“, sagt er. Das Preisleistungsverhältnis stimme und deshalb kaufe er hier ein. Zu seiner politischen Meinung will er sich nicht äußern. Manche bewerten die Kleidung mit dem aus nordischen Versatzstücken kreierten Kunstnamen anders. Der Fußballclub Hertha BSC und etliche weitere Bundesliga-Mannschaften verbieten Fans in „Thor Steinar“-Kleidung den Zutritt in die Stadions. Die norwegische Regierung beschwerte sich bei der deutschen Botschaft in Oslo darüber, dass die norwegische Staatsflagge in rechter Szenekleidung verwendet wird. „Thor Steinar“-Läden in Magdeburg und Bochum wurden die Mietverträge gekündigt und in anderen Städten wie Rostock und Dortmund gibt es von Anwohnern, politischen Parteien und der Antifa-Bewegung zunehmende Proteste gegen Geschäfte, in denen rechte Szenekleidung verkauft wird. Aber ist das hier am Alexanderplatz überhaupt der Fall? „Was anderes dürfen wir ja nicht“ „Mutti, wir wollen mal hier rein!“ ruft ein pickeliger Fünfzehnjähriger und zieht einen Gleichaltrigen in Richtung Laden. Das „Tønsberg“ hat am Dienstagnachmittag mehr Kundschaft als die anderen Geschäfte im Carré-Center. Eine Finnin, die gerade erst zum Studieren nach Berlin gekommen ist, kauft ihrem Freund zum Geburtstag ein rotes T-Shirt mit den Merseburger Zaubersprüchen auf Mittelhochdeutsch aufgedruckt – die gelten als Überlieferung von germanisch-heidnischer Religiosität. „Mein Freund studiert Germanistik und findet die Sprüche toll. Ich habe mich gefreut, als ich das Shirt hier letzte Woche entdeckt habe“, sagt sie. Dass der Marke Nähe zur rechten Szene nachgesagt werde, habe sie nicht gewusst. Sie wird blass und sagt: „Wenn ich ihm das erzähle, zieht er das T-Shirt doch nie an.“ Ihr seien nur die vielen norwegischen Flaggen aufgefallen, sagt sie und dass sie mit dieser Begeisterung für Wikinger und nordische Mythologie wenig anfangen könne. „Thor Steinar“ wird nicht nur in Geschäften verkauft, sondern auch übers Internet vertrieben. Beim radikalen „V7-Versand“ zum Beispiel, dort kann man außer „Thor Steinar“ auch T-Shirts mit einem weißen und einem schwarzen Strichmännchen, darüber ein Balken und die Aufschrift „I don’t mix“ kaufen, oder „Mein Freund ist deutscher Skinhead“.

Einer der letzten Kunden des Tages im „Tønsberg“ heißt Tobias. Er hat schwarze hochgegelte Haare und einen Ring im Ohr. Und er trägt „Thor Steinar“. Hosen, Pullover, T-Shirt. Er ist 27 und wenn man ihn nach seiner politischen Haltung fragt, sagt er zuerst mal, dass er zu seiner Meinung stehe. Es gäbe ja auch welche, die seien mehr so Mitläufer. Er nicht. „Ich bin in der Partei, wir organisieren Demos“. Mit Partei meint Tobias die NPD. Kleidung sei ein Zeichen, an dem er Gleichgesinnte erkennen könne. Zur rechten Szene kam er über Kumpels, „die sind auch alle so“, und über Musik. Hardrock, deutsche und amerikanische Neonazibands. Tobias ist dafür, alle Ausländer wegzuschicken, damit es wieder so wie früher wird. „Als die noch nicht da waren. Als alles einfach nur deutsch war.“ Aber erreichen könnten sie sowieso nichts, glaubt er, „wir sind ja überall die Buhmänner“. Dass dem Laden gekündigt wurde, findet er „blöd für uns. Alle anderen, härteren Sachen stehen ja auf dem Index, sind verboten. Deshalb bin ich jetzt auf Thor Steinar ausgewichen.“ Er lasse sich allerdings nichts verbieten und trage die verbotenen Sachen auch weiterhin – auf privaten Partys eben. Er nimmt seine drei großen Tüten und sagt beim Hinausgehen: „Was anderes dürfen wir ja nicht mehr tragen.“ *Diese Zitate stammen von der Homepage der Fa. Mediatex.

Text: anke-luebbert - Fotos: Autorin

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