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Teufel auf der Schulter: Eine Typologie der alltäglichen Verräter

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1. Kiara oder: die gute Freundin mit dem Teufel auf der Schulter

Kiara vergisst nie deinen Geburtstag, sie sitzt gern neben dir. Gut, ihr seid nicht das, was man in alter Manier Busenfreunde nennen würde. Vielleicht, weil sie erst kurz vor der Oberstufe in deine Klasse gekommen war oder weil sie erst eben zu dir ins Unternehmen wechselte. Ihr habt gleich gemeinsame Interessen entdeckt und über denselben Kollegen gelästert. Einmal habt ihr verglichen, ob ihr noch heute mit euren Sandkastenfreundinnen Kontakt habt. Du meintest: Naja, sporadisch. Sie meinte: Nein, gar nicht mehr. Man müsse Freunde auch hinter sich lassen können, wenn man nicht mehr die gleiche Lebenswelt mit ihnen teile. Du hast vorsichtshalber genickt. Zwischen dir und Kiara steht eigentlich nichts, nur ein bisschen dieses fehlende Gefühl für den jeweils anderen. Du kannst diesen Eindruck nicht so genau formulieren. Während du bei echten Freunden nicht viel denken musst, musst du bei Kiara denken. Sie foppt dich manchmal, wenn du eine lange Leitung hast oder Dinge falsch aussprichst. (Sie nimmt das Foppen dann aber gleich entschuldigend zurück.) Sie ist der Typ, bei dem man immer nicht so genau weiß, wie sie es meint. Kiara erzählt auch gern Dinge weiter. Spezielle Dinge. Sie besucht Partys zum Beispiel weniger fürs Amüsieren als fürs Schauen. Seltsamerweise steht sie hinter dir, wenn du dir auf einer Fete vom trockenen Marmorkuchen auf dem Kühlschrank etwas runterschneiden willst und dabei, weil alles so wacklig gelagert ist, das ganze Gebäck auf den Boden fällt. Das mit dem Schneiden üben wir aber nochmal, sagt Kiara laut und nur halb lustig und du erschrickst. Dann verschwindet sie und du räumst auf. Und als du ins Wohnzimmer kommst, wissen schon alle von deinem Missgeschick. Das ist nicht schlimm. Ist ja nur Kuchen. Aber sie wissen es. Kiaras Verrat funktioniert häufig so: Sie ist zugegen, wo es für Menschen peinlich wird und dann hat sie angenehme Freude daran, die Nachricht von der Peinlichkeit weiterzureichen. Kiara ist Produzentin von "Hast du schon gehört"-Wissen. Blitzschnell schnappt sie die peinliche Nachrichtenbeute vom Ort des Geschehens, um sie dann in eine Ansammlung von hungrigen Mäulern zu werfen. Sie hat Spaß daran, ganz leise das Leben anderer Menschen ein bisschen zu zerrütten. Nur ein bisschen. Das tut nicht weh, das merkt keiner. Aber es zerrüttet trotzdem. Vielleicht macht Kiara das, weil es in ihrem Kopf schon zerrüttet ist und weil sie es gern draußen so wie drinnen hätte? Vielleicht ist aber auch der Teufel schuld.  


2. Lars oder: der wundersame Januskopf

Lars ist die perfekte Ergänzung für jeden Freundeskreis. Zwar veranstaltet er nie eine Party, aber er kommt zu jeder und das ist auch was. Er hat nicht so dieses Rockstargehabe von Menschen, die erst um 23 Uhr auf ein Fest kommen, zu einer Zeit, wo alle miteinander die Stimmung schon angeschoben haben. Lars hilft auch gern beim Vorbereiten und trägt Bierkästen hoch. Wenn man auf der Arbeit zu spät kommt, ist er der, dem man die entsprechende SMS schreibt: Lars, bin zu spät. Kannst du das dem Chef ausrichten? Lars bekommt diese SMS, weil er mit allen gut steht und weil eine Verspätungsmeldung aus seinem Mund nur halb so verspätet ist. Die Tatsache, dass Lars gemocht wird, hat aber nicht nur mit dieser antrainierten Höflichkeit zu tun. Lars kann auch gut zuhören. Im Hörsaal am Nachmittag bleibt er manchmal bis lange nach dem Ende einer Vorlesung neben einem Kommilitonen sitzen und hört zu. Manchmal plaudert er aber auch selbst Menschen fest, wenn es um bestimmte Kommilitonen oder Kollegen oder Lehrer geht. Da wundern sich dann seine Gesprächspartner, wie fies Lars sein kann. So richtig gehässig. Aber sie freuen sich schon auch darüber, weil man ja immer denkt, Lars sei eine liebe und lächelnde Gemüts-Elfe. Ist er aber gar nicht. Er ist mehr. Er schaut sehr genau hin, wo er seinen Spott und seine kleinen Verleumdungen ablädt. (Dabei würde er nie den Gesprächspartner selbst beleidigen!) Aber durch den Umstand, dass er mit jedem auch mal unter vier Augen richtig loslästern kann, gewinnt das Gesamtbild von ihm an Tiefe. Jeder meint somit, in Lars einen Komplizen zu haben. In Wirklichkeit aber versteht es Lars, ein Netzwerk zu spinnen, in dem er einmal den einen und einmal den anderen anschwärzt. Er ist der geborene Intrigant und wenn es zu seinem Nutzen ist, dann macht er von dieser Fähigkeit Gebrauch. Lars genießt die Macht, die er ausübt, wenn er Menschen Dinge über andere Menschen erzählt, die sie nicht wussten. Er ist der stille Messenger. Der Herr der persönlichen Botschaften. Er wäre ein guter Lobbyist.  


3. Ronan oder: der rastlose Dauerverräter mit der Blutlust

Ronan kommt vor allem im Biotop Schule vor, wo alle erstmal ausprobieren müssen, welche Rolle sie in Gruppen am liebsten spielen. Aber auch später taucht der Typ Ronan nochmal auf, wenn man eigentlich schon glaubt, es nur noch mit normalen und erwachsenen Menschen zu tun zu haben. Eigentlich ist nur das erste Treffen mit Ronan angenehm. Da ist er noch nett und vorsichtig. Da taxiert er dich und vermisst dich. Er ist ein talentierter Smalltalker und wickelt dich mit seltsamen Gesprächen ein, in denen es entweder um grob sexistische Sichtweisen auf willkürlich ins Gespräch gebrachte Fernsehmoderatorinnen geht oder darum, dass man ein Essen, das du ganz gut findest in Wahrheit nicht essen könne. Es ist schwierig, Ronans Denkrhythmen zu folgen. Aber leider ist ihm nicht auszukommen. Angenommen, du arbeitest mit ihm zusammen: Er wird dich im ersten Treffen einwickeln, so dass du denkst einen zumindest interessanten Kollegen gefunden zu haben. Dann aber nimmt er gerne die Rolle eines Stalkers an. Wenn du mit Kollegen sprichst, stellt er sich unvermittelt dazu und fragt, ob man gerade wieder über deine sexuellen Vorlieben spreche. Würdest du ihn zu Schulzeiten kennenlernen, dann wäre er jener, der sich in der Schulturnhallenumkleide neben dich quetscht, um dann lautstark deine Sportausrüstung lächerlich zu machen. So gewinnt er die Oberhand und drängt dich in die Defensive. Wenn es ihm gefällt, reißt er dir im Winter im Schulhof die Mütze vom Kopf und gibt sie dir erst wieder, wenn du fünfmal laut nacheinander Bitte schreist. Ronan ist ein unangenehmer Mitschüler und Kollege. Bei der Arbeit ist er in der Lage, kleine Bemerkungen von dir so zu wenden, dass sie schief in der Welt stehen und nicht mehr weggehen. Es ist schwierig, ihm etwas zu entgegnen, weil man sein Kommunikationssystem nicht so recht begreift. Mit Schlagfertigkeit allein ist es bei ihm nicht getan. Dann lächelt er nur, weil er weiß, dass der verbale Erstschlag, wenn gut ausgeführt, stets mehr weh tut als die darauf folgende Retourkutsche. Was du ihm sagst, wird in seinen Händen zur Waffe. Wahrscheinlich, und das ist deine Erklärung, hat ihm einmal jemand sehr weh getan. Vielleicht sieht er es deswegen so gerne, wenn Menschen hilflos vor ihm stehen. Wahrscheinlich müsste man ihn mit Liebe überschütten, diesen Verräter, der sich so gut aufs Mobbing versteht.  


4. Kathrin oder: die ehrliche und trottelige Verräterseele

Die Kathrin ist ein ganz wunderbarer Mensch. Sie ist von der Haltung her eher katholisch und in vielen Freundeskreisen so etwas wie die Schriftführerin. Sie ist also nicht gleich die, die den Himmelfahrtsausflug in die Berge vorschlägt, aber sie ist auf jeden Fall mit dabei. Eigentlich muss man sie gar nicht fragen, ob sie mit will, so sehr ist sie immer dabei. Kathrin hat beim Wandern für den Notfall Blasenpflaster mit dabei und sagt immer "Logo", wenn sie von ihrer Pausenbanane etwas abgeben soll. Vielleicht schätzt du sie deswegen so sehr: Weil sie einen klaren Kopf hat und den auch gerne abends behält. Sie verträgt kein Bier und bei Wein ist nach einem Schöppchen auch gleich gut. Die eher teuflischen Erinnerungen an deine Jugend teilst du deswegen nicht gerade mit ihr. Dafür ist sie im bekömmlichsten Sinne eine zuverlässige Freundin. Bis auf manchmal. Kathrin hat nämlich ein Gewissen und einen unheilvollen Drang zur Ehrlichkeit. Beim Schulschlussscherz zum Beispiel sitzt die ganze Absolventenversammlung vor dem Direktorat und wird einzeln inquiriert, weil es herauszufinden gilt, wer die Türen zu den Klassenzimmern mit Kaugummi verklebt hat. Und was macht Kathrin? Gibt ihr Wissen weiter. Ihr Lieblingssatz ist an dieser Stelle Irgendwann wäre es doch eh rausgekommen. Kathrin ist auch die, die den Vermieter beim Auszug aus der gemeinsamen WG wissen lässt, dass die Wand in der Küche hinter der Anrichte komplett braun sei, weil zwei Kannen Kaffee dort hinuntergelaufen seien. Und schwupps sind 500 Euro zu entrichten und Kathrin sagt den technisch in diesem Fall schwachsinnigen Satz Irgendwann wäre ... Dafür könntest du Kathrin, mit Verlaub, eine hauen. Aber du weißt ja, dass sie nicht nur andere mit ihrem reinen Gewissen in Kalamitäten bringt, sondern auch sich selbst. Wie war das nochmal, als sie damals auf dem Prüfungsamt eine ihrer korrigierten Klausuren eingesehen hatte und als Kathrin die Sekretärin darauf hinwies, dass ihr zwei Punkte zu Unrecht zugestandne worden warem? Die Sekretärin zog Kathrin mit einem Kopfschütteln das Blatt weg und bat sie, zu gehen.

Text: peter-wagner - Illustrationen: Katharina Bitzl

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